Pottwale sind die größten Zahnwale, die bis heute in den irdischen Meeren gejagt und gelebt haben. Ihren Namen verdanken sie der ungewöhnlichen Form ihres großen Kopfes, der mit einem Pott (niederdeutsch für Topf) verglichen wurde. Dieser gewaltige, fast rechteckige Kopf ist einzigartig unter den Walen und bestimmt die markante Silhouette des Pottwals. Seine klobige Form erhält er durch den gewaltig ausgebauten Nasaltrakt und das Spermaceti-Organ.
Der ganze Wal ist um seine Nase mit dem gewaltigen Sonarorgan herum konstruiert, bei alten Männchen kann die Nase fast ein Drittel der Körperlänge ausmachen. Dieses großartige und enorm große Organ schiebt der Wal vor sich her und schafft es dann irgendwie, in die weit hinter der Nase liegende und recht kleine, unterständige Mundöffnung seine kleine und agile Beute hinein zu bugsieren. Auch die Rolle des länglichen, schmalen Unterkiefers mit den großen kegelförmigen Zähnen bei der Nahrungsaufnahme ist noch nicht geklärt – schließlich gibt es immer wieder Pottwale mit deformiertem oder fehlendem Unterkiefer, die dennoch gut genährt sind.
Als ich Anfang August vor der Insel Andoya auf einen großen grauen Walbullen schaute, fragte ich mich mal wieder, wie dieses Tier eigentlich seine Nahrung aufnimmt.
Die grauen Riesen der Meere sind extreme Tieftaucher und verbringen nahezu die Hälfte ihres Lebens in unter 500 Metern Tiefe. In der Dunkelheit kommunizieren sie und orientieren sich akustisch, ihre Welt ist eine Welt des Hörens und Gehört Werdens. Die gesamte Jagd und Nahrungsaufnahme finden in der Tiefe der Ozeane fernab menschlicher Beobachter statt, darum gab es zum Jagd- und Fressverhalten des Pottwals über Jahrhunderte hinweg nur Mutmaßungen und Hypothesen. Neue Technologien ermöglichen es Walforschern nun, die gängigen Erklärungsansätze experimentell auf den Prüfstand zu stellen, wie Andrea Fais, Mark Johnson und Peer Madsen mit ihrer ausgezeichneten Publikation „Sperm whale predatory-prey interactions involve chasing and buzzing, but no acoustig stunning“ (A. Fais, M. Johnson, M. Wilson, N. Aguilar Soto& P. T. Madsen; Scientific Reports 6, (2016), doi:10.1038/srep28562)
Wie jagen Pottwale?
Ein erwachsener Pottwalbulle hat einen enormen Appetit und vertilgt täglich ein großes Seafood-Menu. Wieviel so ein Wal genau frisst, ist schwierig zu schätzen – Gaskin et al hatten Mageninhalte von 105 Exemplaren analysiert und aufgrund der Kalmar- und Fischreste Magenfüllungen von 12.70 bis zu 105 Kilogramm errechnet („DIET AND FEEDING HABITS OF THE SPERM WHALE (PHYSETER CATODON L.) IN THE COOKSTRAIT REGION OF NEW ZEALAND D. E. GASKIN*, M. W. CAWTHORN†; 1966).
Der größte Teil davon sind Tintenfische, vor allem mittelgroße Kalmare mit etwa 50 Zentimeter langem Mantel und 1 bis 3 Kilogramm Gewicht, vor allem aus dem Meso- bzw. Benthopelagial, also aus Meeresschichten zwischen 200 und 1000 Metern Tiefe und dem Bereich über dem Meeresboden. Übrigens sind 70 bis 80 % der gefressenen Tintenfische eher langsame Schwimmer mit hohem Ammoniak-Gehalt, der Rest sind schnellere Kalmare, Fische und gelegentlich ein Hai. Manchmal fressen die Wale auch sehr große Weichtiere wie Riesenkalmare oder Kolosskalmare, oder sehr kleine Fische wie Sardinen. Die Pottwal-Bullen vor den Vesteralen (Nord-Norwegen) schnappen sich gern Rotbarsch, der dort reichlich vorkommt, oder den Köderkalmar Gonatus fabricii. Das Nahrungsspektrum hängt also vom regionalen und saisonalen Nahrungsangebot ab.
Kalmare sind selbst schnelle Jäger mit leistungsstarken Sinnesorganen. Wie ist es möglich, dass sie den so langsam und behäbig anmutenden Leviathanen zum Opfer fallen?
Da diese Pottwal-Kalmar-Verfolgungsjagden und das Fressen in der Tiefe des Meeres stattfinden, sind sie unmöglich direkt zu beobachten. Filmaufnahmen aus dieser Tiefe mit Pottwalen sind absolute Raritäten. In der lichtlosen Tiefe jagen die Pottwale nicht auf Sicht, sondern nutzen zum Finden und Überwältigen ihrer Beute ihr Sonar, geben also akustische Signale ab und erstellen aus deren Reflexionen ein akustisches Bild. Diese Echoortung der Wale können Forscher heute verfolgen. Zur Rekonstruktion des Pottwal-Treibens haben sie zusätzlich Erkenntnisse aus der Schnabelwal-Jagd mit einbezogen, die ebenfalls in großer Tiefe meistens Kalmare jagen.
Der technische Fortschritt ermöglicht immer bessere Sender mit höherer Aufnahmekapazität, besserer Auflösung und insgesamt höherer Leistung zu immer geringeren Preisen. In der Bioakustik-Forschung führt dieser technische Fortschritt zu besseren Ergebnissen und ermöglicht auch die Bearbeitung neuer Fragestellungen wie die Produktion der Klicks bei Pottwalen, die akustischen Eigenschaften ihrer Klicks, das Echolokations-Verhalten und ihre Bewegungen während der Jagd. Peer Madsen ist ein ausgewiesener Pottwal-Akustik-Experte und hat schon viele spektakuläre Forschungsergebnisse veröffentlicht. Er war also genau der richtige Betreuer dieser Pottwal-Arbeit.
Hypothesen auf dem Prüfstand
Es gibt einige Hypothesen, wie Pottwale ihre Beute aufnehmen und noch viele ungeklärte Details. Darum haben sich Andrea Fais et al daran gemacht, diese Details zu überprüfen: Mit einer kleinskaligen Untersuchung der Lautäußerungen jagender Pottwale und dem simultanen Abgleich, wie Wal und Kalmar sich im dreidimensionalen Raum zueinander bewegen.
Dazu haben sie die Wale mit digitalen Sendern (Dtags) versehen, die sowohl akustische als auch Bewegungs-Daten in hoher Auflösung aufnehmen. Die Sender haben sie mit vier Saugnäpfen am Walkopf befestigt. Jeder Dtag-Sender beinhaltet einen 3-Achsen-Beschleunigungmesser, ein 3-Achsen-Magnetometer sowie einen Drucksensor und sendet 50-mal pro Minute.
Sechs Wale haben diese Sender bei insgesamt 82 Jagd-Tauchgängen mit in die Tiefe genommen und zusammen 66 Stunden lang Daten gesammelt. Drei der Tiere leben vor der US-Ostküste, die anderen drei vor der nordnorwegischen Küste. Die „Amerikaner“ – erwachsene Weibchen oder halbwüchsige Männchen – hatten Tauchgänge von durchschnittlich 38 Minuten, die „Norweger“ – erwachsene Männchen – tauchten zwischen 26 und 38 Minuten ab. Die dabei ermittelten Daten haben die bisherigen Hypothesen zur Pottwal-Jagd fast überwiegend widerlegt.
Hypothese 1: Pottwale lauern bewegungslos in der Tiefe
Der Walfänger-Schiffsarzt Beale hatte 1839 die erste Monographie über Pottwale geschrieben: „THE NATURAL HISTORY OF THE SPERM WHALE“.
https://mysite.du.edu/~ttyler/ploughboy/bealenew.htm
Er hatte die Vorstellung der Walfänger übernommen, der Pottwal würde mit seinem hell pigmentierten Unterkiefer die Tintenfische anlocken und sie dann verschlingen. Die Walfänger wussten von dieser hellen Pigmentierung und auch, dass Pottwale nahezu senkrecht ab- und an nahezu der gleichen Stelle auch wieder auftauchen. Daraus folgerten sie, dass der Wal sich in der Tiefe nicht bewegt, sondern vielmehr bewegungslos lauert. Der britische Tintenfisch- und Pottwalexperte Malcolm Clark hatte diese Hypothese weiterentwickelt und eine komplizierte Theorie zum Auftrieb des Pottwals konstruiert, bei dem die Zu- und Ableitung von Seewasser in den Nasengängen aktiv den Auftrieb des Wals regeln sollte.
Diese Hypothese ist mittlerweile widerlegt. Clarke hatte tote Pottwale aus dem Walfang untersucht, deren Nasengänge offenbar nach dem Tod teilweise Seewasser enthielten. Beim lebenden Pottwal befindet sich kein Seewasser in den Laut produzierenden Nasengängen, die Schalleitung würde damit nicht funktionieren.
Amano und Yoshioko haben mit Hilfe von Kameras am Wal und mit Datenloggern 2003 nachgewiesen, dass Pottwale aktive Jäger sind. Beschleunigungsmesser hatten schnelle Kopfbewegungen von 3 Metern pro Sekunde mit Bildern von Tintenwolken und Tentakelfetzen korreliert. Auch wenn die Nahrungsaufnahme selbst nicht zu sehen war, war doch klar, dass die schnellen Kopfbewegungen in direktem Kontext mit dem Fressen stehen müssen (Amano M, Yoshioka M (2003) Sperm whale diving behavior monitored using a suction-cup-attached TDR tag. Mar Ecol Prog Ser 258: 291–295. doi: 10.3354/meps258291).
Auch die neuen Daten von Fais et al bestätigen, dass die Pottwale aktive Jäger sind: Sie bewegen sich mit 1 bis 2,5 Metern pro Sekunde, in der Endphase der Jagd machen sie regelrechte Vorstöße auf die Beute.
Hypothese 2: Pottwale drehen sich auf den Rücken, um die Silhouette der Beute zu sehen und jagen dann auf Sicht
Fristrup und Harbison hatten 2002 die Hypothese aufgestellt, dass Pottwale sich in der Endphase der Jagd in einer seitlichen Rollbewegung auf den Rücken drehen, um den Tintenfisch über sich gegen das von der Meeresoberfläche einfallende Restlicht visuell zu erkennen. Sie meinten, dass der Wal mit dem großen Kopf und den seitlich stehenden Augen so zu einem Stereobild der Weichtiersilhouette kommen würde.
Diese Rollbewegung hat sich durch die Daten von Fais et al nicht bestätigt. Die Wale haben zwar beim Annähern an die Beute ihre Position im Wasser verändert, aber sie haben sich nicht immer auf den Rücken gerollt, um die Beute-Silhouette gegen das Restlicht der Oberfläche wahrnehmen zu nehmen. Stattdessen haben sie sich oft nur leicht schräg geneigt, unabhängig davon, in welcher Tiefe der Wal jagte und somit unabhängig vom vorhandenen Restlicht. Diese Bewegung könnte dazu dienen, um den Sonarstrahl in der Endphase der Jagd noch gezielter auf die Beute zu richten.
Außerdem stießen die Pottwale sowohl von unten nach oben als auch von oben nach unten auf die Beute zu, was auch gegen die visuelle Jagd spricht.
Im Verlauf der Pottwal-Jagd ist zu hören, dass der Wal zum Ende der Jagd hin seine Ortungsklicks intensiviert (Buzzing) und gleichzeitig seine Bewegung beschleunigt. Beim Buzzing sendet der Wal schnelle Folgen von Klicks mit sehr kurzen Zeitintervallen – im letzten Abschnitt braucht der Wal ein besonders hoch aufgelöstes akustisches Bild. Die Beschleunigung über mehrere Meter hinweg ist ein den „Endspurt“ zum Zielobjekt.
Hypothese 3: Pottwale betäuben Kalmare mit besonders lauten Schallstößen
Norris und Harvey hatten 1972 die Pottwalnase als Schallkanone beschrieben. Die Wale sollten mit ihrem leistungsstarken Sonar ihre Beute nicht nur finden, sondern sie auch über besonders laute Klicks betäuben. Immerhin können Pottwale Laute mit einem Schalldruckpegel von bis zu 236 dB produzieren (ein Düsenjäger soll nur bis zu 130 dB erreichen), wie Mohl et al beim Studium der Pottwale im Bleiks Canyon herausfand.
Die Schallkanone ist ein interessanter Ansatz, das würde das Fressen so agiler und intelligenter Jäger wie Tintenfische sicherlich erleichtern. Aber stimmt das auch?
Mohl und Norris hatten mit Loligo und Sepia im Aquarium experimentiert: Die Tiere waren erst ab 260 dB akustisch „gelähmt“. Einen so hohen Schalldruck schaffen allerdings selbst Pottwale nicht. Fais, Johnson und Madsen sind sich sicher: Das besonders leistungsstarke Sonarorgan der Pottwale ist für eine extrem leistungsfähige Echolokation gebaut, nicht aber als Schallkanone.
Schnelle Bewegungen sind ein Indikator fürs Zuschlagen
Viele Zahnwale, wie Schnabelwale, Delphine und Schweinswale verschlucken ihre Beute im Ganzen durch Einsaugen. Dazu öffnen sie den Schnabel und erweitern mit Muskeln den Kehlbereich. Da ihr Mund- und Kehlraum geschlossen ist entsteht ein Unterdruck, mit dem sie die Beute einsaugen. Die Zunge spielt bei der Positionierung der Häppchen oft eine wichtige Rolle.
Bei den Pottwalen vollführen dass am Ende ihrer Jagd, während des besonders intensiven Akustik-Scans des Wals, dem Buzzing, ruckartige Bewegungen mit dem Kopf (jerks): Die Walbiologen interpretieren dies als das letzte Zustoßen auf die Beute mit schnellen Bewegungen des Unterkiefers oder der Erweiterung der Mundhöhle zum Einsaugen der Nahrung. Pottwale sind also keinesfalls ruhig lauernde Jäger, sondern akustisch und motorisch sehr aktiv. Ihr Sonarorgan ist keine Schallkanone, sondern der leistungsstärkste bekannte Biosonar und dient zum akustischen Verfolgen und Erlegen der Beute.
Wie dieser Wal nun aber die Beute in die Mundöffnung befördert, bleibt weiterhin ungeklärt.
PS: Am Verlauf des Klickens ist der Verlauf des Tauchgangs zu hören. An Bord der „REINE“, des Schiffes der Hvalsafari Andenes konnten wir über ein Hydrophon direkt verfolgen, wie der Wal sich am Meeresgrund in verschiedene Richtungen wendet und bewegt, seine nach vorn gerichteten Sonarklicks machen die Kopfbewegungen hörbar.
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