Neulich, am Anton-Dohrn-Seamount, im Nordost-Atlantik.
Das ROV – ein unbemanntes Tauchboot , remotely operated vehicle – tauchte und probte fleißig.
Dann kam es zum größten Match dieser Expedition: Die Wissenschaftler am Steuer des ROV erspähten eine Seefeder, eine nicht sehr große Weichkoralle. Die Jäger der Tiefsee steuerten den metallenen Greifarm des Roboters auf das nichts ahnende, im Sand fest verankerte Tier zu, die Metallfinger gruben sich in den Sand…und …der kleine Polyp zog sich einfach in den Sandboden zurück. Der Roboter griff ins Leere.
Pech gehabt!
Dass ein in großer Tiefe sitzendes einsames Nesseltier so geistesgegenwärtig auf eine High-Tech-Gefahr reagieren würde und sich seiner Beprobung einfach so entzieht, hatte wohl niemand erwartet.

Seefedern sind Weichkorallen der Ordnung Pennatulacea. Sie sind Korallen ohne festes Skelett. Sie sind Bewohner der Tiefsee, dort kommen sie auch in größeren Betsänden vor. Nur in den Tropen leben sie auch in flachem Wasser.
Virgularia sp.Eine Seefeder ist kein einzelnes Tier, sondern eine ganze Kolonie von Polypen, die streng symmetrisch an einem Mittelstiel sitzen. Der Mittelstiel mit den fiedrigen Polypen erinnert an eine Feder, daher ihr Name. Sie sind Bewohner der Tiefsee, dort kommen sie auch in größeren Beständen vor.
Innerhalb ihrer Zentralachse liegen zur Festigung Kalziumkarbonat-Strukturen, dieser Stiel ist mit einem Fuß am Boden befestigt. Sie leben meist auf weichen Böden und könenn sich bei Bedarf sogar langsam bewegen. Bei Störungen kann die Kolonie in ihren Fuß zurückgezogen werden – das ist im Film zu sehen.

“Deeplink” ist ein Kooperationsprojekt der  Plymouth University’s Deep Sea CRU, der  University of Oxford, dem British Geological Survey (BGS) und anderen Institutionen zur Erforschung des Lebens in der Tiefsee.
Im Mai und Juni 2016 waren Wissenschaftler mit der RRS James Cook 6 Wochen lang im Nord-Ost-Atlantik unterwegs, um Daten zu sammeln. Hier gibt es mehr Information über das Projekt “Deeplink”.

Kommentare (17)

  1. #1 RPGNo1
    17. Juni 2016

    Sehr schön. Das Video hat mir den Abend mit einem herzhaften Lacher versüßt. Und mein Wissen konnte ich auch noch erweitern.

  2. #2 Bettina Wurche
    17. Juni 2016

    @RPGNo1: Ging mir auch so : )

  3. #3 gedankenknick
    18. Juni 2016

    Dass sich so ein zerbrechliches Wesen bei der geringsten Detektion einer Störung in seine “Trutzburg” zurückzieht habe ich irgendwie schon erwartet – analog zu anderen “röhrenbewohnenden Meereslebewesen”… Vielleicht wurde ich da aber auch von meiner Unwissenheit ausgetrickst, da mein Wissen über alle Arten von Korallen wohl als eher mangelhaft eingeschätzt werden darf.

    Dass die Fluchtrektion durch eine Erschütterung des Sandes ausgelöst wird, läßt über potentielle Fressfeinde spekulieren, die sich auf/im Sand fortbewegen. Ob man eine Reizschwellenuntersuchung allerdings mit einem ROV hinbekommt… Ich glaub, dafür muss dann noch ein wenig Entwicklungsarbeit am Reißbrett erfolgen. 😀

  4. #4 Bettina Wurche (meertext)
    18. Juni 2016

    Die Sinnesleistungen der Seefedern sind so gut wie unbekannt. Generell gilt, dass Polypen weniger gut ausgebildete Sinnessysteme haben als Medusen (die haben Schweresinn und teils optische Organe). Was genau Seefedern hören, fühlen und sehen, dürfte schwierig zu erkunden sein.
    Sicher aber ist: Für das Funktionieren einer Kolonie muss es Sinnesleistungen geben. Und für das Rückziehen der empfindlichen Einzelpolypen und das Losmarschieren über den Meeresgrund muss es auslösende Reize geben. Ob das Drucksensoren (Annäherungsalarm), optische Wahrnehmung oder das Spüren von Erschütterungen sind, ist völlig unbekannt.

  5. #5 rolak
    18. Juni 2016

    Bettina Wurche (meertext)

    Ab heute überdeklariert, das neue overdressed? ;‑)

    Was genau Seefedern hören, fühlen und sehen

    Aufgrund der spezifischen Antennenform eindeutig: TV-Shopping. Das erklärt auch die Reaktion – blitzartiger Rückzug antrainiert durch häufiges Erscheinen der InkassoTruppe.

    Abgesehen davon würde es mich ziemlich reizen, mal das Weltbild einer solchen Kolonie erleben zu können (mit watchdog für die Rückreise…)

  6. #6 Bettina Wurche
    18. Juni 2016

    @rolak: hehehe – ein neues Sinnesorgan? Teleshopping-Radar? Die Frage nach dem Weltbild einer Seefeder-Kolonie ist interessant. Natürlich haben wir keine Ahnung von der möglichen Vorstellungswelt einer Evertebraten-Kolonie. Ob man da überhaupt von einem “Erleben” sprechen kann? Ob sie ihre multiple Kolonie-Identät überhaupt wahrnehmen? Das wäre ein spannendes Thema für SF-Autoren. Ich fürchte, die Wissenschaft wird darauf niemals Antworten oder auch nur Hypothesen liefern können.

  7. #7 rolak
    18. Juni 2016

    keine Ahnung

    Gerade die im Rahmen meines Vorstellungsvermögens erscheinende Unvorstellbarkeit machts so richtig “will auch mal”, Bettina, höchstwahrscheinlich vor langer, langer Zeit angeheizt bzw initiiert durch Mensch/Tier/Irgendwas-Verwandlungen in Märchen.

    überhaupt .. “Erleben”?

    Ach das ist doch nur ne Definitionsfrage, immerhin (re)agieren sie bezüglich Nahrung und Fraßfeinden – egal ob sie das nun wohlformuliert reflektieren (können) oder nicht.

    Ich fürchte

    So schlimm ist es nicht, doch danke für die Anteilnahme ;‑)

  8. #8 Bettina Wurche
    18. Juni 2016

    @rolak: Das wäre doch bestimmt mal spannend, die möglichen Gefühls-/Empfindungs-/Wahrnehmungswelten anderer Organismen zu diskutieren. Ich denke auch oft darüber nach. Z. B., warum eine Libelle mit ihren Komplexaugen mich nicht als Hindernis wahrnimmt, sondern mir gegen die Stirn fliegt. Wie ein Fischschwarm so ganz genau funktioniert. Oder ein Vogelschwarm seine Formation hält. Oder eine Koralle, etc. Umgebungsreize aufnimmt. Das wäre mal eine spannende Diskussion.

  9. #9 rolak
    18. Juni 2016

    Das mit den Libellen fällt wohl unter unterschiedliche Weltbilder, Bettina, allerdings scheint es beim Zuschauen manchmal so, als würden sie deswegen so zickzackig fliegen, weil sie immer vorher bestimmen wohin sie wollen und dann rapido und ohne Nachkorrektur diese Teilaufgabe erledigen. So schnell, daß sich möglichst nichts in den Weg schiebt – was dann aber doch ab+zu passiert.

    Das mit den Schwärmen hat imho eine besondere Pointe, gibt es doch sturzsimple Algorithmen, mit denen Schwarm- und RudeljagdVerhalten verblüffend echt wirkend simuliert werden kann (mir zuerst in Spielen begegnet, bei den NPCs) ohne daß deswegen klar wäre, wie es tatsächlich funktioniert.

    Koralle, etc. Umgebungsreize?

    Sicherlich, immerhin gibt es ja die synchronisierte Korallenblüte – und es braucht ja nicht einmal Nervenzellen geschweige denn ein Gehirn dazu, Rezeptormoleküle leisten ganze Arbeit bei Amöben. Das Erleben eines derartigen Weltbildes dürfte aber genauso erhellend sein wir das Betrachten einer durch den Monitor scrollenden Binary einer unbekannten CPU…

    Doch überraschen lassen kann man sich ja mal.

  10. #10 Bettina Wurche
    18. Juni 2016

    @rolak: Die Korallen nutzen tatsächlich den Vollmond als Auslöser für ihre “Blüte”. Wohl eher eine Orgie : ). Das Licht des Vollmonds ist de facto für mehrere Tiergruppen der Auslöser, ihre Fortpflanzungsprodukte synchronisiert ins Wasser abzugeben.

  11. #11 Boombox
    18. Juni 2016

    Im Zusammenhang mit der Frage nach der (Selbst-)Wahrnehmungsfähigkeit von Seefedern und ähnlichen Tieren finde ich auch noch eine andere Frage interessant: Wo genau liegt eigentlich die Grenze zwischen Kolonien aus auf verschiedene Aufgaben spezialisierten Einzelzellen und Vielzellern?

    Theoretisch könnte man einen Menschen ja auch als Kolonie von hochspezialisierten Einzellern definieren. Und ich jedenfalls habe nur ein Bewusstsein und nur eine Stimme, die ich in meinem Kopf höre, wenn ich denke, nicht eine von jedem Neuron, das zu meinem Gehirn gehört. Da die einzelnen Polypen einer Seefeder laut Wikipedia wohl durch ein Nervensystem untereinander verbunden sind, ist es bei denen vielleicht ähnlich. Obwohl ich irgendwie eher nicht davon ausgehe, dass die Gedanken einer Seefeder, sofern sie denn so etwas haben, besonders tiefgründig sind :-).

  12. #12 Bettina Wurche
    18. Juni 2016

    @Boombox: Ein Mensch ist absolut nicht eine Kolonie spezialisierter Einzeller. Dafür sind unsere Zellverbände in Organen organisiert und viel zu weit spezialisiert. Im Laufe der Embryonalentwicklung differenzieren sich aus zunächst “Alles-Könner-Zellen” die verschiedenen Gewebe, sie sind dann auch nicht mehr austauschbar, ihre Differenzierung ist irreversibel.
    Theoretisch sollten Einzeller auch allein lebensfähig sein. In Mehrzellern (Eumetazoa) übernehmen unterschiedliche Zellen unterschiedliche Aufgaben, sie sind nur gemeinsam existenzfähig. De facto ist die Grenze nicht so einfach zu ziehen, da gibt es zurzeit heftige Diskussionen. Diese Diskussionen betreffen aber wesentlich einfacher aufgebaute Organismengruppen als die Wirbeltiere. Vielzeller sind irgendwie aus Einzellern hervorgegangen, der genaue Mechanismus wird noch erforscht. https://www.mpg.de/Evolution_Vielzelligkeit_Betruegerzellen
    Die Systematik entwickelt sich gerade im Bereich der einfacheren Lebensformen noch stark:
    https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/einzeller/20451

    Eine Kolonie besteht aus vielen Individuen, das können sowohl Ein- als auch Mehrzeller sein. Bei mehrzellern gibt es Koloniebildner, deren einzelne Individuen allein nicht mehr existenzfähig wären. Jedes Individuum einer Kolonie besteht dann schon aus mehreren bzw. vielen Zellen. Bsp.: Staatsqualle. Die Einzeltiere des Stocks sind so hochspezialisiert und vielgestaltig, dass sie fast als Organe eines einzigen Organismus betrachtet werden können. So gibt es Fresspolypen (Gastro-/Autozooide), Tastpolypen, Wehrpolypen (Dactylozooide), Geschlechtspolypen (Gonozooide) und Deckpolypen (Phyllozooide) sowie die obere Schwimmboje (Pneumatophor) und zahlreiche Schwimmglocken (Nectophoren).
    https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsquallen

    Interessante Problemtiere sind Schwämme: Sie sind keine Eumetazoa, sondern Parametazoa. Sie haben keine Organe, sondern spezialisierte Zellverbände, die Differenzierung ist reversibel. “Hinsichtlich Ernährung, Stoffwechsel, Exkretion, Osmo- und Ionenregulation ist jede Zelle nahzu autark. Diese für Metazoen ungewöhnliche Eigenheit ist in dem ungewöhnlichen, weil auf Hydrodynamik angelegten Bauplan der Schwämme begründet, der einer jeden Zelle den unmittelbaren Zugang zum Wasserstrom ermöglicht.” Auch ohne Sinnesorgane und Nervensystem haben sie eine funktionierende Reizleitung “Obgleich Kontraktilität und auch Erregungsleitung an vielen Schwämmen zu beobachten sind und bei einigen Arten Neurosekrete bzw. Neurotransmitter (Adrenalin, Noradrenalin, 5-Hydroxytryptamin [Serotonin]) gefunden wurden, sind weder Nerven-, Sinnes- noch echte Muskelzellen nachgewiesen.”.
    https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/einzeller/20451

  13. […] meinen kurzen Post zum „Duell“ einer Seefeder gegen einen Roboterarm kam es, angeregt durch Rolak, Gedankenknick und andere Kommentatoren, mal wieder zu einer extrem […]

  14. #14 Boombox
    20. Juni 2016

    Na ja, war vielleicht die falsche Wortwahl.

    Ich wollte eigentlich darauf hinaus, was allgemein der Unterschied zwischen einem Einzellebewesen aus wegen ihrer Spezialisierung auf Dauer nicht eigenständig lebensfähigen Zellen/Geweben/Organen und einer Kolonie aus wegen ihrer Spezialisierung auf Dauer nicht eigenständig lebensfähigen Einzellebewesen ist, die zumindest im Fall von Seefedern (bei Staatsquallen weiß ich es nicht) wohl sogar untereinander durch ein gemeinsames Nervensystem verbunden sind und aus einer einzelnen befruchteten Eizelle entstehen. Da erscheint mir als Laie die Unterscheidung zwischen Kolonie und Einzellebewesen recht willkürlich.

    Aber was für den Übergang zwischen Einzellern und Vielzellern gilt, gilt vermutlich auch in diesem Fall, also wird man da wohl keine eindeutige Grenze ziehen können. Vielen Dank jedenfalls für die Infos.

  15. #15 Bettina Wurche
    20. Juni 2016

    @Boombox:Ein Polyp entsteht sexuell aus einem Embryonen bzw. asexuell aus einer Knospe. Der kleine Polyp hat verschiedene Organe und Gewebe, ist er sexuell entstanden ist er eine voll autarke kleine frei schwimmende Larve. Schließlich läßt er sich nieder und wird erwaschen – dann erst wird er sessil und gibt seine Autarkie auf. Bei hochgradig abgeleiteten Organsimen wie Korallen oder Salpen sind die Larven noch näher am ursprünglichen Bauplan, erst im erwachsenen Stadium werden dann Teile und Organe reduziert zugunsten der sessilen Lebensweise und Koloniebildung. Hier sind die Anfangs- und Zwischenstadien von Bedeutung!
    Die Polypen der Seefeder entstehen nicht aus einer Eizelle! Sie gehören zu den Octocorallia, dort steht mehr zur Reproduktion. Jeder Polyp ensteht aus einer Larve. https://de.wikipedia.org/wiki/Octocorallia
    Ein Einzeller besitzt in keinem Stadium komplexere Strukturen. Es git natürlich auch Kolonien von Einzellern, die auch miteinander kommunizieren. Sie bilden aber niemals Organe aus.

  16. #16 Boombox
    20. Juni 2016

    Das mit den Einzellern weiß ich natürlich, ich denke das ist Allgemeinwissen.

    Bezüglich der Seefedern scheint dann auf Wikipedia eine Fehlinformation zu sein oder ich habe es missverstanden. Da steht was von einem befruchteten Ei, aus dem eine Planulalarve wird, die wiederum zu einem Primärpolypen wird.

    Danke noch einmal für die Informationen.

  17. #17 Bettina Wurche
    20. Juni 2016

    @Du hast recht! Bei Seefedern entsteht nur der erste Polyp sexuell. Der wird zum “Stiel” (rachis). Aus dem sprossen dann die Sekundärpolypen asexuell. Sehr ungewöhnlich. Im englischen Artikel steht etwas mehr: “Unlike other octocorals, however, a sea pen’s polyps are specialized to specific functions: a single polyp develops into a rigid, erect stalk (the rachis) and loses its tentacles, forming a bulbous “root” or peduncle at its base.[1] The other polyps branch out from this central stalk, forming water intake structures (siphonozooids), feeding structures (autozooids) with nematocysts, and reproductive structures.”
    Also, die Sekundärpolypen haben Tentakel, Reproduktionsorgane, Wasser-Einstrudel-Strukturen und Freßstrukturen. Mehr weiß ich auch nicht, Literatur habe ich dazu nicht stehen. Aber sie sind, trotz extremer Reduzierung, wesentlich stärker differenziert als Einzeller.