Die Journalistin war gerade damit beschäftigt, dass in ihren offenbar nicht ganz geschlossenen Trockentauchanzug kaltes Meerwasser einsickerte, als sie eine Veränderung im Wasser spürte. Außer den etwa 50 Orcas und sehr vielen Heringen war noch etwas anderes im Fjord. Buckelwale kamen an, die schiere Wassermasse, die sie vor sich her schoben, konnte die Taucherin spüren, bevor sie die Wale sehen konnte.
Die großen Bartenwale kamen von unten heran. Da Bartenwale keine Echolokation betreiben, war Cristina klar, dass diese großen Tiere sie nicht sehen oder anderweitig wahrnehmen konnten. Eine gefährliche Situation für die Taucher, die jetzt nur noch daran dachten, den großen Mäulern möglichst schnell aus dem Weg zu schwimmen.
Dann durchbrachen die Bartenwale auch schon mit geöffneten Kiefern die Wasseroberfläche, das Maul voller Hering. Der Heringsschwarm löste sich schnell auf, Buckelwale und Orcas zogen davon.
Die Orcas schnappten sich sicherlich auch noch Fisch, aber garantiert haben sie weniger abbekommen, als erwartet.
Tiu Similä war von den Aufnahmen und den Erlebnissen der beiden begeistert: Bisher hatte nämlich niemand so recht verstanden, wie das Verhältnis der beiden ungleichen Walarten, die gemeinsam an den norwegischen Heringschwärmen auftauchten, war. Nun war es klar: Die Schwertwale erledigten die Arbeit des Aufspürens und Zusammentreibens, währen die Buckelwale erst in der Endphase dazukamen und sich dann einfach am gedeckten Tisch bedienten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte niemand damit gerechnet, dass die sanften Riesen mit den verführenden Gesängen den intelligenten Zahnwalen mit dem todbringenden Gebiss einfach die Beute abnehmen.
Der biologische Fachbegriff dafür ist Nahrungsopportunismus – eine Art passt sich flexibel an geänderte Umweltbedingungen an.
Nicht-biologisch betrachtet sind die Buckelwale Fischdiebe.
Zum Weiterlesen:
Die norwegischen Orcas zogen bis etwa 2005 jedes Jahr in den Tysfjord und waren dort beim Heringsfischen zu beobachten. Mittlerweile haben sich die Heringsschwärme verlagert, die Orcas sind ihnen gefolgt und seit 2009 sind sie regelmäßig auch vor den Vesteralen zu beobachten. Z. B. von Andenes aus.
Tiu Similä erforscht die nordnorwegischen Orcas schon seit Jahrzehnten.
In dieser WWF-Publikation hat sie Wissenswertes zu ihren Walen zusammengefasst:
https://www.wwf.se/source.php/1120374/%C5rsrapport%202005.pdf
Die spektakulären Bilder und der Originaltext dieser Beobachtung sind auf maptia: cristinamittermeier/stories/the-fish-thieves zu finden.
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