Die Entdeckung Softball-großer Einzeller, Gummi-Hörnchen und einer fußlosen Schar fremdartiger Würmer werten ein Stück Meeresboden im Pazifik gewaltig auf – von der ozeanischen Wüste zum Paradies unter Druck.
Tief im östlichen Zentral-Pazifik, einem 6-Millionen Quadratmeter großen Areal des Pazifischen Meeresbodens zwischen Hawaii und Mexiko, entdecken Tiefseebiologen gerade schneller neue Tierarten, als sie beschreiben können. Dabei hatten die meisten von ihnen diesen Teil des Ozeans in 4000 bis 5500 Metern Tiefe bislang als wüstenartige, nahezu unbelebte Unterwasserebene betrachtet. Stattdessen ist vor allem der östliche Teil der Clarion–Clipperton Zone (CCZ) ein noch unbekanntes und unberührtes Paradies!
Mit ihren ersten Resultaten überraschten sie beim Deep-Sea Biology Symposium in Monterey, California nicht nur ihre Kollegen.
Aber diese phantastische Faunengesellschaft ist höchst bedroht: Nationen und Firmen bereiten groß angelegte Tiefsee-Bergbau-Projekte in genau diesem abgelegenen Teil des Pazifiks vor. Es geht um nichts weniger als den abyssalen „Goldrausch“ auf Kobalt, Mangan und andere Elemente, ohne die die elektronischen und elektrischen Gerätschaften des modernen Alltags vom Smartphone bis zum Elektro-Auto nicht auskommen können. Da die meisten Vorkommen auf dem Festland ausgebeutet sind, ist der Tiefseebergbau in den letzten 25 Jahren zunehmend wichtiger geworden, technische Fortschritte machen ihn immer rentabler.
Die Clarion-Clipperton-Zone ist eine ausgedehnte Bruchzone, aufgrund tektonischer Aktivitäten liegen hier auf einem 7000 Kilometer langen Abschnitt konzentrierte Vorkommen von Manganknollen, die auch Nickel und Cobalt enthalten.
Verborgene Tiefsee-Paradiese mit Würmerscharen und „Gummi-Hörnchen“
Craig Smith (University of Hawaii Manoa, Honolulu), war 2013 und 2015 an Expeditionen zu einem Gebiet in der östlichen Clarion–Clipperton Zone in leitender Position beteiligt. Dieser Bereich wird vom UK zur Ausbeutung beansprucht. Auch der Tiefsee-Ökologe Smith war äußerst überrascht, dort eine so abwechslungsreiche Landschaft aus flachen Ebenen mit aufragenden Hügeln und Bergen zu finden. Dazu war die abyssale Landschaft mit einem viel reichhaltigeren Leben bevölkert, als er je zuvor in dieser Tiefe in anderen Meeresgebieten gesehen hatte.
Einen besonderen Fokus hatten Craig Smith und sein Team dabei auf den Meereswürmern. „Wurm“ bezeichnet eine Vielzahl von wurmartig gestreckten Organismen, mit und ohne Flossen, Augen Kieferzangen und Leuchtfähigkeit, mikroskopisch klein oder auch drei Meter lang, kriechend, freischwimmend oder in Röhren sitzend. Dazu gehören Organismen aus verschiedenen Tierstämmen mit vielen Gattungen und einer Myriade von Arten. Die Formen- und Artenvielfalt mariner Würmer ist wesentlich größer als die ihrer landlebenden Verwandten, darunter gibt es viele schnelle Jäger mit großen Kiefern und leuchtenden Augen.
Von den beobachteten 154 Meereswurm-Arten sind etwa 70 % noch unbeschrieben.
Craig Smiths Wurmbegeisterung und die Andersartigkeit von Meereswürmern wird auch in seinen Videos deutlich:
“Two Oligiochete worms in high definition at 400X magnification showing asexual budding” (nicht aus der CCZ!)
Neben den Würmern haben die Tiefsee-Forscher auch mal wieder mal eine besonders ungewöhnliche Seegurke entdeckt: Sie haben sie Gummi-Hörnchen (“gummy squirrel”) getauft, einen anständigen wissenschaftlichen Namen wird sie natürlich noch bekommen.
(Mich hat die seltsame Form irgendwie eher an einen unanständigen Gummiartikel erinnert, aber solch eine Benennung wäre vielleicht noch unwissenschaftlicher gewesen.)
Seegurken sind übrigens Verwandte der Seesterne und Seeigel. Alle diese Stachelhäuter sind heute pentasymmetrisch (5-strahlig symmetrisch), ihre Mund- und Afteröffnungen liegen oben oder unten, je nach Tiergruppe. Seegurken sind auf die Seite gefallen, so liegen ihre Mund- und Afteröffnungen scheinbar vorn und hinten, manche von ihnen sind sekundär bilateralsymmetrisch (2-seitig symmetrisch, wie wir Wirbeltiere). Die Symmetrieverhältnisse von Stachelhäutern, ihre regulären und irregulären Formen und die seltsam verdreht anmutenden inneren Verhältnisse der Leibeshöhlen und Organe treiben Zoologie-Studierende bis heute regelmäßig in den Wahnsinn. Dabei ist diese Tiergruppe sogar näher mit uns, den Wirbeltieren verwandt, als die meisten anderen – auf den ersten Blick kaum zu glauben.
Jede Manganknolle ist eine Insel. Xenophyophoren auch!
Adrian Glover, ein Tiefsee-Biologe des Natural History Museum in London, hat in kartoffelgroßen Manganknollen in der östlichen Clarion–Clipperton Zone (CCZ) geometrische Schwämme und andere winzige Meereswesen gefunden. Diese Geschöpfe brauchen einen festen Untergrund, um sich daran festzusetzen. Auf einem sandigen Boden sind die Knollen darum ein guter Sitzplatz für viele Tiere, ihnen ist es egal, ob sie auf Stein oder Mangan sitzen. Sie sitzen auf der Oberfläche oder auch verborgen in Rissen und Spalten der unregelmäßig geformten Metallkonkretionen. Jede Knolle ist eine Insel!
Andere Bereich des untersuchten Meeresbodens waren bedeckt mit enigmatischen Xenophyophoren. „Xenophyophoren sind ein wahrscheinlich zu den Foraminiferen gehörendes Taxon zumeist gehäusetragender Protisten aus der Gruppe der Rhizaria.“ weiß Wikipedia. Es sind also sehr große Einzeller, über die noch extrem wenig bekannt ist. Xenophyophoren ernähren sich vermutlich von kleinen Foraminiferen, bei der Nahrungsaufnahme sollen sie Schleim absondern. Im Abyssal und dem Bathyal der Tiefsee um Neuseeland und der äquatorialen Zonen des Ostpazifiks sind sie weit verbreitet, dort besiedeln sie vorzugsweise sehr nährstoffreiche Areale. Diese seltsamen Gebilde mit der rüschenartig gefalteten Oberfläche stellen in manchen Gebieten den größten Teil der Biomasse, manche diese Regionen sind als Hotspots der Biodiversität klassifiziert.
In der CCZ wurden viele verschiedene Arten von ihnen gefunden, 30% davon sind Neuentdeckungen. Manche von ihnen sind immerhin so groß wie ein Softball, also zwischen 28 und 41 Zentimetern (11 und 16 Inches). Sie selbst sind durch ihre komplexe Gestalt und Oberfläche begehrte Lebensräume für andere Kleinstbewohner. So ist auch jede Xenophyophore eine Insel.
Dunkle Meerestiefen, Mangan und Wale – fossil und lebendig?
Dazu kommen noch Fossilienansammlungen von Walen, die hier vor 16 Millionen Jahren lebten.
Als Diva Amons bei ihrem Symposiums-Vortrag die Aufnahmen von fossilen Walschädeln, überkrustet von metallischen Verbindungen zeigte; verschlug es dem Publikum die Sprache – so etwas hatte auch von diese an Überraschungen gewöhnten Tiefseeforscher noch niemand gesehen. Nach einer vorläufigen Analyse stammen die Schädel von möglicherweise 6 verschiedenen Walarten, die hier vor 1 bis 16 Millionen Jahren lebten und starben. (Leider ist dazu noch nicht mehr publiziert, ich warte gespannt auf weitere Infos ).
Außerdem gibt es Spuren, die lebende Walen zugeschrieben werden. Auf einer Expedition mit RRS James Cook hatte eine Tiefsee-Kamera Vertiefungen im sandigen Meeresboden aufgenommen: Schnabelstüber-Spuren von Schnabelwalen? In einer im August 2018 veröffentlichten Studie spekulieren Dr. Leigh Marsh und Kollegen, dass diese tief tauchenden Zahnwale möglicherweise Manganknollen als Tauchballast aufnehmen und tatsächlich in solche Tiefen vorstoßen könnten. Jedenfalls sähen die Abdrücke im sandigen Tiefseeboden genau so aus, wie Schnabelwal-Spuren in etwas flacheren Meeresbereichen (Mich haben sie damit noch nicht überzeugt – mir ist noch kein Schnabelwal-Mageninhalt mit Manganknollen untergekommen und 4000 Meter überschreitet die Tauchtiefe selbst dieser Meister-Tieftaucher, die nachweislich bis in Tiefen von 2992 Metern vorstoßen, noch einmal um 1000 Meter. Da werde ich noch weiter recherchieren müssen.)
Bergbau versus Biologie – wie geht es weiter?
Die International Seabed Authority (ISA oder auch ISBA; eingedeutscht: Internationale Meeresbodenbehörde) wacht über den submarinen Bergbau in internationalen Gewässern. Die ISA muss, bevor sie ein Areal für den Tiefsee-Bergbau freigibt, auch ökologische Gutachten einholen, so auch für die Clarion–Clipperton Zone (CCZ). Die ISA hat bereits an 29 Konzerne verschiedener Länder Schürfgenehmigungen erteilt, die Firmen mussten dann selbst die ökologischen Gutachten erstellen lassen. Idealerweise möchten die Firmen am Ende der Untersuchung den Nachweis, dass ihre Bergbau-Aktivität ökologisch vollkommen unbedenklich ist.
Für Biologen sind diese Gutachten oft der einzige Weg, finanzielle und personelle Mittel für die Erforschung neuer Gebiete zu bekommen. Schließlich ist gerade die Tiefseeforschung mit ihrer teuren Schiffszeit, den Tauchrobotern und anderer High-Tech vor allem in abgelegenen Meeresgebieten sehr teuer. Solche Umweltverträglichkeitsstudien sind heute üblich, sie bedeuten allerdings nicht zwangsläufig einen Schutz dabei entdeckter Ökosysteme und Arten.
Der submarine Bergbau erfolgt über Saugvorrichtungen, die den rohstoffhaltigen Meeresboden ansaugen und nach oben auf Schiffe pumpen. Dabei erfolgt natürlich eine weitflächige und tief gehende mechanische Zerstörung des Meeresbodens und seiner Lebensgemeinschaften. Außerdem wird durch das Saugen, Pumpen und Ausspülen des Sediments ein weit reichender Schleier aus Sediment und organischen Trübstoffen aufgewirbelt, der vielen Organismen das Restlicht und den Sauerstoff nimmt und zuletzt zu Boden sinkt und wie ein Leichentuch dort alles unter sich begräbt. Aufgewirbelte Metallfragmente können zudem eine toxische Wirkung auf viele Organismen haben, wenn sie eingeatmet oder verschluckt werden. In langsam wachsenden, normalerweise stabilen Ökosystemen hat das Folgen für die nächsten Jahrzehnte.
Die Zerstörung von Tiefseeökosystemen kann sich über die Nahrungsketten und trophische Stufen bis zur Meeresoberfläche auswirken und die lebenden Ressourcen des Meeres gefährden. Die Ausbeutung des Ozeanbodens in der Tiefsee hätte somit letztendlich auch Auswirkungen auf einen erheblichen Teil der menschlichen Nahrungsgrundlagen.
Darum haben die Wissenschaftler nun Alarm geschlagen und versuchen, die International Seabed Authority zu einem ökologisch verantwortungsvollen Umgang mit den gerade erst entdeckten CCZ-Ökosystemen zu bringen. Die ISA entwickelt Richtlinien für den unterseeischen Bergbau und akzeptiert Einwände und Kommentare zu einem vorgestellten Handlungsplan – in diesem Fall bis zum 30. September. Danach erstellt sie bis 2020 den finalen Rahmenplan für den dann beginnenden Abbau der Rohstoffe.
Die lebenden und nicht lebenden Ressourcen des Meeres sind mal wieder im Wettlauf um die Wertschätzung der Menschen. “Was wir jetzt tun” erklärt die Tiefsee-Ökologin Diva Amon (Natural History Museum, London) gegenüber der Presse “wird umfassende Auswirkungen über die nächsten Jahrzehnte haben. Wir haben jetzt die Möglichkeit, verantwortungsbewusst und überlegt zu handeln.“
So fordern Amon und viele ihrer Kollegen nun aufgrund der neuen Daten weitere Reservate auf dem Meeresboden in der östlichen CCZ. Bereits 2012 hatte ISA aufgrund der wissenschaftlichen Resultate neun Reservate in der CCZ ausgewiesen – Satellitenaufnahmen hatten in diesen Gebieten eine hohe Planktondichte und somit eine besonders hohe Produktivität nachgewiesen. Allerdings liegt keines dieser Areale in der östlichen CCZ, wo nun die überrschend komplexen Tiefsee-Lebensgemeinschaften “aufgetaucht” sind.
Smith rief die ISA auf, nun auch Projekte zur Erforschung von Bereichen im offenen Meer durchzuführen, oberhalb der geplanten Abbaugebiete. Die Ökologen befürchten, dass die durch den Bergbau verursachten Sedimentschleier und Toxine in der Wassersäule die Bewohner dieser Zonen schädigen könnten – sie könnten die Atmung und Nahrungsaufnahme verringern, die Kommunikation über Bioluminizenz und somit die Fortpflanzung verhindern und generell das gesamt Nahrungsnetz verunreinigen.
Auf jeden Fall steht die ISA jetzt mindestens genauso unter Druck wie die abyssalen Ökotope: Die Abbau-Planung soll bis 2020 abgeschlossen sein, damit dann, so der Wunsch der Bergbaufirmen, zügig die Ausbeutung der Mangan-Vorkommen beginnen kann. Japan hat bereits einen Testabbau vor der Insel Okinawa begonnen. Und die belgische Firma Global Sea Mineral Resources aus Ostende plant für das nächste Jahr Testläufe ihrer technischen Ausrüstung.
Natürlich sind auch deutsche Firmen an dem abyssalen Mangan-Abbau beteiligt, die Bundesrepublik Deutschland hatte 2006 eine 15 Jahre gültige Explorationslizenz für einen Abschnitt der CCZ erworben und lässt natürlich ebenfalls ökologische Gutachten erstellen. Das groß angelegte europäische Forschungsprojekt JPI Oceans hatte bereits eine erste Studie zur Verträglichkeit des Manganknollen-Abbaus für das dort bestehende Ökosystem im Perubecken, einem Teil der östlichen CCZ, durchgeführt: “Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass die bisherigen Lebensgemeinschaften in den Regionen, wo Manganknollen entfernt wurden, nicht mehr in der gleichen Artzusammensetzung vorkommen.” Ob diese nicht sehr überraschende Erkenntnis den Tiefseebergbau verhindern wird, erscheint zumindest mir fraglich.
Christopher Williams (Managing Director des britischen Bergbau-Konzerns Seabed Resources) war sehr überrascht über die präsentierten Forschunsgergebnisse zur Biodiversität. Er meinte, dass er keine Einwände gegen weitere Meeresbodenreservate haben würde. Sicherlich entspannt ihn das Wissen, dass diese Reservate im östlichen CCZ außerhalb der UK-Claims liegen würden.
Die ISA ist eine internationale Montanbehörde, ökologische Befindlichkeiten stehen dort nicht zwangsläufig an erster Stelle. Wegen ihrer industriefreundlichen Entscheidungen steht die ISA immer wieder in der Kritik. NGOs die sich für Nachhaltigkeit einsetzen, wie Catapa, werfen der ISA vor, wegen der schnellen Gewinne Ökosysteme zu zerstören, anstatt durch sparsamen Einsatz und Recycling leichter zugängliche oder verfügbare Ressourcen besser zu nutzen. Eine Forderung, die ich teile.
WissenschaftlerInnen wie Diva Amon setzen pragmatisch auf die Kooperation mit den Minengesellschaften, sie hofft, etwa bei Fossilienfunden informiert zu werden und an Proben und Daten zu kommen. Darüber hinaus fordert sie, die Zuständigkeit der UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) auf die Ozeane bis in die Tiefsee auszudehnen. Eine nicht nur industriefreundliche Lobby hätte der Ozean mit seinen Bewohnern dringend nötig.
Quellen:
Große Teile des Artikels basieren auf diesem Bericht:
n. n.: “Discovery of vibrant deep-sea life prompts new worries over seabed mining” Nature NEWS; 21 September 2018; Nature 561, 443-444 (2018); doi: 10.1038/d41586-018-06771-w
Zum Weiterlesen:
Einen guten Überblick bietet die Seite der NOAA: “DeepCCZ: A Mission Overview”
zur rechtlichen Situation des Tiefseebergbaus in internationalen Gewässern:
Henning Jessen: “Staatenverantwortlichkeit und seevölkerrechtliche Haftungsgrundsätze für Umweltschäden durch Tiefseebodenbergbau.” Zeitschrift für Umweltrecht (ZUR) 02/2012, 71 (PDF)
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