Die Seegurke Enypniasties eximia alias “Headless chicken” (NOAA)

Eine frei schwimmende, absolut rote Seegurke namens Enypniasties eximia – umgangssprachlich auch “Headless chicken” genannt – führte gerade zu Verwirrung:
Das rote Wunderwesen schwamm vor die Kameras der Australian Antarctic Division, die eigentlich auf der Jagd nach Bildern der Langleinen-Fischerei auf antarktischen Seehecht (Antarctic Toothfish) waren. Daraufhin musste erst mal wieder erklärt werden, dass diese Kreatur ein real existierendes Tier ist. Und zwar kein “Kopfloses Hühnchen” sondern eben eine schwimmende Seegurke.

Enypniasties eximia ist wirklich ungewöhnlich, denn Seegurken lungern normalerweise auf dem Meeresboden herum, ihre Vorder- und Hinterenden sind oft kaum idenfizierbar. Dieses Tier hingegen schwimmt im freien Wasser und hat sogar Flossen, mit denen es durch tiefere Wasserschichten rudert. Außerdem hat dieser Stachelhäuter keine nichtssagende graubraune Färbung wie die meisten am Boden lebenden Verwandten, sondern ein durchsichtig erscheinendes, sattes Rot – eine typische Tiefwasser-Farbe. Ihre Färbung ändert sich übrigens im Laufe des Lebens: In ihrer Jugend sind diese Tiere erst einmal zartrosa und semitransparent, so dass die inneren Organe und der gefüllte Darm sichtbar sind. Ältere  Tiere werden undurchsichtig und dunkler, zwischen braunrot bis purpurrot.

Enypniasties schwimmt aufrecht auf dem Kopf stehend: Am Hinterende und in Schwimmrichtung sitzt die segelartige Schwimmhaut, die zwischen 12 Füsschen (Podien) aufgespannt ist. Im Video von NOAA ist die sich aufblähende Bewegung der Schwimmhaut bei der aufrecht schwimmenden Enypniasties gut erkennbar. Die kleinen Finnen am hinteren Körperende dienen der Stabilisierung und Steuerung, sie bestehen ebenfalls aus Podien mit einem Hautsegel. Der zylindrische Körper wird zwischen 6 und 25 Zentimeter groß.
Der Bewegungsablauf ähnelt für mich dem des Tiefseevampirs Vampiroteuthis, sowohl vom Aufblähen des “Mäntelchens” als auch von der Rückwärts-Schwimmrichtung, auch die Farbe stimmt. Das Kopflose Hühnchen und der Tiefseevampir zeigen mal wieder, wie viele Organismen im gleichen Lebensraum trotz unterschiedicher Anatomie ähnliche (konvergente) Anpassungen entwickeln.

Bisher war dieses exotische Tier u. a. aus dem Golf vom Mexiko bekannt, wo es den Tiefsee-Kameras von NOAA-Forschern vor die Linse “getanzt” war. Die Seegurke bewegt ihre Flossensäume ähnlich den Volants eines weiten Rocks, darum passen der Trivialname “Spanische Tänzerin” (Achtung: Verwechslunggefahr mit der Nackstschnecke Hexabranchus sanguineus) und die Walzermusik im Video besonders gut.

Die Nahrungsaufnahme ist allerdings genauso, wie man es bei einer Seegurke erwartet: Sie landet dazu auf dem Meeresboden und klaubt sich Organismen und organische Partikel aus dem Sand. Seegurken sind Substratfresser – sie nehmen Sand nicht selektiv auf sondern “lutschen” die auf und im Sand lebenden Organismen wie Algen und Meiofauna (Bewohner des Sandlückengeflechts) sowie Nährstoffe (Detritus) ab, danach scheiden sie den Sand wieder aus. Die Substrataufnahme geschieht recht schnell, dazu bremst die rote Träumerin mit ihrem Segel wie mit einem Treibanker, anschließend hebt sie eilig wieder ab und entschwebt tänzelnd in die Wassersäule.

Expl5475.jpg

A swimming pinkish orange translucent holothurian (Elasipodida) with intestinal tract visible. Material in gut is similar to seafloor dung piles seen widely over world ocean sea floor. Image ID: expl5475, Voyage To Inner Space – Exploring the Seas With NOAA Collect. Photo Date: 2010 July 27. Credit: NOAA Okeanos Explorer Program, INDEX-SATAL 2010.

Das Kopflose Hühnchen ist eine von 26 frei schwimmenden Seegurkenarten weltweit, davon leben 20 in der Tiefsee, die ein Seegurken-Paradies zu sein scheint.
Seegurken sind zwar Stachelhäuter wie Seesterne, Schlangensterne und Seeigel, ihr knöchernes Außenskelett ist allerdings stark reduziert auf vereinzelte Skelettplättchen in der Außenhaut. Außergewöhnlich ist auch durch ihre Biolumineszenz: Das Leuchten wird durch einen Berührungsreiz ausgelöst “[…] gebunden an Hunderte kleiner Körnchen im brüchigen und klebrigen, gelatinösen Integument der Tiere.” Bei starker Berührung löst es sich sogar ab und bleibt am Kontaktpartner hängen. Räuberische Fische werde so mit Glitzer markiert, was ihren Jagderfolg eine Zeitlang erheblich mindern dürfte. Das leuchtende Integument der Seegurke wächst nach einigen Tagen nach.
Unter den stacheligen Würsten der Seegurken-Verwandtschaft ist Enypniasties mit ihrem rosa gerüschten Volant und dem Glitzer ohne Zweifel die Prinzessin!

Bekannt ist diese Tiefsee-Seegurke schon lange, sie wurde 1874 während der berühmten Challenger-Expedition, der ersten Tiefsee-Expedition, entdeckt. Der schwedische Zoologe Johan Hjalmar Théel beschrieb die Art und Gattung 1882 auf der Basis eines ramponierten, unvollständigen und sicherlich nahezu farblose in Alkohol konservierten Tieres – ein blasser, lebloser Abklatsch des roten Wesens, dessen Tanz-Video wir heute bestaunen können. Dennoch hatte der Zoologe und Stachelhäuter-Experte ihre Besonderheit sofort erfasst und benannte die Gattung nach dem griechischen Ausdruck für Träumer: Enypniastes.

Im Golf von Mexiko ist sie bereits häufiger gesichtet worden, die Gattung mit einer einzigen Art ist kosmopolitisch und lebt in allen Ozeanen zwischen 300 und 6000 Metern Tiefe.
Die australischen Forscher haben nun auch den ersten EnypniastiesNachweis für antarktische Gewässer erbracht. Ihr Survey hatte ein besseres und nachhaltigeres Management der antarkischen Seehecht-Bestände zum Ziel, die Expedition wurde für die Commission for the Conservation of Antarctic Marine Living Resources (CCAMLR) durchgeführt. Der Survey hat so viele phantastische Sichtungen unterschiedlichster Tiere erbracht, dass die Biologen sind nun für die Einrichtung weiterer Schutzgebiete in antarktischen Gewässern einsetzen werden. Ein schönes Beispiel, wie aus dem Management lebender Ressourcen heute nicht nur neue Fischereiquoten zur Ausbeutung der Bestände sondern auch immer wieder Forderungen nach Schutzgebieten kommen.

 

 

Kommentare (20)

  1. #1 tomtoo
    6. Dezember 2018

    Das ist keine Seegurke. Sieht das Teil nach Gurke aus? Nee, oder? Das ist ein Alien. ; )

  2. #2 RPGNo1
    6. Dezember 2018

    Das Tierchen trägt seinen Spitznamen zurecht.

    Ich fühlte mich beim ersten Blick auf das Foto spontan an ein Brathähnchen erinnert, welches sehr ordentlich mit rotem Paprikagewürz eingerieben wurde.

    Hm, lecker! 🙂

  3. #3 Bettina Wurche
    6. Dezember 2018

    @RPGNo1: ; )

  4. #4 Bettina Wurche
    6. Dezember 2018

    @tomtoo: Na, dann war´s ja in der richtigen Rubrik: “Mythbusting”

  5. #5 Beobachter
    6. Dezember 2018

    Toller, interessanter Artikel – danke!

    Hältst du in nächster Zeit bzw. 2019 auch mal Vorträge im Raum Karlsruhe/Heidelberg?

  6. #6 Beobachter
    6. Dezember 2018

    Toller, interessanter Artikel – danke!

    Hältst du in nächster Zeit bzw. 2019 auch mal Vorträge im Raum Karlsruhe/Heidelberg?

    (Beim 1. Versuch, diesen Kommentar zu posten, hat es nicht geklappt – ist nicht erschienen – komisch … )

  7. #7 Bettina Wurche
    6. Dezember 2018

    @Beobachter: Da müsste mich jemand einladen : ) Es ist ja um die Ecke. Heppenheim (etwas südlich von Heidelberg) ist allerdings geplant – am 09.04. um 20:00 Uhr spreche ich auf der Starkenburg-Sternwarte über Ichthyosaurier.

  8. #8 tomtoo
    7. Dezember 2018

    @Beobachter
    Wärste nicht immet gleich so paranoid wüsstest du das es einen Serverumzug gab. Ansonsten viel Spass in meiner Heimat. Odenwald.

  9. #9 Beobachter
    7. Dezember 2018

    @ Bettina Wurche:

    Den Vortrag in Heppenheim werde ich mir mal vormerken.

    @ tomtoo, # 8:

    Woher sollte ich es denn wissen?
    Wo ist es denn öffentlich für alle Interessierten verkündet worden?

  10. #10 rolak
    7. Dezember 2018

    Wo?

    Vielleicht doch endlich mal einen passend beschreibenden nick? Da.

  11. #11 Bettina Wurche
    7. Dezember 2018

    @rolak: Sorry, aber das verstehe ich nicht. Was meinst Du?

  12. #12 rolak
    7. Dezember 2018

    Kein Wunder, Bettina, das ging ja auch an den nichtbeobachtenden Beobachter, via url verankert. Wobei fraglich bleibt, ob er in seiner bräsig herablassenden Art es versteht.

  13. #13 Bettina Wurche
    7. Dezember 2018

    @Beobachter, @Tomtoo: Beim nächsten Server-Aussetzen versuche ich, daran zu denken, es zu kommunizieren.

  14. #14 rolak
    7. Dezember 2018

    oh wow, schlappe 7h Verzögerung, nicht schlecht, selbst für Serverumzug… falls händisch aus dem Orkus befreit: Herzlichen Dank! Generell: angenehmes Wochenende!

  15. #15 Bettina Wurche
    7. Dezember 2018

    @rolak: Nach meinen bisherigen Efahrungen mit komplexen Serverumzügen ist eine Verzögerung noch das kleinste Problem. Bin jedenfalls froh, dass mit keine schweren Probleme wie Artikel wech, Bilder unsichtbar etc passiert sind.

  16. #16 rolak
    7. Dezember 2018

    (der nächste in die Warteschlange) Klar wäre dergleichen deutlich lästiger, Bettina – vor allem für euch blogger*, bisher ist ja nur von KommentarVerrottung und unschönem Look&Feel zu lesen. Dafür habt ihr aber (hoffentlich) ausgleichenderweise ein sauberes backup in der Hinterhand.
    Ich sehe es übrigens keinesfalls als Deine Aufgabe an, solch absehbare technische Problemchen prophylaktisch als möglich bis wahrscheinlich anzukündigen – das sollte die Plattform global erledigen, wie bisher auch, cause ‘seamless’ is almost unreachable. Bei einem Ausfall dürftest auch Du kommunikativ deutlich eingeschränkt sein.

  17. #17 Beobachter
    7. Dezember 2018

    @ Bettina Wurche, # 10:

    Ist ja auch nicht weiter schlimm, das mit den Server-Aussetzern – hab mich nur gewundert und das auch nebenbei geäußert.
    Das war alles – und es hat sich ja jetzt aufgeklärt.

    @ rolak, # 11, # 13:

    Dich hatte ich ja gar nicht angesprochen.
    Glaubst du, dass ich täglich alle SB-Kommentare in allen SB-Blogs lese und mitzubekommen hätte/wissen müsse, wenn irgendwo etwas von “Serverumzug” erwähnt wird?!
    Du trittst hier erstmalig als Kommentator in Erscheinung, und nur, um mich grundlos anzupöbeln?!

    Hier geht`s um die rote Seegurke und nicht um “persönliche” Animositäten …

  18. #18 Bettina Wurche
    7. Dezember 2018

    @Beobachter: Etwas Contenance bitte, ich denke, die Sache ist nun geklärt. Unter Pöbeln verstehe ich wirklich etwas anderes.

  19. #19 rolak
    8. Dezember 2018

    (Konkrete, ergänzende ZusatzAspekte für Bettina // letzter des NichtThemas)

    Dich hatte ich ja gar nicht angesprochen

    Das ist bei der Beantwortung von Sachfragen ja wohl irrelevant, B, oder warum hast Du es in den letzten 10h versäumt, Dich bei Bettina darüber zu beschweren, daß sie auf den an mich gerichteten Teil antwortet?

    Glaubst du, dass ich täglich alle mimimi?

    Wer so grobklotzig ‘konnte ich doch gar wissen’-untertönend fragt, sollte sich über grobe Keile in der Antwort nicht wundern.

    erstmalig (..) nur, um

    Ja meinst Du etwa, es müsse jeder Mensch, der auf einen Deiner Ergüsse antwortet, zuerst einen in sich abgeschlossenen, 100% themenorientierten Kommentar zum Besten geben?

    Hier geht`s um die rote Seegurke und nicht um

    Erstaunlich – und warum taucht die dann hier & bei Dir zuerst in diesem Satz auf?

  20. #20 Beobachter
    8. Dezember 2018

    @ rolak:

    … Schöne Weihnachten ! …