Bei einem Spaziergang am Strand von Lancashire fanden Gary Williams und seine Gattin einen großen, 1.57 Kilogramm schweren, grauen Brocken von wachsartiger Substanz und mit einem sehr seltsamen Geruch: Ambra!
Die Substanz stammt aus dem Darm eines Pottwals und ist extrem wertvoll. Das Gemisch aus halb verdauten Tintenfischen und anderen geheimnisvollen Zutaten aus dem Innern des größten Zahnwals ist bis heute eine elementar wichtige Substanz in der Parfumindustrie, bis heute ist es nicht durch künstlich hergestelltes Surrogat ersetzbar.
Darum ist der Ambra-Brocken sehr wertvoll. Nach Aussage der Newsweek haben Experten ihn auf einen Wert von etwa 70,000 US-Dollar erzielen. Die Sache hat allerdings einen Haken: In der EU und vielen anderen Ländern dürfen Produkte von Meeressäugern nicht gehandelt werden.
Aus Sicht des Walschutzes könnte dieser Brocken in die Parfüm-Industrie gehen, denn dafür ist kein Wal gestorben. Vielmehr hat sich irgendwo im Nord-Atlantik ein Pottwal von den lästigen Tintenfisch-Schnäbeln in seinem Darm befreit, danach trieb der Ambra-Klumpen umher und wurde letztendlich an den Strand von Lancashire gespült. An diesem langen Küstenstreifen, der über die Irische See mit dem offenen Atlantik verbunden ist, haben Spaziergänger bzw. ihre Hunde schon häufiger Ambra gefunden.
2012 hatte nämlich Christopher Kemp das Buch „Floating Gold: A natural (and unnatural) history of ambergris“ (University Press, Chicago, 2012) veröffentlicht.2012 hatte ich einen umfangreichen Beitrag zu Ambra geschrieben, zur Herkunft, seiner Anwendung in der Parfüm-Produktion und den Handelsbeschränkungen. Das hatte ich zum Anlaß für einen ausführlichen Ambra-Artikel auf meertext genommen. 2012 war „meertext“ noch ein einsamer Blog im virtuellen Ozean, darum hatte ich den Beitrag 2016 auf diesem neuen Meertext-Blog noch einmal gebracht. Jetzt, 2020, habe ich ihn nochmals aktualisiert.
Ambra – vom Pottwal-Furz zum Luxus-Parfüm
Dieser Beitrag wühlt verbal schon wieder tief in Tiergedärmen.
Diesmal geht es allerdings nicht um klitzekleine Mäuseköttel, wie in „Sonnenstrahl und Mäuseschiss“, sondern um den kapitalen Haufen eines Pottwals.
Ambra wird am Strand angespült, auf dem Meer treibend oder im Darmtrakt toter Pottwale gefunden. Die anrüchige Substanz kann grau, grünlich, weißlich marmoriert und von schmieriger bis fester Konsistenz sein.
Ambra ist eine kostbare Substanz, die durch ihren außergewöhnlichen Duft und ihre Fähigkeit, andere Düfte zu fixieren, lange Zeit eine essentiell wichtige Rolle in der Parfumherstellung gespielt hat. Ambra wurde mit Gold aufgewogen und entfaltete dann seine betörende Wirkung in Parfums auf der zarten Menschenhaut (damals griffen auch Männer häufiger zum Parfum). Eine außergewöhnliche Karriere für einen Stoff, der im Verdauungstrakt eines Wals entsteht.
Hermann Melville hat es in „Moby Dick“ schön formuliert:
„Wer würde wohl denken, dass die feinsten Damen und Herren sich an einem Wohlgeruch laben, den man aus den ruhmlosen Gedärmen eines kranken Pottwals holt! Und doch ist es so. Der graue Amber wird von manchen für die Ursache, von anderen für die Folge mangelhafter Verdauung gehalten, an der Wale mitunter leiden. Wie eine solche Dyspepsie zu kurieren wäre, lässt sich schwer sagen; es sei denn, man gibt dem Patienten drei, vier Bootsladungen Rhabarberpillen ein und verzieht sich dann schleunigst aus der Schusslinie.“
Die chemische Zusammensetzung des „Amber gris“ oder grauen “Bernsteins” ist mittlerweile recht gut bekannt, seine Entstehung ist aber immer noch ein Rätsel.
Fest steht: Ambra enthält Reste von Pottwalnahrung.
Pottwale jagen in der Tiefe der Ozeane Kalmare unterschiedlicher Größen, manchmal steht als Beilage auch noch ein Krake oder Fisch auf der Speisekarte. Kalmare sind Weichtiere, die allerdings einige unverdauliche Teile enthalten. Vor allem die scharfkantigen Schnäbel überfordern den Pottwaldarm. Darum erbrechen sich Pottwale regelmäßig und werden dabei die scharfkantigen Tintenfisch-Schnäbel los.
Normalerweise entleeren Pottwale vor dem Tauchgang ihren Darm. Während meiner Zeit als Whale-watching-Guide vor den norwegischen Vesteralen-Inseln habe ich oft zugesehen, wie die Kolosse durch eine flaschengrüne Wolke senkrecht abtauchten. Die Ausbreitung der grünen Wolke und deren Quelle sind durch das stille Wasser im sogenannten „Fußabdruck“ des Wals gut zu erkennen. Auch bei stark bewegter See gibt es an der Stelle des Abtauchens ein kleines Rund mit glattem Wasser. Dieser „Fußabdruck“ soll durch die gewaltige Wasserverdrängung des Pottwals entstehen.
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