Zu Halloween gibt es wieder etwas leicht Gruseliges aus dem Meer:
10.000 Fuß unter der Meeresoberfläche, in der Tiefsee, leben ungewöhnliche Meereswesen. Pflanzen können in dieser Tiefe, fern des Sonnenlichts, nicht existieren, darum müssen sich alle Tiere von Fleisch ernähren. Sie fressen sich gegenseitig. In einer Welt vieler Prädatoren und weniger Gelegenheiten müssen diese Jäger zu außergewöhnlichen Jagdmethoden greifen.
Wie die fleischfressenden Tiefsee-Schwämme der Gattung Chondrocladia.
Der eigentliche Schwamm sitzt auf einem Stängel, der durch ein Rhizoid (wurzelartige Struktur) im Untergrund verankert ist. Ihre Körper sind eiförmig, manche haben dann zarte Äste, die wiederum in Kugeln enden können.
Einer dieser fleischfressenden Schwämme ist der Harfenschwamm (Chondrocladia lyra) – sein Name ist offensichtlich. C. lyra hat horizontale Äste, von denen wieder viele weitere vertikale Ästchen abzweigen. Egal wie fragil oder weihnachstbaummäßig C. lyra aussieht – das fest sitzende Tier ist ein Prädator!
Diese Schwammgruppe gehört zu den Hornkieselschwämmen. Die Zuordnung Kiesel-, Glas- oder Kalkschwämme bezieht sich auf die Schwammnadeln, die dem ganzen Zellverband seine Stabilität geben und fossil erhaltungsfähig sind.
Die Unterseiten der Äste und Ästchen sind mit winzigen Häkchen besetzt, die an Klettband erinnern. Diese hakenbesetzten Ästchen angeln die Beute aus dem vorbeiströmenden Wasser. Schwämme ernähren sich überwiegend von Meeresschnee und Bakterien, die fleischfressenden Schwämme erbeuten allerdings auch kleine Krebse.
Haben die Haken etwas erbeutet, sondern sie Schleim ab und umhüllen damit die Beute. Schließlich wird der eingeschleimte Organismus durch die Poren des Schwammes absorbiert und im Körper verdaut. Ein Schwamm hat keine inneren Organe, diese uralten Organismen haben viele Zellen, die wie Amöben über Phagocytose ihre Nahrung aufnehmen. Dafür haben sie spezielle Fresszellen, die Amöbocyten – sie bewegen sich sehr langsam auf die Nahrung zu und verdauen diese dann. Jede einzelne dieser Fresszellen agiert wie eine Amöbe und umschließt ein kleines Stückchen der Beute, um diese dann aufzulösen.
Der Harfenschwamm wurde bei einer Expedition der MBARI-eigenen ROVs Tiburon und Doc Ricketts entdeckt. Wie üblich in einem ihrer Hinterhof-Canyons vor der kalifornischen Küste.
Ein anderer fleischfressender Chondrocladia-Schwamm, Chondrocladia lampadiglobus, heisst Ping-Pong-Baum-Schwamm.
Der Name erklärt sich auf den ersten Blick.
Die aufrecht stehenden Ästchen enden in Ballons oder Bällen – darin produziert der Schwamm seine Spermien und Eier. Die Spermien werden einfach so ins Wasser entlassen und schweben dann mit den Strömungen davon. Einige von ihnen treffen auf andere Schwämme der gleichen Art, dort befruchten sie dann die Eier.
Diese fleischfressende Schwämme sind ein wunderbares Beispiel dafür, wie Lebensformen sich in der lichtlosen und nährstoffarmen Tiefsee behaupten und welche ungewöhnlichen Formen und Lebensweisen sie dabei entwickelt haben.
Diese ganze Tiergruppe ist erst seit etwa 20 Jahren bekannt, ihre Entdeckung wurde erst mit dem Vordringen der Wissenschaftler mit immer besserer Technik in immer abgelegenere Lebensräume auch der Tiefsee möglich.
Die Schwämme selbst sind als Tiergruppe natürlich viel älter, sie sind eine sehr alte Tiergruppe, die schon im Erdaltertum in großer Formenvielfalt überwiegend die Meere besiedelte, Süßwasserschwämme gibt es nur wenige.
Im Erdmittelalter kamen Stämme in großer Artenzahl und Biomasse vor – sie bildeten Riffe!
Solche Schwammriffe sind heute etwa in der Grube Höver bei Hannover zu sehen.
Die Vorstellung, dass der Badeschwamm in der Hand fleischfressend sein könnte, und ganz langsam anfängt, die ihn haltende Hand zu verdauen, ist ein schöner Halloween-Gedanke, oder?
Quelle:
Lee, W. L., Reiswig, H. M., Austin, W. C. and Lundsten, L. (2012), An extraordinary new carnivorous sponge, Chondrocladia lyra, in the new subgenus Symmetrocladia (Demospongiae, Cladorhizidae), from off of northern California, USA. Invertebrate Biology. doi: 10.1111/ivb.12001
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