Extraterrestrische Pilzkunde – Astromykologie – ist in Science und Fiction deutlich unterrepräsentiert. Dabei sind Pilze ungeheuer faszinierende Organismen, mehr Tier als Pflanze, uralt, jagend oder zersetzend-absorbierend und in unseren Ökosystemen vollkommen unersetzlich.
Pilze sind keinesfalls Pflanzen, sondern stehen mit ihren Chitin-Zellwänden und ihrem Stoffwechsel den Tieren viel näher als den Pflanzen. Die uns allen wohl bekannte Pilzform aus Hut und Ständer ist nur der Fruchtkörper dieses Wesens, in dem die Sporen heranreifen. Sind die Sporen reif und im Winde verweht, vergeht der Fruchtkörper extrem schnell zu dunklem Schleim. Der größte Teil des Pilzes ist ein unterirdisches Geflecht aus vielen feinen Pilzhyphen. Fadenfein und bleich bildet dieses dichte Geflecht das meist unsichtbare Myzel (engl: mycelium) des Pilzes, aus dem die Fruchtkörper bei passender Temperatur und Luftfeuchtigkeit emporschießen.
Solche Myzelien können sehr alt und sehr groß werden: Biologen schätzen einen Pilz in Oregon auf über 2200 Acres (965 Hektar oder 1.665 Fußballfelder) groß und ein Alter von 2000 Jahren. Jetzt haben die Pilze ihren großen Auftritt auf der Leinwand und im Science Fiction-Universum: In der neuen Star Trek-Serie „Discovery“.
(Achtung: Spoiler-Alarm!)
Die USS „Discovery“ erreicht nämlich mit ihrem Sporenantrieb wahnwitzige Geschwindigkeiten und springt in einem interstellaren Pilzmyzel durchs All. Herr über Pilze und Sporenantrieb an Bord der USS „Discovery“ ist der Astromykologe Lieutenant Paul Stamets. Und der Pilz im Mittelpunkt des Geschehens ist ausgerechnet Prototaxites.
Weltraum, 23. Jahrhundert: Code Black – der Sporenantrieb der USS „Discovery“
Ein feines Geflecht aus makroskopisch nahezu unsichtbaren Pilzfäden, dem Myzel, erstreckt sich über das Weltall. Innerhalb dieses Myzels bewegt sich die USS “Discovery” wie in einem gigantischen Netz, analog eines Computer-Netzwerks, wie etwa in Matrix.
In einer Pilzkammer – dem Pendant zu einem botanischen Garten, aber eben für Pilze – wird der Pilz Prototaxites stellaviatori gezüchtet und seine Sporen geerntet. Diese Pilzkammer ist mit einem Atem-Scanner streng gesichert, schließlich ist Prototaxites eine Geheimwaffe. (Eine beeindruckende Abbildungen der Sporenkammer findet sich etwa auf memory alpha).
Die Sporen aus der Brutkammer erstellen dann eine Verbindung zwischen dem Raumschiff und dem mikrozellularen Myzel, gesteuert wird durch einen ins Netzwerk integrierten Navigator. Auf der USS „Discovery“ ist es zunächst ein überdimensionaler Tardigrade, also das raumfahrerprobte Bärtierchen, später der Astromykologe Lieutenant Paul Stamets selbst.
Die Pilzsporen glitzern wie Einhornstaub oder magic mushrooms und visualisieren damit plakativ, dass diese Technologie den Boden der Logik verlässt und in Richtung Esoterik davontänzelt.
(Ein herzliches Dankeschön an Peter für den Vergleich mit den Magic Mushrooms und an Peter und Cara für den Vergleich mit Dune und dem Spice der Navigatorengilde!).
Erde, Devon: Riesenpilze beherrschen die Landschaft
Im Devon – vor 420 bis 360 Millionen Jahren – wuchsen Pilz-Säulen bis zu 9 Meter hoch in den Himmel, ihr Umfang war mit bis zu einem Meter Durchmesser dick wie ein Baumstamm.
Die Pilze sind vor etwa 1,2 Milliarden Jahren an Land gegangen, mehrere Hundert Millionen Jahre vor den ersten Pflanzen. Diese Urvegetation war aber noch wenig spektakulär und ragte kaum mehr als 60 Zentimeter über den Erdboden empor.
Solche Säulenpilze wuchsen einst auch in Deutschland, etwa dort, wo heute die Eifel ist. Der Name des devonischen Riesenpilzes: Prototaxites hefteri.
Der europäische Riesen-Säulenpilz Prototaxites hefteri ist fossil auch aus Holland, Schottland und Wales bekannt.
Andere Prototaxites-Arten wuchsen ins Kanada, Saudi-Arabien und andern Orten der Welt. In einer Welt, bevölkert mit kleinen Pflanzen und nicht sehr großen wirbellosen Tiere dominierte dieser Urpilz die devonischen Landschaften – ein Godzilla unter den Pilzen, wie der New Scientist schreibt.
Paläontologen haben diese längst vergangenen Ökosysteme der Riesenpilze als nahe an Flüssen oder Küsten rekonstruiert. Ist so ein Riesenpilz umgefallen, konnte er im Schlamm eingebettet werden und durch die Einschwemmung von in Wasser gelösten Mineralien versteinern. Die Fossilien haben nur die säulenförmigen Fruchtkörper überliefert, über das unterirdische Myzel ist heute nichts bekannt.
Mehr über die Lebensweise von Prototaxites und andere fossile Pilze sowie gute Abbildungen bietet der Palaeocast “Episode 69: Fungal symbioses”.
Prototaxites hat eine abenteuerliche Erforschungsgeschichte hinter sich: Er ist so oft systematisch umsortiert und umetikettiert worden, dass er schon ein paläontologischer Mythos ist.
Der Geologe Dawson fand 1859 in Kanada ein über 2 Meter langes, und fast einen Meter dickes Fossil, das er in die Verwandtschaft der Eibengewächse (Taxaceae) einordnete; der Name Prototaxites bedeutet so viel wie „Vor-Eibe“. Spätere Paläontologen interpretierten das Riesenwesen dann als Grünalge und 1979 als Tang. 2001 wurde aus der Alge wieder ein Pilz und kurze Zeit später eine Flechte, also eine Lebensgemeinschaft aus Pilz und Alge.
2007 fanden Boyce und seine Arbeitsgruppe neue Argumente für die Pilzhypothese.
Das Problem bei diesen Fossilfunden ist, dass durch die Versteinerung zwar die Größe des Lebewesen erhalten blieb, dessen Strukturen aber dabei nur teilweise erhalten bleiben und sich mit anderen Fossilien, etwa Pflanzenteilen, teilweise überlagern. So kam es immer wieder zu Diskussionen, ob die fossilen Pilzhyphen ein elementarer Bestandteil des Fossils oder eher eine Verunreinigung waren.
Boyce und sein Team haben nun nicht nur einfach die versteinerten Zellverbände interpretiert, sondern zusätzlich auch eine Isotopenanalyse durchgeführt. Das Verhältnis der stabilen Kohlenstoff-Isotope 12C und 13C zueinander gibt Auskunft über die Aufnahme dieser Isotope über Atmung und Nahrung sowie letztendlich zur Herkunft eines Organismus.
Pflanzen nehmen Kohlenstoff nur über das Kohlendioxid aus ihrer Umgebung auf. So bleibt Ihr Isotopenverhältnis von 12C zu 13C ihr ganzes Leben über gleich und entspricht dem der Atmosphäre – je nach Lebensweise, tagsüber oder nächtens. Bei Tieren bildet das Isotopenverhältnis ihre Lebensweise, die Nahrungsaufnahme und ihren Lebensraum ab, das terrestrisch und marin lebender Tiere unterscheidet sich.
Pilze nehmen als Nahrung organische tote Stoffe auf. Dabei sind sie nicht wählerisch, sondern verdauen viele verschiedene tote Lebewesen. Diese unterschiedlichen Nahrungsquellen haben unterschiedliche Isotopenverhältnisse. Werden sie gefressen oder chemisch verdaut, bleiben die Isotopenverhältnisse erhalten. Die unterschiedlichen Isotopenverhältnisse aus den Prototaxites-Fossilien weisen also auf eine andere Lebensweise als die der Pflanzen hin, erklärt Boyce.
Paul Stamets – ein Astromykologe und ein echter Mykologe
Lieutenant Paul Stamets ist ein Astromykologe. Gemeinsam mit seinem Kollegen Straal experimentierte der Wissenschaftler mit einem neuartigen Raumschiff-Antrieb auf der Basis von Pilzen. Als 2256 der Krieg zwischen der Föderation und den Klingonen ausbricht, nutzte die Sternenflotte diese neue Technologie für militärische Zwecke: Stamets soll den neuen Antrieb auf der USS Discovery weiterentwickeln und erproben, Straal auf der USS Glenn.
Dr. Paul Stamets ist ein echter Mykologe mit viel mykologischer Leidenschaft. Sein TEDx-Talk (s. u.) über Pilze ist ein Potpourri von Ideen zur Anwendung von Pilzen und unbedingt sehenswert. Der Pilzforscher hält eine ganze Reihe von Pilz-Patenten, etwa zur effektiven biologischen Schädlingsbekämpfung und für medizinische Anwendungen. Pilze hält er für eine Lösung für die Energieprobleme: Mycelien verwandeln Cellulose in Pilzzucker um, woraus wiederum Alkohol als Treibstoff produziert werden kann. “Econol” nennt Stamets diesen Pilzfusel.
Beeindruckend ist auch die Effektivität der haardünnen Geflechte als ökologische Aufräumtruppe: Ein Pilzmyzel kann etwa nach Ölkatastrophen die organischen Verbindungen des Öls aufbrechen und in unschädliche Substanzen umwandeln, auf denen schnell wieder alles wächst und gedeiht. Diese Fähigkeit der Pilze, Gestein, Schweröl und andere Substanzen schnell in fruchtbaren Boden umzuwandeln, macht sie zu Wegbereitern für ganze Ökosysteme. Stamets hat mehrere Systeme entwickelt, Pilzkulturen in Sporenform global zu versenden, die an jedem Ort der Welt schnell ein neues Ökosystem induzieren können.
Stamets´ Pilz-Begeisterung ist der Sporenantrieb der USS „Discovery“ zu verdanken und wohl auch einige der Charakterzüge des Sternenflotten-Astromykologen. Etwa dessen Begeisterung für seine Forschungsobjekte und sein schnelles Rezitieren seiner Forschungsergebnisse. Zum Dank haben die Star Trek Discovery-Schöpfer ihren Film-Astromykologen nach ihm benannt und ihm so ein Denkmal unter den Nerds verschafft.
Hier ist das ausgezeichnete TEDx-Video „Paul Stamets: 6 ways mushrooms can save the world“:
Quellen:
Prototaxites:
https://www.nysm.nysed.gov/staff-publications/affinities-and-architecture-devonian-trunks-prototaxites-l
Boyce, K.C.; Hotton, C.L.; Fogel, M.L.; Cody, G.D.; Hazen, R.M.; Knoll, A.H.; Hueber, F.M. (May 2007). “Devonian landscape heterogeneity recorded by a giant fungus” (PDF). Geology. 35 (5): 399–402. Bibcode:2007Geo….35..399B. doi:10.1130/G23384A.1.
Der ausführliche englische Wikipedia-Artikel enthält umfangreiche Quellenhinweise:
https://en.wikipedia.org/wiki/Prototaxites
Star Trek Discovery:
https://www.gamesradar.com/how-mushrooms-fuel-star-trek-discoverys-experimental-transport-technology/
Kommentare (92)