Delphine brauchen jeden Tag große Mengen an Nahrung. Ein Großer Tümmler (Tursiops truncates) frißt etwa 7 bis 12 Kilogramm Nahrung täglich, das sind etwa 4-6% des Körpergewichts; die Großen Tümmlern im Golf von Mexiko (Western North Atlantic Coastal stock) erreichen 135 bis 635 Kilogramm Gewicht und 2 bis 4 Meter Länge.
Delphine sind Opportunisten, das bedeutet, dass sie das fressen, was da ist. Die intelligenten Zahnwale passen ihre Jagdstrategien regional und saisonal an und entwickeln immer wieder neue. Prey-Handling ist der Fachausdruck für das Jagen, Überwältigen und Verschlucken der Beute. Die Vielfalt und Raffinesse dieser Jäger des Ozeans war auf „Meertext“ schon häufiger ein Thema. Schnecken aus der Schale knallen, Oktopusse ins Koma prügeln und mit Schwamm-Schnabelschützern Fische aus dem Meeresboden ziehen – Delphine sind innovativ, wenn es um Proteine geht. Jetzt hat ein Delphinforscher-Team um Errol Ronje wieder etwas Neues beschrieben.
Ariopsis felis und Bagre marinus sind Kreuzwelse, sie leben im Golf von Mexiko. Welse – im Englischen heißen sie Katzenfische (catfish) – sind nicht gerade die Sprinter unter den Fischen und auch keine Tarnungs-Champions. Die meisten bieten allerdings eine fette Portion Fischfilet für viele Interessenten. Darum setzen Welse auf starke Defensiv-Techniken: Kreuzwelse tragen eine kreuzförmigen Platte auf dem Kopf, der Kopf ist also schwer gepanzert. Außerdem ist ein Flossenstrahl von Rücken- und Brustflossen zu einem gesägten Stachel ausgebildet und mit einer Giftdrüse verbunden. Welse können ihre spezifizierten Flossenstrahlen vom Körper abspreizen und dann einrasten, sie lassen sich also nicht einfach nach hinten klappen. Damit sind diese Fische keine leichte Beute. Die scharfkantigen Flossenstrahlen sind eine Gefahr für den weichen Delphinschlund.
Die Kreuzwelse sind aber eine zu verlockende Beute, denn hinter dem gepanzerten Kopf und den giftigen Flossenstrahlen hängt eine Menge Fischfilet. Delphine schnappen sich normalerweise ganze Fische, meist von der Seite. Die überraschend gerammten (Ram-Feeding) und von spitzen Zähnen durchbohrten (Piercing) Fische haben keine Chance mehr, zu entkommen – das Zahnwalgebiss ist wie ein Reptiliengebiss aufs Festhalten spezialisiert. Dann drehen die Wale die Fische mit der Zunge im Schnabel herum, so gleitet das geschuppte Tier mit dem Kopf voran und mit angelegten Schuppen und Flossen durch den Walschlund.
Katzenfische – fette Beute mit fiesen Stacheln
Bei Ariopsis und Bagre wäre das eine risikoreiche Methode des Prey-handling.
Mindestens 38 Delphine zeigten schwere Verletzungen vom Verschlucken ganzer Welse oder waren sogar gestorben, ergab die Auswertung der Aufzeichnungen des National Marine Mammal Health and Stranding Response Program (MMHSRP) von 1990 bis 2015.
In vielen Fällen fanden die Tierärzte und Biologen noch die im Weichgewebe steckenden Stacheln in Rachen, Zunge, Speiseröhre und anderen Stellen des Verdauungstraktes.
Der gepanzerte Kopf des Welses mit den gefährlichen sägekantigen Flossenstrahlen ist kein guter Ansatzpunkt für eine Mahlzeit, zu hoch ist die Verletzungsgefahr.
Zwischen April-Oktober versammeln sich die Welse in den Buchten und Ästuaren zum Hochzeiten und Ablaichen. In dieser Zeit sind ihre Gonaden und Fettspeicher besonders gut entwickelt. Fette Fische sind besonders nahrhaft – genau darauf haben es die Delphine abgesehen.
In dieser Zeit waren den Biologen im Jagdgebiet der Delphine immer wieder treibende Welsköpfe aufgefallen. Also schauten sie sich in der Nähe frisch geköpfter Fischköpfe nach Delphinen um. Die Tümmler konnten sie über die Rückenflossen und den Photo-ID-Katalog zuordnen. Dabei fiel auf, dass sich immer wieder die gleichen 8 Delphine an den entsprechenden Stellen aufhielten – über die individuell unterschiedlichen Rückenflossen lassen sich die Delphine per Photo-ID individuell zuordnen.
Außerdem konnten Errol Ronje und seine Kollegen die Tümmler beim Fressen beobachten. In manchen Fällen waren die Wale direkt mit den Welsen im Schnabel zu sehen – „Feed“ -, in anderen Fällen zeigten die Wale das entsprechende typische Verhalten an der Meeresoberfläche, ohne dass dabei der erbeutete Fisch zu erkennen war: „Probable Feed“. Die Verhaltensbiologie unterscheidet sauber zwischen 100-prozentigen Identifikationen und höchstwahrscheinlichen Zuordnungen. Das typische Schwimmverhalten eines Tümmlers bei der Fischjagd umfasst Beschleunigen, Sprünge aus dem Wasser, wiederholte flache, horizontale Tauchgänge, das Umkreisen der Beute und andere aufgeregte Manöver.
Die Delphine schnappen sich also die Welse von hinten und beißen das harmlose Hinterende des Fisches ab. Den gepanzerten Kopf mit den verletzenden Flossenstrahlen lassen sie treiben. Das Abtrennen des leckeren Hinterendes direkt hinter den gefährlichen Flossenstrahlen erfolgt präzise und immer gleich, durch das Schließen des Gebisses mit den ineinandergreifenden Zahnreihen und schüttelnde Körperbewegungen.
An einigen Orten treiben die Delphine die zur Fortpflanzung auf engem Raum versammelten Welse zusammen, um sich leichter einen fetten Fisch zu schnappen.
Quelle:
Errol I. Ronje , Kevin P. Barry, Carrie Sinclair: „A common bottlenose dolphin (Tursiops truncatus) prey handling technique for marine catfish (Ariidae) in the northern Gulf of Mexic” Published: July 12, 2017
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0181179
Zum Weiterlesen zur Verhaltensbiologie von Delphinen auf meertext:
Delphin-Verhaltensforschung: Delphine prügeln Oktopusse ins Koma
Delphinverhaltensforschung: Delphine „knacken“ Sepien mit regional unterschiedlichen Methoden
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