Falls der Strahlungsdruck [der Sonne] die Ursache der Beschleunigung wäre, müsste Oumuamua eine neue Klasse eines interstellaren Materials repräsentieren. Als Entstehungsursache geben sie an: „either produced naturally, through a yet unknown process in the ISM [Interstellar Medium] or in proto-planetary disks, or of an artificial origin.” Das Objekt könne also natürlicher oder künstlicher Herkunft sein.
Mit dem nächsten Satz hebt der Brief dann vollends in die Spekulation ab:
„Considering an artificial origin, one possibility is that “Oumuamua” is a lightsail, floating in interstellar space as a debris from an advanced technological equipment (Loeb 2018)” – 1I könnte also ein Lichtsegel oder Weltraumschrott einer interstellaren technologischen Zivilisation sein.
Dabei berufen sich Bialy und Loeb auf einen aktuellen Blogartikel von Loeb “How to Search for Dead Cosmic Civilizations”
Alternativ bieten sie die noch exotischere Erklärung an, Oumuamua sei eine voll funktionsfähige Sonde einer interstellaren Zivilisation, die gezielt losgeschickt wurde.
Im letzten Absatz stellen sie dann fest, dass sie für ihre Hypothese leider keine Beweise mehr sammeln könnten, da sich Oumuamua bereits zu weit entfernt hat, um mit Teleskopen oder gar Raketen erreichbar zu sein. Deshalb empfehlen sie einen Survey zur Suche nach Lichtsegeln als Signaturen interstellarer technischer Zivilisationen.
Sonnensegel und Solarpaneel
Auch wenn ich weiß, dass die weitaus meisten meiner LeserInnen das wissen, möchte ich noch einmal die Definition dafür wiederholen:
Ein Sonnensegel ist eine dünne Oberfläche, die unter dem Strahlungsdruck des Sonnenlichts angeschoben wird und so ein Raumschiff antreiben kann. Sonnensegel nutzen also die Lichtstrahlungsdruck einer Sonne.
Das hat nichts mit Sonnenwind oder der Partikelstrahlung der Sonne zu tun.
Solarpanele, die etwa die ISS und viele Satelliten mit Energie versorgen, produzieren durch Halbleiterzellen aus dem Sonnenlicht elektrische Energie.
Diese Definition musste hier noch einmal sein, da „solar panel“ (Solarpanele) oft falsch mit „Sonnensegel“ übersetzt wird.
Das „Alien-Wort“ sorgt für Medienhysterie – was steckt dahinter?
Eine hübsche akademische Fingerübung ist Bialys und Loebs Brief sicherlich.
Zweifellos haben die beiden eine in sich logisch aufgebaute Argumentationskette aufgebaut. Natürlich haben sie bei jedem weiterführenden Schritt darauf hingewiesen, dass ihre Erklärung hypothetisch ist.
Dass die Formulierung einer Hypothese des Vorhandenseins eines möglicherweise interstellaren technischen Artefakts in unserem Sonnensystem zu einer akuten Medienhysterie führen würde, war vorhersehbar. Genügend Medien haben die Publikation wertungsfrei wiedergegeben, wenige haben sich damit kritisch auseinandergesetzt.
Wie Ryan Mandelbaum auf Gizmodo schreibt:
“Loeb has previously described to Gizmodo his interest in studying interstellar objects for signs of alien life. He’s also chairing an initiative called Breakthrough Starshot, which hopes to build a solar sail like the one he claims ‘Oumuamua might be.
So, is ‘Oumuamua an alien spaceship? Who knows—it’s not impossible. But there are much more plausible explanations that haven’t yet been ruled out.” Mandelbaum zitiert eine ganze Reihe von Astrophysikern, die diese Publikation für absolut unseriös halten, da es eine Irreführung des Nicht-Fachpublikums verursachen kann.
Was ja auch passiert ist.
Das Verhalten von Bialy und Loeb mit ihrer astrophysikalischen Hypothesenkette eine solche Hysterie loszutreten, finde ich unverantwortlich und unseriös.
Eine wissenschaftliche Vorgehensweise bedingt die Annahme der wahrscheinlichsten Lösung und nicht der unwahrscheinlichsten.
Ockhams Rasiermesser (Parsimonieprinzip, Ockham`s Razor) beschreibt einige Grundbedingungen wissenschaftlicher Arbeitsweise trefflich:
„Ockhams Rasiermesser – auch Prinzip der Parsimonie, lex parsimoniae oder Sparsamkeitsprinzip – ist ein heuristisches Forschungsprinzip aus der Scholastik, das bei der Bildung von erklärenden Hypothesen und Theorien höchstmögliche Sparsamkeit gebietet. Das nach Wilhelm von Ockham (1288–1347) benannte Prinzip findet seine Anwendung in der Wissenschaftstheorie und der wissenschaftlichen Methodik. Vereinfacht ausgedrückt besagt es:
- Von mehreren möglichen Erklärungen für ein und denselben Sachverhalt ist die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen.
- Eine Theorie ist einfach, wenn sie möglichst wenige Variablen und Hypothesen enthält und wenn diese in klaren logischen Beziehungen zueinander stehen, aus denen der zu erklärende Sachverhalt logisch folgt.“ (Wikipedia: Ockhams Rasiermesser).
Die Arbeit von Loeb und Bialy erfüllt gleich beide für wissenschaftliche Arbeiten geforderten Bedingungen nicht.
Die Wahrscheinlichkeit des Kontakts der Erdenbewohner mit interstellaren Aliens, die eine interstellare Raumfahrt entwickelt haben, kann ich nicht berechnen. Ich halte sie allerdings aufgrund von Überlegungen wie der Drake-Gleichung für extrem gering.
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