Agil und intelligent – Raptoren gelten als die Königsklasse der Dinosaurier. Nicht zuletzt durch das ultimative Dinosaurier-Marketing-„Jurassic Park“, sowohl den Filmen als auch den Romanen von Michael Chrichton, jagen diese Jäger des Erdmittelalters den meisten Menschen einen wohligen Schrecken ein. Vor allem die Vorstellung, dass die intelligenten Echsen geplant und koordiniert als Rudel agieren könnten. Was bei zumindest einigen Arten im Bereich des Vorstellbaren liegt. Paläontologisch nachgewiesen ist, dass auch die Brutpflege zum Verhaltensrepertoire der Raptoren gehörte.
Aber das Leben der Raptoren dürfte noch wesentlich vielfältiger gewesen sein, als Jurassic Park uns so farbig erzählt hat. Eine wichtige Facette fehlte noch. Die soll mit diesem Beitrag nachgestellt werden. Dazu ein kurzes narratives, Jurassic Park-mäßiges Intro:
Ein T. Rex ragt hinter dem Zaun seines Geheges auf. Der Echsenblick scannt das Revier nach Beute, Eindringlingen und anderen Auffälligkeiten aufmerksam ab. Der muskulöse Schwanz hält das riesige Reptil aufrecht auf den Hinterbeinen in einer beeindruckenden Pose. Auf einmal kommt Bewegung in den Dino – er kratzt sich am Kopf. Vielleicht mit einem der kurzen Vorderbeine? Oder, wie die heutigen Vögel es tun, in einer artistischen Einlage mit einem der Hinterbeine? Oder hat er sich lieber an einem Baum geschubbert? Das werden wir wohl nie erfahren. Aber, soviel ist sicher, auch Dinosaurier hatten mit Hautparasiten und sicherlich anderen ungewollten Mitbewohnern zu kämpfen.
Die Dino-Zecke aus dem Bernstein
Ein Team von Paläontologen hatte fossile Zecken untersucht, die vor 99 Millionen Jahren im heutigen Myanmar in Baumharz eingeschlossen wurden. Burmesischer Bernstein enthält immer wieder wichtige Stücke des 99 Millionen Jahre alten Ökosystems und hat schon mehrfach mit exquisit erhaltenen Fossilien für Aufsehen gesorgt.
Private Sammler hatten die Bernsteine mit ihrem kostbaren Inhalt entdeckt und ihren Wert erkannt. Nun steht fest: Auch Dinosaurier wurden schon vor 99 Millionen Jahren von blutsaugenden und an der Haut schmarotzenden Parasiten geplagt, darunter Zecken.
Eines der erdmittelalterlichen Spinnentiere war, auf einer Dinosaurierfeder sitzend, in Baumharz eingeschlossen worden und dann in der goldenen Zeitkapsel des Bernsteins schließlich auf dem Tisch heutiger Paläontologen gelandet. Der Traum eines Paläontologen, a „paleontologist‘s dream“, wie Ricardo Perez-de la Fuente, ein Paläontologe des Oxford University Museum of Natural History, gegenüber der Presse erklärte.
Zwei der Bernsteine sind paläontologisch besonders bedeutsam: Eine Zeckennymphe, also ein noch nicht erwachsenes Tier, das sich noch an eine Feder klammerte. Da Vögel fossil in der Region des heutigen Myanmar erst 25 Millionen Jahre später aufgetreten sind, muss diese Feder von einem gefiederten Dinosaurier stammen. Die Zecke war bereits aus anderen fossilen Stücken beschrieben als Cornupalpatum burmanicum. Aber hier war der erste Nachweis des Zusammenhangs zwischen der Zecke und einem Dinosaurier!
Das andere besonders wichtige Stück Bernstein enthielt eine neue Zeckenart: Zwei Exemplare von Deinocroton draculi, Draculas schreckliche Zecke. Dieser Zecke hafteten Haare eines wohlbekannten Käfers an. Die Larven dieser Käfer leben in heutigenVogelnestern und ernähren sich von Haut- und Federresten. Sie kommen dort in so großer Anzahl vor, dass ihre verloren Haare in Nestern regelrechte Matten bilden können, wie Perez-de la Fuente in einem ausführlichen Interview erklärte. Zu welchem Raptoren diese Zecken gehörten, dazu könnte er nur vage Vermutungen anstellen.
David Grimaldi, ein Entomologe des American Museum of Natural History und ebenfalls an der Studie beteiligt, lieferte neben dem Zitat „Holy Moly this is cool“ auch noch Überlegungen, dass die Zecke ja, um in Bernstein eingeschlossen zu werden, am ehesten auch in einem Baum gelebt haben müsse. Und da im gleichen Bernsteinklumpen gleich zwei Parasiten versteinert sind, weist das auf eine gewisse Parasitendichte hin – das lässt sich am besten durch ein Nest erklären. Er vermutete, dass die noch nicht nicht ausgewachsene Zecke am ehesten an einem Dinosaurier-Küken gesaugt haben müsse. An einem geschlüpften Dinosaurierlein von der Größe eines Kolibris – ein Küken einer kleinen Raptorenart. Die haben in Bäumen gelebt und sind manchmal in größere Klumpen (O-Ton: Blobs) von Baumharz gefallen. Wenn die nur vogelgroßen Raptoren sich nicht aus der zähen Substanz befreien konnten, sind sie darin verendet oder haben zumindest Teile ihres Körpers verloren. In ihrem goldenen Schneewittchen-Sarg sind die Raptörchen – oder eben ihr Schwanz – dann perfekt erhalten geblieben, wie auch andere kleine Tiere oder Pflanzen. Der Myanmar-Bernstein gewährt uns einen Blick in den Mikrokosmos des Lebens in den Bäumen vor 99 Millionen Jahren, so Grimaldi.
Das Jurassic Park-Szenario – der Traum vom Dino-Klon aus der Bernstein-Konserve
James Zigras und Scott Anderson hatten die Stücke fossilen Baumharzes mit den besonders wertvollen Inklusen von lokalen Bernsteinhändlern online gekauft. Anderson hatte die Zecke erkannt und den prall gefüllten Achtbeinigen Parasiten auf einer paläontologischen Tagung vorgestellt. Er hatte gehofft, aus dem Blut noch Dinosaurier-DNA gewinnen zu können. Genauso, wie Chrichton es in Jurassic Park beschrieben hatte. Leider war Chrichtons Szenario eher hypothetisch, in der Realität ist aus so altem Blut oder anderem Gewebe keine DNA mehr erhalten. Die Erbinformation zerfällt in so langen Zeiträumen und lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Stattdessen tat sich Anderson dann mit dem Team um Perez-de la Fuentes zusammen, um der Zecke ihre sonstigen paläontologischen Geheimnisse zu entreißen. Letztendlich gelangten die Bernsteine mit ihren wissenschaftlich bedeutsamen Inhalten in Museumssammlungen – so führte die Aufmerksamkeit privater Sammler und ihre Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern mal wieder zu großartigen Entdeckungen.
(Quellenangaben und Publikation s. u.)
Homestory: Sonnenfinsternis und Dinosaurier
Einer der zitierten Beiträge stammt von Nicholas St Fleur – einem vielseitig interessierten jungen Wissenschaftsjournalisten der New York Times. Ich traf ihn im vergangenen Jahr beim großen Sonnenfinsternis-Event in Carbondale bei universitären Sonnenfinsternis-Symposium. Dabei kam er mit unserer Amateur-Astronomen-Clique ins Gespräch und machte mit unserer Freundin Hillary noch direkt nach der Finsternis ein Telefon-Interview aus Darwins Garten. Nicholas selbst hatte im Stadion der Southern Illinois University, gemeinsam mit anderen hochkarätigen Wissenschaftsjournalisten, NASA-Experten und vielen anderen Eclipsis-Begeisterten, die Sonne bis zum Diamant-Moment beobachtet, konnte dann fasziniert eine Wolke betrachten, und beim nächsten Diamant-Moment wieder die Sonne anschauen. Hillary gab ihm dann einen begeisterten Bericht von unserem Standpunkt – wir hatten ALLES gesehen. Anschließend bekam sie jede Menge begeisterter Mails von ihren Kolleginnen, die ihren Namen in der New York Times gelesen hatten.
Die Welt ist eben doch nur ein Dorf, man trifft regelmäßig die gleichen Leute wieder.
Ein Plagegeist geht baden
Auch marine Säugetiere wie Wale und Robben haben ihre ganz persönliche Ektoparasiten-Fracht. Und natürlich auch eine erlesene Auswahl an Endoparasiten, aber um die soll es hier nicht gehen.
Wale haben Walläuse. Der Trivialname Wallaus bildet zwar die Ökologie des Parasiten ab, ist systematisch jedoch irreführend. Der kleine Arthropode ist abgeplattet wie eine Laus und verankert sich mit hakenförmigen Endgliedern der Beine fest am Wirt. Die vermeintliche Laus ist aber ein hoch angepasster und umgeformter Flohkrebs der Gattung Cyamus. Insekten wären mit den langen Tauchgängen der Wale überfordert. So haben die Waltiere im Laufe ihrer fast 60 Millionen Jahre langen Evolution ihre Milben- und Insektenfracht ertränkt. In die frei gewordenen ökologischen Nischen sind andere vielbeinige und hochseetaugliche Plagegeister eingezogen: Die große Gruppe der Krebse mit ihrer Formenvielfalt hat für jede ökologische Nische und jede Aufgabe das passende Artenspetrum mit dem passenden Mundwerkzeugsatz. Die MacGyvers unter den Meerestieren. Seitdem plagen Wale sich mit Walläusen, die sich an superglatter Haut bei starker Strömung festhalten können und Seepocken, die sich an rauen Stellen wie den hornschwieligen Mützen oder Berets der Glattwale und den Pedunkeln der Buckelwalfliper ansiedeln. 58 Millionen Jahre sind eben eine Menge Zeit für die Entstehung ausgefeilter Wirts-Parasiten-Beziehungen.
Robben oder Flossenfüsser hingegen haben sich erst vor etwa 30 Millionen Jahren aus den Carnivoren heraus entwickelt. So sind sie wesentlich weniger perfekt an die aquatische Lebensweise angepasst, gehen noch regelmäßig an Land und strecken beim Atmen immerhin noch die an der Schnauzenspitze liegende Nasenöffnung aus dem Wasser. So haben sie bisher auch die treuesten äußeren Plagegeister der Säugetiere mit ins Wasser genommen: Flöhe, Läuse und Milben. Die Plagegeister sammeln sich gern an der Schnauzenspitze der Robbe, so dass sie beim Luftschnappen auch ihr Quantum Atemluft abbekommen. Danach heißt es für Floh und Robbe wieder: Luft anhalten. In der nicht sehr langen Spanne der Robben-Evolution ist es noch nicht zur Ausbildung spezifisch angepasster Krebse als Ekto-Parasiten gekommen, durch den nicht nicht vollständigen Übergang zum aquatischen Leben können Insekten mit der Situation noch zurechtkommen.
Einige Milbenarten sind gleich in den Nasenraum der Südlichen See-Elefanten und Weddell-Robben umgezogen, wo sie gegen Wasser und Kälte gut geschützt und mit ausreichend Luftvorrat selbst die langen See-Elefanten-Tauchgänge locker aussitzen können. Dieser Parasiten-Befall führt zu einer erheblichen Schleimabsonderung in der FlossenfüßerNase und die geplagten Robbe versucht, sich mit kapitalen Niesern davon zu befreien. Darum ist es eine gute Idee, sich keinesfalls vor die Nase eine Südlichen See-Elefanten oder einer Weddell-Robbe zu stellen, denn solch eine Schleimfontäne möchte niemand auf seinem Schneeanzug haben. Meiner Kenntnis nach sind diese Milben die einzigen Spinnentiere, die in der Antarktis heute leben.
Solche Parasiten-Wirts-Beziehungen sind beeindruckende Beispiele für Ko-Evolution. Wer dann immer noch nicht an Evolution „glaubt“, möge sich in die Situation eines Flohs auf einem Wal versetzen und einfach mal 137,5 Minuten Minuten die Luft anhalten. Danach können wir dann gern weiterdiskutieren.
Hier ist noch ein Video über die Walläuse eine gestrandeten Buckelwals:
Zum Weiterlesen zu den Myanmar-Bernstein-Funden:
Enrique Peñalver et al: “Ticks parasitised feathered dinosaurs as revealed by Cretaceous amber assemblages”; Nature Communications volume 8, 12 December 2017; Article number: 1924 (2017);doi:10.1038/s41467-017-01550-z
NY Times; Nicholas St. Fleur: “Ticks Trapped in Amber Were Likely Sucking Dinosaur Blood”
Guardian; Ian Sample: Meet Dracula, the bloodsucking tick which feasted on dinosaurs 99m years ago
Science Mag; Gretchen Vogel: “Science 99 Million year old Ticks sucked Blood of Dinosaurs”
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