Ob es eine adäquate Struktur bei weiblichen Kraken gibt, ist bisher völlig ungeklärt. Damit gibt die Tintenfisch-Literatur auch keinen Hinweis auf eine Klitoris-artige Struktur.
Mit der Spitze des Begattungsarms ertastet das Männchen in der Mantelhöhle des Weibchens die Öffnung des Ovidukts (Eileiter) und befestigt dort die Spermatophore mit „Protein-Klebstoff“ oder pumpt die Spermatophore in die Öffnung hinein. Dort befindet sich das Receptaculum seminis, die Samentasche. Darin kann die Krakin die Spermien für eine Weile aufbewahren. Bei der Eiablage werden die Eier dann befruchtet. Oktpoden haben also eine innere Befruchtung!
Allerdings sind Kopulation und Befruchtung getrennt, auch darum ist es kein „Sex“ in dem Sinne.
Die achtfüßigen Denker unter den Weichtieren werden nur ein bis zwei Jahre alt.
Die meisten Kraken-Männchen werden mit drei und sechs Monaten geschlechtsreif, dann produzieren sie Spermatophoren und können in ½ oder 2/3 ihrer Lebenszeit reife Spermien an Weibchen weitergeben. Kraken-Weibchen werden meist mit vier bis neun Monaten geschlechtsreif und können dann ½ oder 2/3 ihrer Lebenszeit Spermien in ihren Receptacula seminis aufbewahren.
Das heißt aber nicht, dass sie auch wirklich die Hälfte ihres Lebens mit dem Fortpflanzungsakt verbringen. Kraken sind ausgeprägte Einzelgänger und ihre Paarungen sind eher kurz.
Aber heftig. Bisher haben Wissenschaftler vor allem Paarungen von Octopus vulgaris beobachtet, die Tiere sind häufig und in flachen Gewässern für Taucher gut erreichbar.
O. vulgaris hat zwei Fortpflanzungs-Positionen: Entweder lehnt sich das Männchen über das Weibchen und erklimmt sie regelrecht, dann steckt er den Hectocotylus unter ihren Mantel. Das sieht nicht zuletzt wegen der wallenden Armbewegungen recht gewaltig aus. Oder er sitzt neben ihr und steckt nur die Spitze des Hectocotylus mit der Spermatophore unter ihren Mantel. Dabei sehen beide so aus, als ob sie eigentlich nichts miteinander zu tun haben.
Manchmal paaren sich auch zwei Männchen gleichzeitig mit dem gleichen Weibchen. Da die Weibchen zwei Öffnungen von zwei Ovidukten haben, sollte es zumindest keine mechanischen Probleme geben.
Die Paarungen selbst dauern meist zwischen 30 und 120 Minuten. Die saugnapfbewehrten Arme setzt das Männchen zum Transport der Spermatophore und zum Festhalten ein. Die von Precht angesprochene und mit ausholenden Armbewegungen untermalte 16-armige leidenschaftlich-zärtliche Umarmung findet so nicht statt.
Stattdessen geht es um Leben und Tod: Der Krake läuft Gefahr, von der meist größeren und stärkeren Krakin gefressen zu werden. Sexueller Kannibalismus ist bei Kraken nicht unüblich. Allerdings schaffen die Männchen es vorher meistens noch, zumindest einen Teil der Eier zu befruchten und erreichen damit ihr Lebensziel: Die erfolgreiche Weitergabe ihres Erbguts.
Sowie die Krakin ihre Eier abgelegt hat – sie klebt sie fest oder umschlingt sie schützend- bewacht und verteidigt sie ihre Brut. Nach der Brut ist ihr auch Leben zu Ende, sie siecht dahin.
Die ebenfalls achtarmigen Cirrentragenden Kraken und Vampir-Tintenfische haben keinen Hectocotylus, diese Tiefseebewohner haben noch andere Fortpflanzungsstrategien, als ihre Verwandten aus den oberen Wasserschichten. Bei einigen zehnarmigen Tintenfischen können auch zwei Arme zum Hectocotylus modifiziert sein, andere haben gar keinen.
Das Geschlechtsleben der Oktopusse aus Gründen der Volksbelustigung so zu verfälschen und zu übertreiben finde ich schon unseriös.
Mehr Märchenstunde als Meeresbiologie.
Postfaktisch eben.
PS: Im Sinne des ursprünglichen Aufhängers, nämlich Prechts Engagement gegen die Massentierhaltung, möchte ich noch anmerken, dass ich Kopffüßer, also Kraken, Kalmare, Sepien und Tintenschnecken sehr gern mag. Ich hatte schon so nette Erlebnisse mit ihnen. Darum würde ich auch nie auf die Idee kommen, sie zu essen. Vielleicht mag der eine oder die andere diesen Beitrag auch zum Anlass nehmen, diese hoch entwickelten Wirbellosen künftig auch nicht mehr zu verzehren.
Alle nicht ausdrücklich gekennzeichneten Informationen stammen aus dem ausgezeichneten Buch „Cephalopod behaviour“ des Granden der Tintenfisch-Verhaltensbiologie Roger T. Hanlon (Professor (MBL), Ecology & Evolutionary Biology, Brown University).
Mehr über seine Forschung, ausgezeichnete Videos und sogar ganze Vorlesungen sind auf seiner Website „Hanlon-Lab“ zu finden.
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