Die art-abhängige Genital-Anatomie erklärt auch, warum Delphin-Arten in so unterschiedlichen Stellungen kopulieren. Schwarzdelfine (Lagenorhynchus obscurus) etwa kopulieren Bauch an Bauch. Große Tümmler (Tursiops truncatus) hingegen nehmen eher eine T-Stellung ein: Das Männchen kreuzt das Weibchen genau auf der Mittellinie. Schweinswale (Phocoena) mache es etwas komplizierter: Das Männchen wartet, bis die Angebetete Luft holt. Dann schießt er nach oben und versucht, seinen Penis in sie einzuhaken.
Auf die Frage „Könnten die Wale das nicht auch einfach zum Spaß machen?“ antwortet Dara Orbach: Ja, schon. Wale paaren sich ja das ganze Jahr über, auch wenn die Weibchen nur während eines beschränkten Zeitraums fruchtbar sind. Durch die Analyse der Genital-Anatomie können die Biologinnen nun sagen, welche Positionen zu einer erfolgreichen Befruchtung führen können und welche eher nicht. Wale kopulieren nämlich nicht nur zur Fortpflanzung, sondern aus ganz unterschiedlichen Gründen: Zum Spiel. Zur Festlegung der Hierarchie. Um Dominanz zu zeigen. Eine erfolgreiche Befruchtung ist nur möglich, wenn sich das Männchen dem Weibchen in einem ganz bestimmten Winkel nähert – alles andere ist aussichtslos.
Sie und ihre Kolleginnen sind die ersten Biologinnen seit Langem, die sich explizit mit diesem expliziten Thema beschäftigen (die letzte anatomische Forschung am Genitaltrakt von Walen fand zu Zeiten des kommerziellen Walfangs statt und beschrieb nur den Ist-Zustand ohne funktionsmorphologische Analysen). Sexualverhalten und Genitalanatomie waren als anrüchige Themen lange tabuisiert, meint Dara Orbach und sie hat dafür kaum Gesprächspartner gefunden. Mit der Vorstellung ihrer Forschung auf dieser Tagung hat sie nun aber ein ganz neues Forschungsfeld eröffnet.
Die geniale genitale Forschung hat sogar noch praktische Aspekte und könnten in Zuchtprogrammen nützlich sein: “Die von uns entwickelten Techniken lassen sich auch bei anderen Arten anwenden und könnten zum Beispiel für den Erfolg von Zuchtprogrammen hilfreich sein. So zeigt unsere Methode unter anderem, welche anatomischen Strukturen beim Geschlechtsakt miteinander in Kontakt kommen. Werden diese im Zuge einer künstlichen Befruchtung gezielt stimuliert, steigt womöglich die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis.”
Sex und Evolution
Die Ausbildung der Geschlechtsorgane für die erfolgreiche innere Befruchtung im aquatischen Lebensraum der Wale ist faszinierend.
Die Evolution der Anatomie der Geschlechtsorgane und des Vorgangs der Kopulation ist ohnehin ein ganz eigenes Gebiet der Evolutionsbiologie, das übrigens schon bei Spinnen aufsehenerregend ist. Dort ist die Analyse des Geschlechtsapparats mitunter sogar für die Bestimmung der Art wesentlich.
Die Entwicklung artspezifischer genitalanatomischer Strukturen ist nur in Korrespondenz mit äußeren Einflüssen zu erklären. Gleichermaßen ist die artspezifische Ausbildung natürlich auch ein Schutz gegen überartliches Fremdgehen und die Verschwendung von Ressourcen wie Spermien und Eizellen. Sinnvoll erklärbar ist das nur mit komplexen evolutiven Prozessen.
Es könnte unterhaltsam werden, Evolutions-Leugner damit zu konfrontieren. Und sie zu fragen, ob sie ernsthaft glauben, dass ihre jeweilige Gottheit sich mit der aufwändigen Modellierung artspezifischer geschlechtsanatomischer Merkmale beschäftigt. Vielleicht nach dem 10. Feierabend-Bier am Freitagabend? Oder nach einem ausgedehnten Joint?
Ein herzliches Dankeschön an Frank, für den Denkanstoß zu diesem anstößigen Thema.
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