Das bioversum Jagdschloss Kranichstein ist das Museum für Artenvielfalt im ehemaligen Zeughaus des barocken Jagdschlosses Kranichstein. Das kleine Museum vermittelt die biologische Sicht auf das kulturelle und naturhistorische Erbe der Landgrafen von Hessen-Darmstadt. Durch seine Position an der Schwelle zu Wald und Wiesen, Teich und Bach ist es ideal für Ausflüge und Exkursionen für Kinder und Erwachsene – mit der Einladung zum Experimentieren und Forschen an die großen und kleinen Museumsgäste.
Neophyten sind pflanzliche Neubürger, also Pflanzen, die erst nach 1492 – also nach Kolumbus Amerika-Reise – nach Europa gekommen sind. Manche Neophyten sind heute aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken, etwa Kartoffeln, Tomaten oder Tulpen. (Manche Kinder gucken fassungslos, wenn sie bei uns erfahren, dass Kinder im Mittelalter noch keine Pommes mit Ketchup essen konnten.)
Andere pflanzliche Neubürger wachsen einfach so vor sich hin. Und einige verursachen Probleme. Auf welchen Wegen Pflanzen – und auch Tiere – nach Mitteleuropa gelangt sind und welche ökonomischen und ökologischen Folgen das haben kann, ist ein wichtiges bioversum-Thema.
Zum 10-jährigen Jubiläum des bioversum und zum Auftakt der Aktionswoche Biodiversität mit BioFrankfurt sollten die Neophyten die Hauptrolle spielen. Den meisten Menschen ist nicht bewusst, wie viele Pflanzen aus der freien Natur man einfach so sammeln und essen kann, welche Wildkräuter es gibt und wie man sie verarbeitet. Also haben wir eine Neophyten-Verkostung geplant.
Mit dabei: Japanischer Staudenknöterich („Wildrhabarber“)– Marmelade in Kartoffelbällchen, Quiche von Schmalblättrige Doppelsame und Japanischem Knöterich mit Ziegenkäse, Kartoffelrosen-Buttercreme im Waffelchen und Damhirsch-Schinken.
Wir wissen heute nicht genau, was die einstigen Bewohner des Schlosses und des Zeughauses gegessen haben. Natürlich haben sie gejagt – sicher nicht nur Hirsche, Wildschweine und Hasen, sondern auch kleinere Tiere. Sie haben Geflügel gehalten, wie Hühner und Wasservögel, aber auch Fasane und Spechte erlegt. Natürlich haben sie Getreide gepflanzt und verarbeitet, aber ganz bestimmt auch viele andere Pflanzen aus der direkten Umgebung gegessen, die wir heute als Nahrung oft gar nicht in Erwägung ziehen. Dabei ist vieles von dem, was vor der Tür wächst, essbar und lecker. Das bioversum lädt zum Experimentieren und Probieren ein – Geschichte und Ökologie lassen sich viel besser lernen, wenn man sie schmeckt.
Gratwanderung zwischen Teich und Staudenknöterich
Die Neophyten-Verkostung war eine grandiose Idee unserer Museumschefin Onno Faller. Nun mussten die Pflanzen bloß noch geerntet und zubereitet werden…
Die Wildrhabarber-Marmelade wollte ich beisteuern. Der Japanische Staudenknöterich Fallopia japonica wächst am Backhausteich, dem ehemaligen landgräflichen Fischteich, in großen Beständen und rasant. Wir stutzen ihn regelmäßig, um die Ausbreitung zumindest unter Kontrolle zu halten.
Der Staudenknöterich soll nach Rhabarber schmecken, darum heißt er auch Wildrhabarber. Allerdings braucht es für Marmelade saftige, junge Stängel unter 20 Zentimetern Höhe. Da Staudenknöterich schnell in die Höhe schießt, waren die meisten Stängel Mitte Mai schon wesentlich höher, dann enthalten sie kein Mark mehr. Hohle, holzige Stiele geben aber zu wenig Saft für Marmelade.
Die jungen, kleinen Stängel wachsen am Rande des Bestands, also direkt am Weg und direkt an der Teichböschung. Die Stiele direkt am Weg kamen natürlich nicht in Frage, schließlich gehen dort viele Hunde spazieren. Also mussten es die jungen Stiele direkt am Teich sein! Für die Ernte musste ich mich durch die hohen Stiele hindurch kämpfen und mich vorsichtig der Böschung nähern, die an dieser Stelle nahezu senkrecht abfällt. Ohne Gummistiefel und Wathose wollte ich keine nassen Füße riskieren, ich schob mich zentimeterweise vor. Begafft von irritierten Blässhühnern und Spaziergängern hangelte ich mich mit der gartenschere in der Hand am Bestand entlang. 400 Gramm Knöterich-Stielchen sollten es sein, schließlich sollte die Marmelade für die Verkostung der Jubiläumsgäste reichen. Nach über einer Stunde war es endlich genug.
Dann ging es ans Marmeladekochen und zurück in die geräumige Küche des bioversum-Besucherlabors. Die Stängel und Blätter mussten getrennt werden, die Blätter sollten am nächsten Tag in die Quiche. Die gehackten Knöterichstiel-Schnippsel mussten mit Gelierzucker und Zitrone aufgekocht werden. Nach 10 Minuten war etwas Saft im Topf, die Färbung war irgendwie hellbraun-grünlich. Allerdings waren die Stielstückchen immer noch extrem zäh und holzig, an solcher Marmelade hätten unsere Gäste schwer zu kauen gehabt. Dann sollte es eben Gelee werden.
Mehrere Minuten harter Arbeit mit dem Kartoffelstampfer ergaben genug Saft, nach dem Abseihen kochte ich alles wieder auf. Ganz allmählich gelierte die Masse leicht, es war Zeit zum Probieren: Staudenknöterich schmeckt wirklich wie Rhabarber! Absolut lecker!
Nach dem Umfüllen in ein sterilisiertes Glas konnte ich die Marmelade mit der seltsamen Farbe mit gutem Gewissen den Museumsgästen kredenzen. Die gesamte Neophytenverkostung kam bei den Jubiläumsgästen ausgesprochen gut und war mal etwas ganz Anderes – typisch bioversum.
Pflanzliche Neubürger im bioversum Jagdschloss Kranichstein
Der Japanische Staudenknöterich (Fallopia japonica) ist eine invasive Art. Das bedeutet, dass er sich schnell ausbreitet und anderen, einheimischen Pflanzen den Lebensraum streitig macht. Dieser Knöterich bildet dauerhafte Rhizome und wächst entlang von Gewässern. Die Pflanze wächst schnell bis zu 3,5 Meter hoch und bildet dann große Blätter aus. Mit dieser Beschattung dominiert sie andere Arten schnell. Jeder abgerissene Trieb kann selbst ein Rhizom und damit einen neuen Bestand bilden, so breitet sich der Staudenknöterich schnell entlang von Gewässern aus. Die Pflanze stammt aus China, Korea und Japan und wurde als attraktive Gartenpflanze nach Europa gebracht.
Eine invasive Art einfach aufzuessen, ist eine besonders leckere Problemlösung.
Auch die Kartoffelrose (Japan-Rose, Sylter Rose oder Kamtschatka-Rose Rosa rugosa)
stammt aus Ostasien. Sie wurde als Zier- und Nutzpflanze nach Europa gebracht. Die Blüten und Hagebutten ergeben Marmelade und einen aromatischen Tee.
Die Kanadische Goldrute (Solidago virgaurea) kommt ursprünglich aus Nordamerika. Die bis über einen Meter hohe Pflanze mit den vielen goldgelben Korbblüten ist mittlerweile ein fester Bestandteil unserer Landschaft. Weniger bekannt ist ihr Nutzen als Heilpflanze.
Die Kartoffel (Solanum tuberosum) ist eine der bekanntesten und verbreitetsten Neophyten: Die jährliche weltweite Kartoffelernte liegt bei 376 Millionen Tonnen Kartoffeln. Die nahrhafte Knolle ist eines der wichtigsten Nahrungsmittel der Welt, wird aber auch als Futtermittel und Industrierohstoff genutzt. Wie bei den meisten Nachtschattengewächsen sind die grünen Triebe leicht giftig, auch die oberirdischen Früchte. Geerntet und gegessen werden die unterirdischen Knollen.
Ein Damhirsch (Dama dama) ist natürlich keine Pflanze. Diese Hirsche mit den hübschen weißen Tupfen sind tierische Neubürger, also Neozoen und stammen ursprünglich aus Asien. Die Landgrafen hatten diese mittelgroßen Hirsche – zwischen Rothirsch und Reh – in Kranichstein angesiedelt. Auch heute noch leben alle drei Hirscharten im Forst um das Jagdschloss Kranichstein
Neophyten-Knowhow für die Hosentasche
Die Bestimmungsfächer des bioversum sind Fächer aus etwa 20 Karten zur Identifizierung von Pflanzen und Tieren, 5,5 Zentimeter * 8,5 Zentimeter groß und links oben genietet – ein Fächer für die Hosentasche. Auf der Vorderseite jeder Karte sind Name und Bild der jeweiligen Pflanze, auf der Rückseite ein allgemein verständlicher Text zum Weiterlesen. Wir haben den Neophyten passende Spitznamen gegeben, die unterhaltsame Eselsbrücken sind: Der japanische Staudenknöterich mit seinem schnellen Wuchs heißt „Himmelsstürmer“, die Strahlenlose Kamille ohne weiße Zungenblüten ist der „Minimalist“.
Die Neophyten-Fächer stehen für die Museumsgäste und auch für Schulklassen kostenlos zur Verfügung und können im bioversum bestellt oder abgeholt werden. Sie sind ein Kooperationsprojekt mit unserem wissenschaftlichen Kooperationspartner KORINA, der Koordinationsstelle Invasive Neophyten in Schutzgebieten Sachsen-Anhalts.
Neophyten auf meertext?
Dieses kurze botanisch-kulinarische Intermezzo gehört zu der BlogParade #SchlossGenuss , in die Sparte Natur- und Tierwelt. Ein herzliches Dankeschön an Tanja Praske – #SchlossGenuss #Blogparade von @sgd_zu_Tisch! @TanjaPraske -für die Einladung dazu!
Seit August letzten Jahres leite ich die Öffentlichkeitsarbeit und das Marketing der Stiftung Hessischer Jägerhof, die die beiden Museen bioversum und MUSEUM Jagdschloss Kranichstein betreibt. Da das Jagdschloss Kranichstein noch keinen eigenen Museumsblog hat (er ist in Vorbereitung), erscheint dieser Beitrag auf meertext.
Wir sind mittlerweile auch auf facebook (bioversum Jagdschloss Kranichstein) und Twitter (@JagdschlossK, #bioversum #MUSEUM #JagdschlossKranichstein ) und arbeiten daran, uns weiter zu vernetzen. Neuerdings gibt es in unseren 450 Jahre alten Mauern sogar WLAN für die Museumsgäste.
Für die Meertext-LeserInnen: Als nächstes geht es wieder weiter mit der Ausstellung „Kubricks 2001. 50 Jahre A Space Odyssey“
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