Ein Wissenschaftler-Team um Professor Rus Hoelzel der Durham University (UK) hat eine Population (Bestand) von Grenadierfischen unter die Lupe genommen: Innerhalb dieses Bestands leben erwachsene Rundnasen-Grenadierfische (Coryphaenoides rupestris) in unterschiedlichen Tiefen des Meeres.
Die Bewohner einer Tiefenstufe haben die gleiche genetische Ausstattung und sehen sich äußerlich extrem ähnlich. Die Bewohner unterschiedlicher Stockwerke des Ozeans unterscheiden sich sowohl genetisch als auch in ihrer Körperform voneinander. Hoelzel und seine Kollegen erklären diese Aufspaltung innerhalb des Bestands mit den großen Unterschieden der Ökosysteme im mittleren Bereich des Ozeans und in der Meerestiefe von etwa 1000 Metern – in dieser Tiefenstufe endet der Einfall des Lichts. Die ozeanischen Ökosysteme darüber und darunter sind signifikant unterschiedlich, die 1000 Meter-Marke scheint eine regelrechte ökologische Barriere zu sein.
Die Rundnasen-Grenadierfische vor den Orkney-Inseln sind Lehrstück für natürliche Selektion aus der Tiefe des Meeres.
Grenadierfische sind Dorschartige und spezialisiert auf das Leben in den tieferen Wasserschichten. Mit ihren großen Augen nnutzen sie auch noch das Restlicht weit unterhalb der Meeresoberfläche aus, Sie schmecken zwar ähnlich gut wie andere Dorsche, sehen mit ihren lang gestreckten, spitz zulaufenden Schwänzen allerdings ganz anders aus: Wegen des langen dünnen Schwanzes ohne Schwanzflosse werden sie auch Rattenschwänze genannt, oder kurz: Ratten.
Es gibt verschiedene Arten, die zwischen 10 und 110 Zentimetern lang werden können. Sie fressen, wie alle Dorsche, kleine Fische. Entsprechend ihrem Lebensraum in der Tiefe des Meeres fangen Grenadiere kleine Tintenfische, frei schwimmende Krebse und kleine Fische, wie Leuchtsardinen. Leuchtsardinen (oder Laternenfische) sind für viele mittelgroße Fische eine so wichtige Nahrungsgrundlage wie Fischstäbchen für Menschen der Industrienationen.
In der vorliegenden Studie ging es um Rundnasen-Grenadierfische. Diese Grenadierfisch-Art lebt zwischen 260 und 2600 Metern Tiefe im Nordatlantik, was eine sehr große vertikale Spannweite ist. Vor 15 Jahren begannen wir die Erforschung dieser Fischer, erklärt A. Rus Hoelzel, im Rahmen der groß angelegten Projekte Census of Marine Life und ‘MAR-ECO’.
Zunächst wollten die Biologen die Verdriftung der Larven mit den ozeanischen Strömungen analysieren, um die Verbreitungsmuster der erwachsenen Fische besser zu verstehen. Ein Grenadierfisch gibt bei der Fortpflanzung etwa 100.000 Eier von 1 bis 2 Millimetern Durchmesser ab. Die Eier enthalten Öltröpfchen und schwimmen so im freien Ozean. Die Jungtiere leben in mittlerer Wassertiefe, erst als Erwachsene können sie in tiefere Habitate umziehen. Zuerst lag der Fokus der Arbeit auf der horizontalen Verteilung, später auch auf der vertikalen Verteilung über 2000 Meter hinweg.
Bei der ersten Fragestellung erbrachte die molekulare Untersuchung eine Überraschung: Im Grenadier-Genom fanden sich an einem Locus (= physische Position eines Gens im Genom = der Genort) mehrere Allele (= verschiedene Ausprägungen oder Varianten eines Gens, die dem gleichen Genort zugeordnet sind), die offenbar mit der Meerestiefe verknüpft waren! Diese Proben stammten von Gewässern vor den Hebriden am Rockall Trog – offenbar hatten diese Fische ein Gen, das sich durch Selektion veränderte.
Diese genetische Auffälligkeit führte zu der jetzigen Forschungsfrage.
Vor den Hebriden im Rockall Trog fischten die Biologen noch einmal gezielt. An dieser Stelle fällt der Kontinentalabhang sehr steil von 750 auf 1800 Meter ab. So konnten die Biologen am gleichen Tag zeitlich und örtlich eng beieinander liegende Hols (Fänge mit dem Netz) in 750, 1000, 1500 and 1800 Metern Tiefe durchführen. Mit Spezialnetzen kann man spezifische Meerestiefen beproben, die Netze öffnen und schließen sich dann nur in der Ziel-Wassertiefe. Z. B. mit einem MOCNESS (Multiple Opening/Closing Net and Environmental Sensing System), das aus einer ganzen Reihe von Netzen und einer Batterie von Meßinstrumenten besteht.
Eine Reihe von Hols auf einer Linie ist ein Transekt. Eine solche systematische Beprobung macht Ergebnisse statistisch auswertbar. Dieses Transekt vor den Orkney-Inseln beinhaltet eine wichtige Übergangszone im Ozean: Die unsichtbare Grenze zwischen dem Mesopelagial und dem Bathypelagial, dem hellen und dem dunklen Teil des Meeres. Das Mesopelagial gehört noch zu den Wasserschichten, die voller Sonnenlicht und Phytoplankton sind und so ein vielfältiges Spektrum an Lebensformen anziehen. Das Bathypelagial ist dann die dunkle Zone, wohin kein Sonnenlicht mehr gelangt und wo auch kein pflanzliches Plankton mehr wachsen kann. Alle Proben sind am gleichen Tag und innerhalb eines nur 25 Kilometer langen Transekts gefischt worden, so dass die äußeren Faktoren wie Jahreszeit, Witterung u. ä. möglichst gleich waren. So werden die Daten aus verschiedenen Tiefen vergleichbar.
Die Wissenschaftler beprobten jeweils 15 Fische aus jeder Tiefenstufe, also insgesamt 60. Dieses Mal ging es also darum, Rundnasen-Grenadiere aus verschiedenen Wassertiefen zu fangen und zu analysieren, ob genetische Merkmale mit der Wassertiefe korreliert sind. Ein Referenz-Genom hatten sie ja bereits durch die vorherigen Forschungsergebnisse, so dass sie die Genome der 60 gefangenen Fischproben damit vergleichen und Abweichungen feststellen konnten. Die ausgewählten Gene waren verknüpft etwa mit äußeren Körpermerkmalen der Fische.
Die Wissenschaftler fanden klare Hinweise auf eine laufende natürliche Auslese. Es war erkennbar, dass zwei extremere Formen (Ökotypen) der Rundnasen-Grenadierfische bevorzugt auftraten, auf Kosten der intermediären Form. Das ist eine disruptive Selektion. Bei der disruptiven (=aufspaltenden) Selektion werden Extreme verstärkt – „durch bspw. Parasiten, Krankheitserreger und Fressfeinde spaltet sich ein Merkmalsmaximum auf. Randbereiche der Verteilung treten als neue Maxima hervor.“
Sowie klare Unterschiede wie Körpergröße oder –form, Färbung, Verhaltensweisen, Kommunikation oder anderes innerhalb einer Art oder eines Bestandes auftreten, kann es dazu kommen, das sich Individuen des gleichen Typus bevorzugt paaren. Das kann ein besonders prachtvoller Farbfleck sein, eine auffallende Färbung oder ein akustisches Signal wie ein Balzruf. So kommt es zu einer Bevorzugung bestimmter Merkmale bei der Paarung, was dann relative schnell innerhalb einiger Generationen zu einer Aufspaltung in unterschiedliche Typen führen kann.
Im vorliegenden Fall gab es keinen klaren Hinweis auf die bevorzugte Paarung innerhalb eines Typus. Fest steht: Junge Rundnasen-Grenadierfische leben und schwimmen gemeinsam in einer Tiefe um annähernd 1000 Meter. Erst mit dem Eintritt der Geschlechtsreife ziehen sie dann in die bevorzugte Meeresetage um, die ihrem Genom entspricht.
Ein klarer Fall, wie sich innerhalb eines einzigen Fischbestands zwei Gruppen von „Experten“ herausbilden können, die im gleichen Meeresgebiet einfach in unterschiedlichen Tiefen leben. Solche unterschiedlichen Anpassungen innerhalb eines Bestands können bei plötzlichen ökologischen Veränderungen – wie sie etwa der Klimawandel mit sich bringt – von erheblichem Vorteil sein, in Ausnahmefällen sogar das Überleben einer Population sichern.
In diesem Fall kann die Differenzierung in die beiden Ökotypen etwa durch das bessere Nahrungsangebot im Mesopelagial, das aber gleichzeitig auch einen höheren Feinddruck und ein wechselhafteres Ökosystem bedeutet und ein stabileres tieferes Ökosystem im Bathypelagial, das allerdings auch weniger Nahrung bedeutet, erklärt werden.
Besonders wichtig finde ich Rus Hoelzels Schlussfolgerung zum Meer als komplexem Lebensraum: “The oceans represent vast expanses across which there are few obvious barriers to movement. As in the environment above the sea, we tend to think about movement in a horizontal dimension, across the breadth of the oceans, but at sea there are perhaps even greater habitat boundaries and gradients as species move vertically with depth. Our research shows that these fish have adapted to life at different depths, and that they segregate by depth as they mature, based on their genetic makeup.”
Das Meer ist eben nicht einfach eine Wassermasse, sondern bietet im für uns scheinbar gleichförmigen Wasserkörper eine Vielzahl von verschiedenen Ökosystemen an. Die Grenzen zwischen diesen verschiedenen Lebensräumen sind für Menschen oft unsichtbar, sie können durch Strömungen, Licht, Temperatur, Salzgehalt oder anderes induziert werden. Bei der Bewirtschaftung mariner Ressourcen sollte man diese Diversität von Ökosystemen immer im Hinterkopf haben, denn sie ist eine Dimension der Biodiversität. Die biologische Vielfalt besteht aus der Vielzahl der Arten, der Genome und der Lebensräume. Nur wenn wir alle drei Komponenten berücksichtigen, können wir die Biodiversität verstehen und erhalten. Wie bereits gesagt: Gerade im Zuge der schnellen Veränderungen im Zuge des Klimawandels ist diese Diversität für viele Arten eine Überlebensversicherung.
Reference:
Michelle R. Gaither, Georgios A. Gkafas, Menno de Jong, Fatih Sarigol, Francis Neat, Thomas Regnier, Daniel Moore, Darren R. Grӧcke, Neil Hall, Xuan Liu, John Kenny, Anita Lucaci, Margaret Hughes, Sam Haldenby, A. Rus Hoelzel. Genomics of habitat choice and adaptive evolution in a deep-sea fish. Nature Ecology & Evolution, 2018; DOI: 10.1038/s41559-018-0482-x
https://natureecoevocommunity.nature.com/posts/30893-adapting-to-habitat-depth-in-the-deep-sea
Deep-sea fish choose habitat according to genotype, new research says
Grenadierfisch als Speisefisch
Diesen Fisch habe ich bewußt noch nie probiert. Fast alle Dorschartigen fand ich mit ihrem festen Fleisch bisher aber sehr lecker – bis auf Schellfisch, der auch “Stinkefisch” genannt wird, wegen seiner unnachahmlichen Schmodder-Note. Beim Grenadierfisch ist allerdings anzuraten, das Tier zu filetieren. Zart besaitete Gäste könnten sonst möglicherweise schreiend vom Tisch aufspringen. Rezepte für die Verarbeitung der Filets sind im Internet genug zu finden.
Im Japanischen werden Grenadierfische Hoki genannt – dort sind natürlich pazifische Grenadier-Arten gemeint – und geben u. a. eine gute Sushi-Zutat ab.
Das Alter von Grenadierfischen wird, je nach Quelle, mit 25 bis maximal 54 Jahre angegeben. Fische, die ein so hohes Alter erreichen können, sind kaum nachhaltig zu bewirtschaften, so gelten auch die Rundnasen-Grenadierfische als überfischt.
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