Orcas (Orcinus orca) sind die Top-Prädatoren der Meere. Sie sind die größten aller Delphine, ihrer Kombination aus Gebiß und Intelligenz kann sich kein anderes Meerestier widersetzen. Neben ihren körperlichen Eigenschaften ist es ihr Agieren in Gruppen, das sie zu so erfolgreichen Jägern macht.
Wo diese Zahnwale mit ihrem markanten schwarz-weißen Muster auftauchen oder auch nur ihre Ortungs-Clicks ertönen, ergreifen andere Wale die Flucht. Die Gruppen sind matrilinear organisiert, jeder Kleingruppe (Pod) wird von einem erfahrenen Weibchen angeführt. Der Rest der Gruppe besteht aus ihren Töchtern und Söhnen, sowie aus dem Nachwuchs der Töchter.
Orcas, auch Schwertwale oder Killerwale genannt, jagen sehr erfolgreich, die verschiedenen Populationen in den Weltmeeren haben unterschiedlich Jagdstrategien entwickelt, die sie als Teil ihrer Kultur von Generation zu Generation weitergeben.
Junge Schwertwale lernen das Jagen nicht nur von ihren Müttern, sondern gehen beim besten Jäger ihres Pods in die Lehre, wie die norwegische Orca-Forscherin Tiu Similää beobachtet hat.
Die norwegischen Orcas (Nordatlantik Population A, Subpopulation Norwegen) haben ihre regionale Jagdmethode auf Heringe perfektioniert: Sie treiben die kleinen Schwarmfische zusammen und fahren mit ihnen Karussel.
(Video: The Hunt for the Atlantic Herring – Ocean Geographic Orca Expedition)
Das heißt aber noch lange nicht, dass sie friedliche Fischfresser sind, sie schnappen sich zur Abwechslung auch mal einen Schweinswal.
In den produktiven Gewässern vor den Vesteralen sind sie nicht die einzigen Wale, die den Fischreichtum genießen, dort herrscht ein munteres Wal-Treiben. Orcas gehen anderen Top-Prädatoren wie Pottwalen oder Grindwalen eher aus dem Weg, bisher ist nicht beobachtet worden, dass sie große Bartenwale wie Zwergwale jagen und fressen. Stattdessen jagen sie offenbar mit Buckelwalen gemeinsam.
Buckelwale (Megaptera novaeangliae) sind bis zu 15 Meter große Bartenwale, die an ihren extrem langen, weißen Brustflossen gut zu erkennen sind. Diese Flipper sehen fast aus wie Flügel, Buckelwale scheinen im Wasser regelrecht zu fliegen. Als Bartenwale haben sie keine Zähne, sie filtern mit ihren Barten Fisch aus dem Wasser.
Mittlerweile gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass Buckelwale mitnichten zahn- und hilflose Bartenwale sind, sondern auch ganz anders können.
Vor Norwegen scheinen sie eher eine Koexistenz auf Augenhöhe mit den Orcas zu haben.
Beide Walarten haben es dort auf die großen Heringsschwärme abgesehen und treffen dann am gedeckten Fischbuffet aufeinander.
Manche Buckelwale allerdings wollen nicht teilen.
Der Unterwasser-Photograph Paul Nicklen (der mit dem See-Leoparden-Erlebnis in der Antarktis) und die Photographin und Journalistin Cristina Mittermeier haben 2016 eine spektakuläre Beobachtung gemacht. Die finnische Orca-Forscherin Tiu Similä hatte ihnen ermöglicht, die Orcas beim Carousel-feeding am Heringsschwarm zu filmen und zu beobachten, ein Auftrag für den „National Geographic“.
Beim Carousel feeding treiben die Schwertwale einen Teil eines großen Heringsschwarms aus der Tiefe an die Oberfläche und verdichten den Schwarm, indem sie mit Luftblasen und dem Zeigen ihrer weißen Bauchflecken die Heringe umkreisen und erschrecken.
Die silbernen Fische drängen sich dann immer dichter zusammen. Schließlich ist der Heringsschwarm so dicht gepackt, dass die Orcas mit Schwanzschlägen die Fische betäuben und sie dann einzeln essen. Ein fetter Hering (Clupea harengus) kann immerhin bis zu 45 Zentimeter lang und bis zu 1000 Gramm schwer werden, ist also auch für einen großen Zahnwal schon ein lohnendes Häppchen.
An der Oberfläche durchschnitten die hoch aufragenden Rückenflossen das Meer – die Finne eines Männchens kann immerhin fast zwei Meter hoch werden! Es war zu erkennen, dass unter der Wasseroberfläche eine ganze Menge passierte. Paul und Cristina tauchten also gemeinsam mit dem schwedischen Guide Göran in das dunkelgrüne Zwielicht des eisigen Andfjords, mitten unter die Orcas. Cristina Mittermeier beschreibt, dass ihr dabei nicht ganz wohl war. Immerhin waren die drei Taucher dabei, sich mitten zwischen jagende Orcas und ihre Beute zu bewegen!
Etwa eineinhalb Meter unter der Wasseroberfläche hatten die Schwertwale einen sehr großen Heringsschwarm zu einem Ball zusammengetrieben. Die Wale umkreisten die Fische wie ein Rudel Wölfe und drängten sie immer weiter zu einer kompakten Masse zusammen. Kälber schwimmen an der Seite ihrer Mütter und folgen ihren Bewegungen. Cristina Mittermeier beobachtete die minutiöse Choreographie und das perfekte Zusammenspiel der Meeressäuger
Ein Orca ist riesengroß – durchschnittlich 7 bis 8 Meter lang. Im Wasser wirkt er natürlich noch größer. Und wegen seiner Färbung ist dann ein riesiger Schatten zu sehen, mit weiß leuchtenden Flächen, der sich sehr schnell bewegt und geschickt manövriert. Dazu hallen die hohen Echolaute der Wale durchs Meer. Es muss ein unheimliches Erlebnis gewesen sein.
Die Journalistin war gerade damit beschäftigt, dass in ihren offenbar nicht ganz geschlossenen Trockentauchanzug kaltes Meerwasser einsickerte, als sie eine Veränderung im Wasser spürte. Außer den etwa 50 Orcas und sehr vielen Heringen war noch etwas anderes im Fjord. Buckelwale kamen an, die schiere Wassermasse, die sie vor sich her schoben, konnte die Taucherin spüren, bevor sie die Wale sehen konnte.
Die großen Bartenwale kamen von unten heran. Da Bartenwale keine Echolokation betreiben, war Cristina klar, dass diese großen Tiere sie nicht sehen oder anderweitig wahrnehmen konnten. Eine gefährliche Situation für die Taucher, die jetzt nur noch daran dachten, den großen Mäulern möglichst schnell aus dem Weg zu schwimmen.
Dann durchbrachen die Bartenwale auch schon mit geöffneten Kiefern die Wasseroberfläche, das Maul voller Hering. Der Heringsschwarm löste sich schnell auf, Buckelwale und Orcas zogen davon.
Die Orcas schnappten sich sicherlich auch noch Fisch, aber garantiert haben sie weniger abbekommen, als erwartet.
Tiu Similä war von den Aufnahmen und den Erlebnissen der beiden begeistert: Bisher hatte nämlich niemand so recht verstanden, wie das Verhältnis der beiden ungleichen Walarten, die gemeinsam an den norwegischen Heringschwärmen auftauchten, war. Nun war es klar: Die Schwertwale erledigten die Arbeit des Aufspürens und Zusammentreibens, währen die Buckelwale erst in der Endphase dazukamen und sich dann einfach am gedeckten Tisch bedienten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte niemand damit gerechnet, dass die sanften Riesen mit den verführenden Gesängen den intelligenten Zahnwalen mit dem todbringenden Gebiss einfach die Beute abnehmen.
Der biologische Fachbegriff dafür ist Nahrungsopportunismus – eine Art passt sich flexibel an geänderte Umweltbedingungen an.
Nicht-biologisch betrachtet sind die Buckelwale Fischdiebe.
Zum Weiterlesen:
Die norwegischen Orcas zogen bis etwa 2005 jedes Jahr in den Tysfjord und waren dort beim Heringsfischen zu beobachten. Mittlerweile haben sich die Heringsschwärme verlagert, die Orcas sind ihnen gefolgt und seit 2009 sind sie regelmäßig auch vor den Vesteralen zu beobachten. Z. B. von Andenes aus.
Tiu Similä erforscht die nordnorwegischen Orcas schon seit Jahrzehnten.
In dieser WWF-Publikation hat sie Wissenswertes zu ihren Walen zusammengefasst:
https://www.wwf.se/source.php/1120374/%C5rsrapport%202005.pdf
Die spektakulären Bilder und der Originaltext dieser Beobachtung sind auf maptia: cristinamittermeier/stories/the-fish-thieves zu finden.
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