Die Isotopenanalyse von 1²C, 13C, 14C, 14N und 15N aus dem Kollagen der Seekuh-Knochen brachte noch eine weitere Überraschung: Alle Proben ließen sich zwei verschiedenen Gruppen zuordnen, die sich signifikant voneinander unterscheiden. Das Isotopenverhältnis ist wie ein geographischer Finderabdruck, es ermöglicht eine eindeutige geographische Zuordnung.
Offenbar stammte tatsächlich nur ein Teil der Knochen von den Kommandeurs-Inseln, ein anderer Teil von einem anderen Ort. Diese abweichenden Werte gehörten zu den Knochen, die angeblich von der St. Lawrence-Insel kamen.
Offenbar hatten um das Jahr 1100 auch noch weiter im Norden Seekühe gelebt. Die zurzeit der Entdeckungs- und Handelsfahrten von europäischen Entdeckern, Jägern und Händlern bereits verschwunden waren und darum in der schriftlichen historischen Überlieferung nirgendwo aufgetauchten. Es sind zwar subfossile Seekuh-Funde von vielen Aleuten-Inseln bekannt, nicht aber von der St. Lawrence-Insel.
Crerar hatte die Überreste einer bisher vollkommen unbekannten Seekuh-Population gefunden!
Die Zeit um 1100 liegt sehr nah an einer gut dokumentierten Warmzeit um 1220, die auch für eine Erwärmung im Nord-Pazifik gesorgt hatte. Es ist wahrscheinlich, dass sich durch diese Erwärmung auch das Vorkommen der Riesen-Seekühe weiter nach Norden schob, bis zur St. Lawrence-Insel.
Gleichzeitig sind Inuit in dieser Warmzeit weiter nach Norden gezogen. Im wärmeren Meer haben sich neue Wasserwege geöffnet und die Völker des Nordpazifiks konnten ihrer Beute wie Glattwalen weiter nach Norden folgen. Es ist nahe liegend, dass sie dann auch die dort vorgefundenen Seekühe gejagt haben. Auf der St. Lawrence-Insel leben seit mindestens 2000 Jahren bis heute die Yupik, auf deren Speiseplan eine Vielzahl von Meeressäugern steht. Crerar hält es für denkbar, dass die Inselbewohner die Riesenseekühe bis zur Ausrottung gejagt haben, so dass sie zu Stellers Zeiten längst ausgestorben waren.
Ich denke, dass es auch möglich ist, dass die Seekühe sich nach dem Ende der Warmzeit dort nicht halten konnten.
Das Dilemma von Privatsammlungen und die Bedeutung von Belegexemplaren in Museumssammlungen
„The dilemma of trade samples and the importance of museum vouchers – cavats from a study on the extinction of Steller´s sea cow: a comment on Crerar et al (2014)“ – lautet ein Kommentar zu Crerars Publikation vom 21.04.2016 von Nicholas Pyenson.
Pyenson ist Kurator für fossile Marine Säugetiere am Smithsonian National Museum of Natural History und sieht er es ungern, wenn wissenschaftliche Arbeiten an Material aus privaten Sammlungen durchgeführt werden. Zunächst wirft er die Frage nach der Provenienz auf: Es sei nicht immer sicher, dass private Sammler bei der Recherche nach der Provenienz ihrer Stücke genauso gewissenhaft sind, wie Museen es sein müssen.
Dazu kommt das Problem, dass Museums-Sammlungen ein offen zugängliches, wissenschaftliches Archiv sind, und die Objekte jederzeit für Nachuntersuchungen wieder erreichbar sind. Bei Objekten in Privatsammlungen ist dieser freie Zugang nicht immer gewährt.
Ein kommerzieller Händler mag auch gewissenhaft den Fundort eines Stücks notieren. Aber in der Regel sind kommerziell gehandelte Stücke bereits durch mehrere Hände gegangen, wie auch in diesem Fall. In diesem Fall können die Händler nur vom „Hören-Sagen“ sagen, dass ihr Knochenmaterial von der St. Lawrence-Insel stammt, weil die Zwischenhändler es so erzählt haben. Für eine solide wissenschaftliche Arbeit wäre es notwendig gewesen, sich selbst von der Fundstelle zu überzeugen. Oder zumindest selbst mit dem Zwischenhändler zu sprechen. (Anmerkung BW: Die Lokation der Fundstelle hätte in einer Publikation dann auch verborgen bleiben können, wie es zum Schutz der Fundstellen geschützter Arten oder Geotopen üblich ist.) Die von Crerar als Herkunftsnachweis angegeben Flugzeug-Transport-Dokumente und Versicherungsscheine hält Pyenson für nicht belastbar.
Er bemängelt außerdem die fehlende photographische Dokumentation der Stücke und die fehlende Ortsangabe der Sammlung.
Ein Forschungsvorhaben zur einstigen Verbreitung einer ausgestorbenen Art aufgrund von kommerziell gehandelten Stücken durchzuführen, entspricht nicht der Sorgfalt, die eine wissenschaftliche Arbeit haben sollte.
Ferner meint Pyenson, dass eine Einbeziehung weiteren Sammlungsmaterials aus anderen Museen sinnvoll gewesen wäre, da sich dadurch möglicherweise weitere Hinweise auf Seekuhvorkommen an anderen Orten aus offiziellen Quellen sicherer Provenienz ergeben hätten. Weiterhin ermuntert er Privatsammler, wissenschaftlich besonders kostbare Objekte in wissenschaftliche Sammlungen zu deponieren.
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