Der Sommer 2017 ist eine schlechte Zeit für die Nordatlantischen Glattwale: Im Juni und Juli sind im St. Lorenz-Golf (Kanada) schon 10 Tiere gestorben! 7 davon sind von Biologen und Veterinären untersucht worden, die Nekropsien wiesen jedes Mal auf Tod durch Schiffskollision (ship strike) oder Fischereinetzen (entanglement) hin.
Nördliche Glattwale oder Nordkaper (Eubalaena glacialis) sind gewaltige Geschöpfe, bis zu 16 Meter lang und bis zu 70 Tonnen schwer. Damit bringen sie fast das Gewicht eines doppelt so langen Blauwals auf die Waage. Rein metaphorisch, denn diese Waage ist noch nicht erfunden.
Alle Glattwalarten sind aufgrund ihrer dicken Fettschicht, der langen Barten und ihrer Langsamkeit bis an den Rand der Ausrottung bejagt worden, für die Walfänger in ihren Ruderbooten waren sie die richtigen Wale – „Right whales“. Im Nord-Atlantik erholen sich die Bestände langsam. Allerdings sind diese Meeressäuger immer noch in der höchsten Schutzkategorie: „Endangered = EN“. Ihr Bestand im Nord-Atlantik wird zurzeit auf 525 Tiere geschätzt. Glattwale können mehr als 75 Jahre alt werden und sie pflanzen sich sehr langsam fort.
Der St. Lorenz-Golf ist das Ästuar des St. Lorenz-Stroms, ein 236.000 Quadratkilometer großes Seegebiet und bis zu 148 Meter tief. In diesem Jahr sind hier, dicht vor der kanadischen Küste mit der Großstadt Quebec mit ihrem hohen Schiffsverkehrsdichte und der Fischerei, im Juni und Juli schon insgesamt acht tot treibende Nordkaper gesichtet worden.
Acht tote Glattwale sind eine Katastrophe für den nur langsam wieder wachsenden Bestand!
Acht tote Nordkaper, ein toter Finnwal und ein toter Walretter
Die schlimmsten Bedrohungen für den kleinen verbliebenen kleinen Nordkaper-Bestand sind anthropogen: Schiffskollisionen, Entanglement (Verfangen in Fischereigeschirr) und Unterwasserlärm.
Die ersten drei toten Nordkaper trieben auf See. Die Fisheries and Oceans Canada (DFO: Department of Fisheries and Oceans) und Krabbenfischerboote hatten die Kadaver am 6., 18. und 19. Juni zwischen New Brunswick und den Magdalen Islands gesichtet.
Drei tote Glattwale innerhalb eines Monats reichten schon aus, um die walwissenschaftliche Community in Alarmzustand zu versetzen. So viele tote Wale gibt normalerweise in einem ganzen Jahr. Eine solche Häufung von Todesfällen innerhalb eines so kurzen Zeitraums ist ein „unusual mass mortality event“ – ein ungewöhnliches Massensterben – und erfordert schnelles Handeln, um die Ursache zu finden und abzustellen.
Der zweite Wal und der frischeste Kadaver war aus dem Photo-ID-Katalog bekannt als Nummer “#1207”. Ein Männchen unbestimmten Alters, der seit 1980 als Individuum erfasst ist und zuletzt im Juni 2014 fotografiert wurde. Er hielt sich in den Gewässern vor Maine auf, besuchte manchmal Florida und Georgia und wurde im August 1998 auch in der St. Lorenz-Bucht beobachtet.
Am 22. Juni entdeckte die Walbeobachter bereits den vierten toten Wal: Das 11 Jahre alte Weibchen „Starboard“. Sie ist bei Luftaufnahmen sehr leicht zu identifizieren, da ein großer Teil ihrer rechten Flukenhälfte fehlt.
Am 25. Juni waren es schon fünf Wal-Kadaver.
Zu diesem Zeitpunkt lief bereits ein groß angelegtes Programm der zuständigen Behörden der USA und Kanadas an, dass die toten Tiere erfassen sowie Proben nehmen und untersuchen sollte. Neben den toten Wale wurden bei den sofort verstärkten Aerial Surveys (Survey mit Flugzeugen) durch NOAA und Environment Canada sowie Schiffspatrouillenfahrten auch ein paar Dutzend lebende Glattwale gesichtet.
In einer Krisensitzung berieten das Department of Fisheries and Oceans (DFO) und Partner aus den USA und Kanada über das weitere Vorgehen. Nun ging es darum, möglichst schnell möglichst viele der toten Tiere an Land zu bringen, um dort mit einer umfassenden Nekropsie die Todesursache zu finden. Bei einem so großen Tierkörper ist das ein erheblicher logistischer Aufwand. Die Nekropsie muss zeitnah erfolgen, da die Walkörper unter der dicken Blubberschicht extrem schnell verwesen. Teams der DFO, der Canadian Coast Guard, der Marine Animal Response Society (MARS) und der Canadian Wildlife Health Cooperative hatten drei Wal-Kadaver schon mit Satelliten-Transmittern versehen, so dass die treibenden Fleischberge für weitere Probennahmen wieder auffindbar waren. Ein anderer Walkörper schien stationär verankert zu sein – ein Hinweis darauf, dass er sich in Fischereigeschirr verfangen hatte (Entanglement).
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