Ein Teil der chitinigen Schnäbel passieren aber weiter den Darm. Im Darm werden sie dann von anderen Substanzen umgeben, bis sie schließlich ausgeschieden werden. Wissenschaftler meinen, dass die schmierige Substanz die scharfen Tintenfischschnäbel in den Wal-Eingeweiden umhüllt und sie entschärfen soll. Sie soll also als Schutz vor inneren Verletzungen dienen. Aber was genau im Pottwaldarm passiert, weiß bis heute kein Mensch. Genauso wenig ist bekannt, ob die Produktion von Ambra für Pottwale normal ist oder eher krankhaft.
Sicher ist nur:
Irgendetwas passiert tief in den Gedärmen des gewaltigen Wals, so dass sein Darm statt keinen „normalen Stuhlgang“ produziert, sondern einen festen Brocken Ambra.
Frische Ambrabrocken sind aufgrund ihrer Fett-Komponenten weißlich und riechen nach Fäkalien, sie können zwischen 15 Gramm und 50 Kilogramm wiegen.
Diese Brocken können lange im Wasser treiben oder angespült werden, in einem jahrelangen „Reifeprozess“ verändern sie Konsistenz, Farbe und Geruch.
Unter dem Einfluß des Sonnenlichts und Sauerstoffs – also durch Photodegradation und Oxidation – wird der treibende Pottwal-Darminhalt härter. Dabei verfärbt er sich allmählich zu einem immer dunkleren Grau bis Schwarz, die Oberfläche entwickelt eine wachsartige Kruste. Auch das spezifische Gewicht verändert sich, es liegt nun bei 0.780 bis 0.926. Der Schmelzpunkt liegt nun bei 62 °C, dann verflüssigt sich die Ambra zu einer gelblichen harzartigen Substanz. Bei 100 °C verdampft sie zu weißlichen, duftenden Schwaden. Die Substanz ist in Ether löslich und lässt sich in Ölen fixieren – eine wichtige Grundlage für ihre Weiterverarbeitung als Duftstoff.
Der Duft wird als “moschusartig, mit animalischer Note, einem Hauch herbstlicher Blätter und blondem Tabak mit den Hintergrund-Akzenten von Aldehyden und blumigen Ketonen” beschrieben (“The musky and animal notes mingle with the scent of autumn leaves and blond tobacco from which are exhaled, in the background, the accents of aldehyde undergrowth and floral ketones.”)
Unter der Einwirkung von Salzwasser und Sonne reift aus dem Wal-Darminhalt mit der Zeit eine kostbare Substanz heran.
Geheimnisvoll, unersetzlich und heiß begehrt.
Floating Gold
Der US-amerikanische Wissenschafts-Autor Christopher Kemp hat jetzt ein Buch zu diesem spannenden Thema geschrieben:
„Floating Gold: A natural (and unnatural) history of ambergris“ (University Press, Chicago, 2012).
Kemp hat akribisch den derzeitigen Stand der Wissenschaft zur chemischen Zusammensetzung und Entstehung der begehrten Wal-Ausscheidung zusammengetragen.
Bemerkenswert ist, dass die meisten Ingredienzien der geheimnisvollen Substanz zwar chemisch analysiert sind, die künstliche Version aber insgesamt nicht die Qualität des Original-Wal-Produkts erreicht. Darum ist Ambra heute immer noch in besonders kostbaren Parfums enthalten. Erstens aufgrund seine eigenen Duftes und zweitens, weil es auf geheimnisvolle Weise alle anderen Düfte verbindet und verstärkt.
Noch interessanter ist Kemps ganz persönliche Annäherung an das Thema: Seine vergebliche Suche an neuseeländischen Stränden – erst bei Mike Hill, einem Geographen der Universität Otago in Neuseeland kann er dann tatsächlich an einem Stückchen Ambra riechen. Seine Schwierigkeiten, den besonderen Duftes der grauen Substanz zu beschreiben – er findet keine Worte. Und seine vergeblichen Versuche, Kontakt zu Ambra-Händlern aufzunehmen – die Gesprächspartner verstummen bei dem Thema sehr schnell.
Dabei stößt er auf einen besonders bizarren Umstand des Themas: Der Handel mit Ambra ist gesetzlich nicht eindeutig geregelt.
Pottwale sind eine geschützte Spezies, sie fallen unter der Washingtoner Artenschutzabkommen CITES ((CONVENTION ON INTERNATIONAL TRADE IN ENDANGERED SPECIESOF WILD FAUNA AND FLORA). Das Sammeln und Handeln von Pottwal-Abfall-Produkten verbietet CITES allerdings nicht.
Dafür ist in vielen Ländern wie Australien, den USA und auch der EU auch der Handel mit Walprodukten verboten.
In Australien etwa fallen die Pottwale unter sehr strenge Schutzbestimmungen – auch der Import und Export von Walen und allen Wal-Produkten, also auch Ambra, ist untersagt. In den USA ist der Handel mit Ambra trotz der CITES-Klassifikation erlaubt, wird aber durch den nationalen Marine Mammals Protection Act verboten.
In der EU ist der Handel mit Meeressäugern udn deren Produkten – also auch Ambra – insgesamt streng verboten.
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