Lehrbuch zum Mit- und Weiterdenken
Das Buch ist wie ein gutes Lehrbuch aufgebaut, in 13 Kapitel und zahlreiche weitere Unterkapitel sorgfältig strukturiert. Jedes Kapitel diskutiert ein wichtiges Thema der Exobiologie, stellt Grundlagen, Hypothesen und den Stand der Wissenschaft vor. Nach jedem Kapitel gibt es Tipps zum Weiterlesen. So habe ich einfach häppchenweise geschmökert, die Strukturierung macht das Ein- und Aussteigen sehr lesekomfortabel.
Sauber unterscheiden die Autoren zwischen Fakten und Hypothesen und weisen dabei auch auf existierende Dispute hin. Schließlich wogt – wie in jeder lebendigen Wissenschaftsrichtung – auch in der Beschäftigung mit außerirdischen Lebensformen so mancher Gelehrtenstreit. Inhaltlich geht es um die Voraussetzungen eines Himmelskörpers für Habitabilität, die Vorstellung der wesentlichen Innovationen oder Entwicklungsschritte, die das Leben auf der Erde maßgeblich beeinflusst und entwickelt haben und um einen Ausblick in die Zukunft dieser Forschungsrichtung.
Zurzeit ist irdischen Wissenschaftlern schließlich nur die irdische Evolution bekannt. Bekannte Fakten und Größen zu analysieren, ihre wesentlichen Strukturen zu erkennen und daraus Aussagen und Hypothesen zu formulieren, ist die ureigenste Eigenschaft von Wissenschaft. Mit exakt dieser Arbeitsweise hatte der Nobelpreisträger Joshua Lederberg 1965 in seinem Fachaufsatz “Signs of Life: Criterion System of Exobiology.” als erster den neuen Zweig der Astrobiologie begründet und sauber umrissen.
Sehr gefallen hat mir am „Cosmic Zoo“ auch, dass die Grundannahmen absolut konservativ und vorsichtig sind. Ein Beispiel dafür ist die Ewige Frage nach der Grundbedingung eines Lösemittels für die Habitabilität eines Planeten und die Entstehung von präbiotischen und komplexeren Molekülen. Und zwar ohne das – zumindest derzeit und aus Erdbewohnersicht – meist diskutierte Lösemittel zu benennen: Das Wasser. Stattdessen sprechen die Autoren neutral von „liquid“, einer anonymen Flüssigkeit.
Regelmäßig weisen sie darauf hin, dass sie aus ihrer Sicht alle wesentlichen Punkte genannt haben, dass es möglicherweise aber auch noch andere Aspekte geben könnte. So macht dieses Buch deutlich, dass der Leser, die Leserin doch selbst mitdenken möge – eine Einladung zum lebhaften Diskurs. Es geht nicht um die Belehrung eines unmündigen Lesenden, sondern um die Einbeziehung in einen lebendigen wissenschaftlichen Exkurs. Nicht das Verfechten einer Lehrmeinung steht im Vordergrund, sondern das Aufzeigen verschiedener wissenschaftlicher Annäherungen. Natürlich führen die Autoren durch die Diskussion in Richtung komplexen exoterrestrischen Lebens, aber sie lassen auch Raum für andere Schlussfolgerungen.
Dirk Schulze-Makuch & William Bains stellen nicht nur ihre Überlegungen zum möglichen Vorhandensein von mehrzelligem, komplexen, intelligenten Leben vor, sondern rufen auch zur aktiven Suche nach solchen Lebensformen auf. Von der Suche nach Chlorophyll als mögliche Biosignatur bei der Suche und Fernerkundung von Exoplaneten bis hin zum Output technisch hoch entwickelter Zivilisationen und ihren optischen, akustischen und sonstigen Spuren, die möglicherweise auch aus der Distanz erkennbar sein könnten.
Der große Filter und die Möglichkeit des Irrtums
„Cosmic Zoo“ ist ein mutiges Buch. Zunächst berührt der Inhalt sehr viele unterschiedliche Fachdisziplinen, wie es für ein grundlegendes Lehrbuch ohnehin immer der Fall ist. Damit bietet man erfahrungsgemäß allen ambitionierten Experten der Unterdisziplin viel Angriffsfläche zum Nörgeln.
Und dann geht es auch noch um extraterrestrische komplexe, ja sogar intelligente Lebensformen und technische Kulturen.
Natürlich machen sie sich dabei auch Gedanken über den Great Filter, den großen Filter – natürlich sehen auch sie eine Diskrepanz zu der Existenz so vieler Planeten („which we know is common“) und dem bisher extrem seltenen Vorkommen technologischer Intelligenz („which seems rare“).
Personen, die über hoch entwickeltes Leben außerhalb der Erde laut nachdenken, bekommen üblicherweise sofort vielstimmig und gern auch mit genussvoller Häme das Fermi-Paradoxon bzw. den Großen Filter entgegengeschleudert: Wenn es dort draußen so viele Lebewesen gibt – wo sind die denn dann?
Davon lassen sich Dirk Schulze-Makuch & William Bains nicht beirren. Sie räumen ein, dass die Erde eine einzigartige Ausnahme sein könnte. Andererseits könnte die bisherige Nicht-Entdeckung von außerirdischem Leben und Intelligenz auch ein Artefakt sein.
Ihr Buch schließen sie mit den Worten: „If life exists out there, then we are confident that complex life will exist on many worlds. And on some world thinking, abstracting, scientific, artistic, creative beings will arise and will wonder as we do whether they are alone. We hope we can find them, talk to them, and together explore the multitude of worlds that make up the Cosmic Zoo.”
Diese wissenschaftlich korrekte und optimistisch-begeisterte Herangehensweise gefällt mir.
Das Buch basiert natürlich auf langer eigener Forschung und auf vielen wissenschaftlichen Publikationen der beiden Autoren zu diesem Themenkomplex. Eine der zentralen Publikationen dabei ist sicherlich: William Bains & Dirk Schulze-Makuch: “The Cosmic Zoo: The (Near) Inevitability of the Evolution of Complex, Macroscopic Life (s. o.)
Kommentare (17)