1922 entdeckte der isländische Biologe Bjarni Saemundsson einen weiblichen Tiefseeangler, an dessen Bauch zwei kleinere Fische mit dem Maul angeheftet waren. Eine Mutter und ihre Nachkommen, vermutete er. Allerdings hatte er noch einige Zweifel an seiner Theorie. Wenig später, 1924, griff Charles Tate Regan vom British Museum of Natural History die Fragestellung wieder auf: Er hatte ebenfalls eine Tiefseeanglerin gefunden, an der ein kleinerer Fisch festgewachsen war und sezierte den kleinen Trabanten. So fand er heraus, dass es sich nicht um den Nachwuchs der Tiefseekreatur handelte, sondern um ihren Gatten.
Regan und andere Wissenschaftler wie der dänische Zoologe Albert Eide Parr fanden bald heraus, warum die Tiefseeangler-Männchen so ganz anders aussahen und auch kein Maul brauchten. Der männliche Tiefseeangler, so schrieb Regan, ist “is “merely an appendage of the female, and entirely dependent on her for nutrition.” Als bloßes Anhängsel des weiblichen Fisches wird das Männchen vom Weibchen sogar mit Nahrung versorgt. Für Regan war diese Beziehung klar: Der männliche Fisch hing als Parasit am Weibchen.
Mr. und Mrs. Tiefsee-Anglerfisch: Ein Bund fürs Leben
Ein Tiefsee-Anglerfisch-Männchen findet in der lichtlosen und schwach besiedelten Tiefsee eine Partnerin über ihre Pheromonspuren. Hat „er“ erst einmal eine „sie“ gefunden, verbeißt er sich in ihren Bauch und hält solange fest, bis die beiden Körper miteinander verschmolzen sind. Schließlich sind die Haut und die Blutgefässe der beiden Geschlechtspartner untrennbar miteinander verwachsen. Die beiden Fische sind nun eine gemeinsame Lebensform.
Über den Blutkreislauf wird das Männchen vom Weibchen mit Nährstoffen versorgt. Nach dem Verwachsen reduziert das Männchen alle Körperteile, die es nicht mehr braucht, wie Flossen, Augen und einige innere Organe. Bis auf die Fortpflanzungsorgane! Ein männlicher Tiefseeangler ist ein kleiner Hautsack voller Geschlechtsorgane. Seine einzige Lebensaufgabe besteht darin, sowie seine Partnerin ablaicht, seine Spermien beizusteuern.
Diese ungewöhnliche sexuelle Beziehung hängt natürlich mit dem extremen Lebensraum der Tiefsee zusammen: Die lichtlose und nährstoffarme Tiefe ist dünn besiedelt, die Fortpflanzung ist an das unregelmäßige Vorhandensein von Futter gekoppelt. Durch das Verwachsen der beiden Geschlechtspartner ist sichergestellt, dass sie im richtigen Moment auch wirklich zusammenfinden. Kann das Männchen kein Weibchen zum Andocken und Festwachsen finden, kann es sich nicht zum Erwachsenen entwickeln und den entsprechenden Hormonhaushalt aufbauen, dann stirbt es jung und ohne sich fortzupflanzen.
Dieser extreme Geschlechtsdimorphismus mit dem verzwergten und fest angewachsenen Männchen kommt bei vielen Arten von Tiefseeanglerfischen vor. Bei einigen Arten allerdings sind die Männchen selbständig geblieben, schwimmen und fressen allein und docken nur zur Fortpflanzung am Weibchen an. Um diese konventionellen Beziehungen unter Tiefseeanglern soll es hier aber nicht gehen.
Der Naturforscher William Beebe formulierte 1938 treffend: “But to be driven by impelling odor headlong upon a mate so gigantic, in such immense and forbidding darkness, and willfully eat a hole in her soft side, to feel the gradually increasing transfusion of her blood through one’s veins, to lose everything that marked one as other than a worm, to become a brainless, senseless thing that was a fish—this is sheer fiction, beyond all belief unless we have seen the proof of it.” Fern jeglicher Vorstellung! Allerdings sind die männlichen Tiefsee-Anglerfische keinesfalls einfache Parasiten, schließlich sorgen sie für den Fortbestand ihrer Art. Dafür haben die Ökologen einen neuen Begriff für diese Lebensweise geschaffen: Parabiose.
Die Parabiose bezeichnet eine Beziehung, in der ein Partner profitiert, während die Beziehung für den anderen neutral bleibt.
Persönliche Anmerkungen:
Die Original-Überschrift “Deep-Sea Anglerfish Mating Captured on Film for the First Time” finde ich nicht sehr gelungen. Schließlich paaren sich die beiden nicht wirklich, sonst wären ihre Geschlechstprodukte im Wasser sichtbar. Das ist nicht der Fall. Dass es sich “nur” um die Aufnahme eines erwachsenen, fortpflanzungsfähigen Tiefseeangler-Pärchens handelt, macht die Aufnahme nicht weniger spektakulär.
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