Der Deraniyagala-Zweizahnwal (Mesoplodon hotaula)

Eine ganz ähnliche Geschichte hat zur Beschreibung des Deraniyagala-Zweizahnwals (Mesoplodon hotaula) geführt.
Das allererste Exemplar strandete vor über 50 Jahren an der Küste Sri Lankas: Am 26. Januar 1963 war der 4,5 Meter lange Schnabelwal bei Ratmalana nahe Colombo angespült worden. Der Direktor des National Museums von Ceylon, P.E.P Deraniyagala, beschrieb den Wal als eine neue Art und nannte ihn Mesoplodon hotaula. 1965 nahmen sich andere Wissenschaftler den Schädel noch einmal vor und entschieden, dass es doch keine neue Art sei, sondern das gestrandete Tier zu der bereits bekannten Art M. ginkgodens gehöre. M. gingkodens (mit gingkoförmigen Zähnen) ist der Japanischen Schnabelwal. Danach lag der Sri lanka-Schädel mit der spitzen Schnauze in der Museumssammlung und geriet erst einmal in Vergessenheit. Bis 2012 eine sorgfältige Neu-Untersuchung und der molekulare Abgleich ergaben, dass Mesoplodon hotaula doch eine eigene Art ist (Mehr dazu gibt´s unter Wal mit Überraschungseffekt: Mesoplodon hotaula – eine neue Art).

Die Arten der Zweizahnwale der Gattung Mesoplodon unterscheiden sich oft in Details voneinander. Die beiden Zähne im Unterkiefer erwachsener Männchen sind ein gutes Bestimmungsmerkmal. Leider sind die Spitzen der Ober- und Unterkiefer oft beschädigt, oder der Schädel gehört zu einem nicht ausgewachsenen Tier oder einem Weibchen. Dann gibt das Verhältnis von Länge und Breite des Schnabels Auskunft, die exakte Form und Größe der Nasenknochen oder die Form des Schläfenfenster. Diese Schädel können nur von Experten zugeordnet werden. Heute hilft neben der morphometrischen Analyse auch der molekularbiologische Abgleich.

Die Geschichte der Entdeckung von Raven oder “karasu”, einer neuen Art des Vierzahnwals, hatte ich gerade erst geschrieben. Am eisigen Nord-Pazifik-Strand der nördlichen Bering-See, auf der alaskanischen St. George-Insel, war im Juni 2014 ein 7,3 Meter langer Wal-Kadaver angespült  worden. Die herbeigerufenen Biologen hatten den Eindruck, dass dieser Schnabelwal irgendwie “nicht richtig aussah”, wie ein Baird-Wal eigentlich aussehen sollte. So zogen sie weitere Experten heran und lösten ein großes Forschungsprojekt aus, um den mysteriösen Fund zu identifizieren. Das Ergebnis hat Philipp Morin, der die Studie leitete, gerade erst im Juli 2016 publiziert: Dieser kleinere und dunklere Vierzahnwal unterscheidet sich molekularbiologisch signifikant vom bisher bekannten Baird-Wal. Insgesamt haben mehr als 100 Personen Museumsmaterial durchwühlt, Proben genommen, Walfangunterlagen durchforstet, mit Fischern und Walfängern gesprochen und Proben analysiert. Die japanischen Walfänger und Fischer hatten dieses Tier schon länger beobachtet und ihm aufgrund seiner fast schwarzen Färbung dne Namen “karasu” – Rabe oder Raven (engl.) gegeben. Die taxonomische Beschreibung des neuen Wals steht noch aus, darum hat er noch keinen offiziellen wissenschaftlichen Namen. Inoffiziell hat er den Arbeitsnamen Berardius beringiae – der Vierzahnwal aus der Bering-See bekommen.
Er zieht übrigens zu einer anderen Zeit durch die Bering-See und scheint eine andere Wanderung bis in die Tropen hinein, durchzuführen, als sein größerer Verwandter, der Baird-Wal. Hier geht´s zum vollständigen meertext-Beitrag zu “Raven”, dem neuen Vierzahnwal.

Wozu soviel Aufwand?

Nicht-Zoologen mag es übertrieben erscheinen, so viel Aufwand zu betreiben, um Wale hin- und herzusortieren. Aber diese Artzugehörigkeiten erzählen den Wissenschaftlern wichtige Details über Evolution, Verbreitung, Ökologie und andere intime Details aus dem Leben der Wale. Die exakte Identifikation einer Art ist die Grundlage für ihren Schutz. Denn in den allermeisten Fällen paaren sich nur die Angehörigen einer Art bzw. Unterart miteinander, die Tiergruppen haben sich durch unterschiedliches Verhalten und unterschiedliche Kommunikation auseinander entwickelt. Darum ist es also wichtig, eine Art, ihre Verbreitung und ihre Lebensweise exakt zu kennen, um genau diesen Lebensraum und diese Lebensgrundlagen schützen zu können. Artenschutz ist nur über Habitatschutz möglich. Beim Olinguito besteht übrigens Grund zur Sorge: Sein Bestand ist bisher nicht genau bekannt, aber 40 Prozent seines mutmaßlichen Verbreitungsgebiets sind vor der Entwaldung bedroht. Und ohne Bäume und Wildfeigen wird der Olinguito nicht überleben können.
Darum sind Museumssammlungen und Taxonomen auch heute noch immens wichtig für den Artenschutz.

Quellen:

zum Olinguito:
Kristofer M. Helgen, Miguel Pinto, Roland Kays, Lauren Helgen, Mirian Tsuchiya, Aleta Quinn, Don Wilson, Jesus Maldonado: Taxonomic revision of the olingos (Bassaricyon), with description of a new species, the Olinguito. ZooKeys 324 (2013) : Special issue: 1-83.

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Kommentare (9)

  1. #1 Marcus Anhäuser
    15. August 2016

    Ich kaufe ein ‘m’ für den Titel . … “samlungen”. *Kommentar kannste danach löschen*

  2. #2 RPGNo1
    15. August 2016

    Ich finde die Beschreibung des Olinguito sehr passend: “Eine Kreuzung zwischen Katze und Teddybär”. The Oatmeal hat es gut getroffen. 🙂 Gibt es denn nähere Informationen, in welcher Museumssammlung der Katzenbär entdeckt wurde?

    Die Zweizahnwale hingegen sehen schon etwas merkwürdig aus. Können die eigentlich etwas mit ihren Hauern anfangen? Oder ist es nur ein Geschlechtsdimorphismus?

  3. #3 Bettina Wurche
    15. August 2016

    @Marcus: Danke, Marcus. Echt klasse – Text sorgfältig Korrektur gelesen und dabei die Überschrift überfolgen. AARRGGGHHH. Aber dafür hat Kristofer Helgen meinen Tweet zum World Olingoito-Day geliket. FREU

  4. #4 Bettina Wurche
    15. August 2016

    @RPGNo1: Das waren ziemlich viele Sammlungen:
    “We examined all Bassaricyon specimens in the collections of the American Museum of Natural History, New York, USA (AMNH); Academy of Natural Sciences, Philadelphia, USA (ANSP); Natural History Museum, London, UK (BMNH); Museo de Zoología, Universidad Politecnica, Quito, Ecuador (EPN); Field Museum of Natural History, Chicago, USA (FMNH); Biodiversity Institute, University of Kansas, Lawrence, USA (KU); Los Angeles County Natural History Museum, Los Angeles, USA (LACM); Museum of Comparative Zoology, Harvard University, Cambridge, USA (MCZ); Museo Ecuatoriano de Ciencias Naturales, Quito, Ecuador (MECN); Museum of Vertebrate Zoology, University of California, Berkeley, USA (MVZ); Naturhistoriska Riksmuseet, Stockholm, Sweden (NMS); Museo de Zoología, Pontificia Universidad Católica del Ecuador, Quito, Ecuador (QCAZ); Royal Ontario Museum, Toronto, Canada (ROM); Biodiversity Research and Teaching Collections, Texas A&M University, College Station, USA (TCWC); Museum of Zoology, University of Michigan, Ann Arbor, USA (UMMZ); National Museum of Natural History, Smithsonian Institution, Washington, D.C., USA (USNM); Peabody Museum of Natural History, Yale University, New Haven, USA (YPM); and Museum für Naturkunde, Humboldt Universität, Berlin, Germany (ZMB). These holdings include all type specimens in the genus and represent the great majority (well over 95%) of olingo specimens in world museums. We also had access to published information on a few additional specimens in museum collections in Colombia and Bolivia (Saavedra-Rodríguez and Velandia-Perilla 2011, Anderson 1997). Tissue samples are stored in the frozen tissue collections of the MVZ, ROM, USNM (including specimens to be accessioned at QCAZ), the New York State Museum, Albany, New York, USA (NYSM), and the Museum of Texas Tech University, Lubbock, Texas, USA (TTU) (Table 1).”
    steht i d Publikation
    https://zookeys.pensoft.net/articles.php?id=3550

  5. #5 Bettina Wurche
    15. August 2016

    @RPGNo1: Zu den Schnabelwalen: Ja und ja. Es ist ein Geschlechtsdimorphismus, bei Mesoplodon. Hyperoodon und Ziphius. Die erwachsenen Bullen haben am Vorderkopf viele Narben, die durch Kommentkämpfe mit diesen Zähnen entstanden sind. Bei Berardius tragen Männchen u Weibchen je vier Zähne im Unterkiefer, beide tragen Narben am Kopf – kein Geschlechstdimorphismus. Bei Tasmacetus haben beide Geschlechter die normale Wal-Bezahnung, es gibt keine Kopfnarben – kein Geschlechstdimorphismus.

  6. #6 RPGNo1
    15. August 2016

    @Bettina
    Vielen Dank für die prompte und umfangreiche Antwort.

  7. #7 Rotmilan
    15. August 2016

    Wahnsinn! Die “Neu-” bzw. “Wiederentdeckung” von Säugern, zumal in dieser Größe sind tatsächlich immer wieder eine Sensation, da man doch häufig glaubt, alle größeren, terrestrisch lebenden Wirbeltiere abgegrast zu haben.

    Nichtsdestotrotz hätte ich mir an dieser Stelle und im Zusammenhang mit dem Thema “Entdeckung und Beschreibung einer neuen Art” noch einen weiteren kleinen Wink in Richtung der taxonomischen Bedeutung (Typusbeleg) gewünscht.

    Man muss ja immer bedenken, dass ein solcher Beleg, ähnlich dem “physikalischen Urkilo”, für die Zukunft den absoluten Bezug darstellt, wenn man genau von
    dieser einen Art spricht. Mit anderen Worten muss es in der Systematik der Lebewesen (inclusive uns Menschen) immer mindestens ein Sammlungsbeleg in vorgegebener Form geben, anhand der die Art beschrieben wird. Im Umkehrschluss bedeutet diese Tatsache übrigens, dass kryptozoologische Sichtungen alá Yeti, Monster von Loch Ness usw. aufgrund fehlender Art-Belege unter den Tisch fallen und wissenschaftlich (bisher) in keiner Weise anerkannt werden können (nein Fotos und Videos sind taxonomisch leider nicht akzeptabel).

    Nun könnte man natürlich, auch im Zusammenhang mit der next gen- Genetik, über Artdefinitionen an sich diskutieren, aber darum ging es hier ja nicht 😛

  8. #8 Bettina Wurche
    15. August 2016

    @Rotmilan: “zumal in dieser Größe” – also, der Olinguito ist ja eher klein, dann noch nachtaktiv und aboricol, so was kann man schon mal übersehen. Und warum die großen Schnabelwale immer wieder übersehen werden, liegt halt an deren Lebensraum und Lebensstil. Weit weg und meistens untergetaucht. Außerdem sehen sie sich alle ziemlich ähnlich.
    Mehr dazu hier: https://blog.meertext.eu/2012/11/06/geheimnisvolle-schnabelwale-%E2%80%93-von-entenwalen-und-zweizahnwalen/
    Über Artdefinitionen hatten wir hier schon häufiger diskutiert, auch, dass heute Populationen oder Kulturen teils noch wichtiger als Arten sind (etwa bei Orcas oder Pottwalen).
    Die Bedeutung von Typus-Exemplaren hätte diesen Blog-Beitrag vollends gesprengt, ich fand ihn schon ziemlich lang. Das wäre wohl besser mal ein eingener Beitrag. Aber ob so etwas fachspezifisches wirklich viele Leser fände?

  9. #9 rolak
    15. August 2016

    überfolgen

    :‑) placed a cherry on the whip…