Die großen Augen und ihr Verhalten zwischen Abwarten und gezielter Interaktion erweckten früh den Anschein von Intelligenz, die bei diesen Weichtieren erst viele Jahrzehnte später experimentell und anatomisch nachgewiesen wurde.
Ihr Körperbau und ihre Systematik sind allerdings so anders als die des Menschen, dass die vielarmigen Weichtiere mit den großen Augen immer wieder gern Vorbilder für Aliens abgeben.
Vom Monster zum Kult
Das Image der Tintenfische hat sich seit Vernes Zeit grundlegend geändert: Wir wissen heute, dass Kraken und Kalmare hochintelligent sind und ein ausgeklügeltes Sozialverhalten haben. Kraken überleben ihren Fang oft unverletzt und finden Aquarienhaltung offenbar akzeptabel. Bei Versuchen machen sie gern mit und verblüffen die experimentierenden Wissenschaftler immer wieder.
Aus seelenlosen Schreckenstieren sind gewitzte Spielkameraden, leidenschaftliche Liebhaber und intelligente Wesen geworden. Experimente im Meer und in Aquarien haben mittlerweile nachgewiesen, dass Kraken sehr einfallsreich und lernfähig sind: Sie stemmen Aquariendeckel hoch, um zu entfliehen und schaffen es, Schraubverschlussgläser zu öffnen, um an das darin liegende Futter zu kommen. Manche – wie der Krake Paul – arbeiten nebenberuflich sogar als Fußballorakel. Mittlerweile machen sich Naturphilosophen sogar Gedanken darüber, wie es sich anfühlt, ein Krake zu sein.
Durch ihre Kommunikationsfähigkeit und Problemlösungsstrategien haben sie mittlerweile hohe Sympathiewerte erreicht. Sie sind immer noch anders und geheimnisvoll, aber auf eine weitaus positivere Weise. Trotz ihrer Kommunikationsfähigkeit leben Kraken außerhalb der Paarungszeit allein. Nur zur Paarung treffen sich Männchen und Weibchen zu einem ausgedehnten Liebesspiel – immer eine Armeslänge auf Abstand. Vielleicht macht auch das Image des grüblerischen Eigenbrötlers mit ausgeprägten manuellen Fertigkeiten den Kraken zum idealen Steampunk-Idoltier?
Die exotischen Meeresbewohner haben sich jedenfalls einen festen Platz in der Bildsprache des Steampunk erobert: Sie sind Vorlagen für Schmuckdesigns und schmücken Abbildungen für unterschiedlichste Zwecke.
Die zahlreichen Kopffüßer im Steampunk dürften primär auf Vernes dramatische Krakenszene zurückzuführen sein und erst sekundär auf den Cthulhu-Zyklus und die Airkraken. Dadurch hat er dieses Genre auf jeden Fall maßgeblich beeinflusst.
Ganz ohne Frage haben einige von Jules Vernes Romanen Einfluss auf den Steampunk und ganz ohne Frage gehört „20.000 Meilen unter dem Meer dazu“.
Meiner Ansicht nach würde es allerdings etwas zu weit führen und zu eng gedacht sein, den berühmten französischen Schriftsteller als den „Vater des Steampunk“ zu bezeichnen. Schließlich hat er ursprünglich niemals ein schnörkeliges Design angedacht, das erst durch die Disney-Verfilmung mit seinem Namen assoziiert wurde. Ganz gewiss sind seine Geschichten aber der ideale Nährboden und Schauplatz, um mit verschnörkelten Designs und noch mehr Ideen angereichert zu werden.
Ganz sicher ist er, gemeinsam mit seinem Verleger Hetzel, einer der Begründer des Edutainment. Der geniale Verleger Pierre-Jules Hetzel und der geniale Schriftsteller Jules Verne liefen gemeinsam zu Höchstform auf und wurden gemeinsam berühmt, natürlich nicht ohne Meinungsunterschiede. Hetzel bestellte Geschichten, die einen edukativen Anspruch hatten, nicht zu düster oder brutal sein durften und ein gutes Ende haben mussten. Gleichzeitig engagierte er ausgezeichnete Illustratoren, die Vernes Werke mit ikonographischen Bildern versahen. Vernes Geschichten erschienen zunächst als Fortsetzungsgeschichtchen, erst danach gab es sie als Buch. Hetzel, ganz genialer Marketing-Stratege, legte dieses Erscheinen meist auf die Zeit kurz vor Weihnachten, so dass die Bücher begehrter Weihnachtsgeschenke für brave Kinder mit guten Zeugnissen waren. Die Eltern wussten um den Bildungsanspruch des Monsieur Hetzel und die Kinder verschlangen die spannenden Abenteuer aus der Feder des Monsieur Verne.
Edutainment vom Allerfeinsten und ein brillanter Ansatz zur Wissenschaftskommunikation. Und ein literarisches Denkmal für Kraken und Kalmare.
“Walking your Octopus” weckt jedenfalls Begehrlichkeiten, mir einen Octopus als Haustier zuzulegen – sooo schwierig scheint es ja nicht zu sein.
Dieser Essay basiert auf meinem gleichnamigen Vortrag “Jules Verne, die Tintenfische und der Steampunk”, der in diesem Jahr mal wieder in voller Länge zu hören ist: Auf der FaRK, dem Fantasie- und Rollenspiel-Konvent in Schiffsweile bei Saarbrücken, vom 25. bis 27. August. Neben den Kostümträgern und Kostümgruppen – Star Wars, Steampunk, postapokalyptisch, Meerjungfrauen, Orks, Ghostbusters und vielen anderen – gibt es auch viel Musik. Es ist ein wunderschönes Festival auf dem alten Bergwerksgelände der Grube Reden, die jetzt ein Wassergarten ist. Gleich neben dem Gondwanaland mit seinen Dinosauerien. Im Programm sind auch Titanen wie Dr. Hubert Zitt und Dr. Mark Benecke mit Vorträgen sowie Dr. Horatio Steam mit seiner Steampunk-Ausstellung.
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