„The Ocean-Cleanup“ ist das ambitionierte Projekt des jungen Niederländers Boyan Slat, der im großen Stil Plastik-Müll aus den Meeren entfernen will. Er hat eine Art riesigen Müllrechen konstruiert, der an der Meeresoberfläche treibenden Plastikmüll einsammeln soll. Durch die geniale Vermarktung hat der Umweltaktivist, Erfinder und CEO Slat die finanziellen Mittel zur Realisierung seiner Erfindung gesammelt – über 30 Millionen Dollar. Mehr zu den Gefahren des Meeresplastiks gibt es hier).
Dieses Video zeigt die Vorgehensweise des Projekts:
Im September 2018 war das erste Gerät – getauft auf den Namen „Wilson“ – von San Franciso aus in den Pazifik zum Großen Pazifischen Müllstrudel zwischen Kalifornien und Hawaii geschleppt worden. Das Gerät besteht aus einem 600 Meter langen Schwimmer (Floater), der über der Wasseroberfläche treibt und Müll fängt. Von diesem Schwimmer hängt eine 3 Meter lange Schürze (Skirt) ins Wasser, die den Müll unterhalb der Wasseroberfläche einfangen soll.
Wegen der langsamen Geschwindigkeit und er Struktur der Schürze sollen Meerestiere der Sammeleinrichtung leicht durch Untertauchen ausweichen können.
Die U-förmig gebogene Installation aus einem schwimmenden Hohlkörper (Floater) und einer ins Wasser hängenden Schürze (skirt) soll das Plastik sammeln und verdichten, die kompakte Müllinsel soll dann per Schiff eingesammelt und zur Deponierung oder zum Recycling an Land gebracht werden.
Weiterhin ist die ganze Konstruktion mit vielen Instrumenten zur Datensammlung bestückt, die langfristig zu einer Verbesserung der Effektivität führen sollen.
Am 29.12.2018 kam nun erst einmal die Mitteilung, dass dieser erste Versuch nicht gelungen sei: Der Floater war in den Wellen des gar nicht so friedlichen Pazifiks zerbrochen. Außerdem hätte das Müllsammeln nicht geklappt, weil das Plastik unter dem Gerät hindurchgetrieben sei. Solche Rückschläge seien bei einem so großen Projekt aber zu erwarten und würden keines falls dessen Scheitern bedeuten, so das Ocean Cleanup-Team.
Natürlich braucht jede geniale Erfindung Zeit und mehrere Anläufe, bis sie wirklich funktioniert.
Der zunächst als Wunderkind gefeierte Boyan Slat hatte extrem ambitionierte Ziele, mit 6 solchen Geräten wollte er bis 2040 bis zu 90% des Plastiks aus dem Pazifischen Müllstrudel entfernen und mit dem Recycling auch noch ein Riesengeschäft machen. Je größer die Ambitionen und Versprechungen sind, desto höhere Erwartungen entstehen und desto mehr Häme ergibt ein Misserfolg. Diese Abfolge ist gerade exquisit zu beobachten.
Leider scheint der mangelnde Erfolg strukturell bedingt zu sein. Slat hatte alle Warnungen und Anmerkungen erfahrener Ozeanographen und Meereskundler ignoriert, die ihm vorab gesagt hatten, dass und warum diese Erfindung so nicht funktionieren könne sowie Alternativen-Vorschläge und Unterstützung angeboten hatten.
Die jetzt eingetretenen Probleme, dass der Pazifik den 600 Meter langen Schwimmer zerschlagen hat und Schwimmer und Schürze keinesfalls das oberflächlich treibende Plastik abgefangen haben, waren ihm genauso vorausgesagt worden.
Die Ozeanographin Dr. Kim Martini, die viel Erfahrung u. a. mit der Entwicklung von Verankerungen für ozeanograhische Geräte hat und die biologische Ozeanographin Dr. Miriam Goldstein, die sich intensiv mit den ökologischen Auswirkungen der Plastik-Verschmutzung im Subtropischen Nordpazifik-Wirbel beschäftigt hatten das Projekt „Ocean Clean-up“ genau studiert und im Stil einer Peer-Review in einer 528 Seiten starken Machbarkeitsstudie eine Reihe von Anmerkungen und Änderungsvorschläge gemacht.
Beide waren der Meinung, dass Slats Projekt lobenswert, aber mit dem vorgesehenen Design nicht machbar sei.
Kritik von Dr. Kim Martini und Dr. Miriam Goldstein am Ocean Cleanup-Projekt im Detail
Die gesamte Machbarkeitsstudie deckte viele verschiedene Felder dieses interdisziplinären Projektes ab. Martini und Goldstein haben sich dabei auf zwei Punkte konzentriert: Das Design der Struktur und umweltschutzrechtliche sowie andere juristische Aspekte.
Wesentliche Kritikpunkte sind u. a.:
- Die Pilotstudie hat das tatsächliche Tiefenprofil des Plastikmülls im Pazifik nur mangelhaft berücksichtigt – die reicht in Wahrheit tiefer als 3 Meter unter die Oberfläche
- Die Testläufe und deren Analyse des Prototypen waren unvollständig und nicht ausreichend (“The preliminary testing and analysis of a prototype boom is incomplete and does not “validate the capture and concentration potential of a floating barrier with a skirt depth of 3 m” (p. 29).)
- Die Studie hat die potentiellen Belastungen und Spannungen, die auf das Gerät einwirken würden, ernsthaft unterschätzt
- Es hat keine Lösung für den zu erwartenden Bewuchs mit Meerestieren und -pflanzen (antifouling) des Geräts gegeben
- Das Verbiegen der Müllsammler-Gerätschaften bis hin zum Verlust der Funktionabilität ist ignoriert worden
- Es ist ungeklärt, wie die voraussichtlich im nordpazifischen Wirbel anzutreffenden Tiergruppen auf den Müllsammler reagieren würden.
Die in die Projektstudie eingezogenen Tiere seien jedenfalls nicht die, die dort de facto vorkommen
Umweltrechtlich ist der Müllsammler bedenklich, weil nicht geklärt ist, wie mit den sehr wahrscheinlich neben dem Müll eingesammelten Tieren verfahren werden soll. Viele von den größeren wandernden Meeresbewohnern stehen unter strengem Schutz
Gleichzeitig hatten sie mehrere Alternativ-Vorschläge erarbeitet.
Auch der Ozeanograph Clark Richards bleibt sehr skeptisch, was die Erfolgsaussichten des Müllsammlers Wilson angehen.
Er bezweifelt, ob das Design des ozeanischen Müllsammlers den tatsächlichen Anforderungen im offenen Pazifik genügt:
Der große Meereswirbel (Gyre) rotiert zwar vorhersehbar wie eine Toilettenspüleng, so Richards gegenüber der Washington Post, aber zusätzlich gibt es zahlreiche kleinere Wirbel (Eddies), die er als Squirts und Jets bezeichnet. An der Meeresoberfläche findet also ein komplexer Tanz der Wellen statt, dem sei der Müllsammler „Wilson“ höchstwahrscheinlich nicht gewachsen.
In seinem Gastbeitrag “The (ocean) physics of The Ocean Cleanup’s System 001” auf dem DeepSeaNews-Blog beschreibt er diese komplexen Wasserbewegungen des Nordpazifiks detailliert.
Beim jetzigen Design des Müllsammlers ist das Plastik offenbar unter der Schürze hindurch oder daran vorbei getrieben worden.
Außerdem hat es keine ernsthafte Lösung für den Schutz der meisten der im Plastikwirbel lebenden Tiere gegeben: Slat behauptet, größere Tiere würden einfach unter dem Skirt hindurchtauchen.
Natürlich können starke Schwimmer wie Wale und große Fische theoretisch einer solchen Struktur ausweichen. Clark Richards bezweifelt allerdings, dass alle größeren Meerestiere dies können und auch wirklich tun würden, denn es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür.
Da kann ich ihm nur zustimmen, der Beifang in der Fischerei spricht leider dagegen: Nicht einmal die springfreudigen und –gewaltigen Delphine können eigenständig eine niedrige Barriere überwinden.
Die Myriaden von kleineren Tieren vor allem des Zooplanktons haben diese Möglichkeit schon gar nicht, denn sie sind keine aktiven Schwimmer und viel zu klein und schwach, um einer solchen Struktur gezielt und aktiv ausweichen zu können.
Dazu kommt, dass der Plastikmüll selbst mittlerweile zu einem Ökosystem geworden ist – eine Trennung der darauf festsitzenden Tiere vom Müll ist nahezu unmöglich.
Für beides hatte das „Ocean Clean-up“ keine Lösungen angeboten.
Unabhängig von den Änderungen, die Slat und die Projektgruppe jetzt unternehmen werden, wird sich schwerlich etwas an der strukturellen Fehlkonstruktion ändern lassen. Schließlich soll das grundsätzliche Design nicht verändert werden.
Dass die Kritik der Pazifik-erfahrenen Meereskundler Boyan Slat nicht behagt hat, ist verständlich. Ein so großes Projekt mal eben eigenständig aus dem Ärmel schütteln zu wollen, ohne die Kenntnisse und Erfahrungen einer ganzen Wissenschaftscommunity, die selbstverständlich auch ein riesengroßes Interesse am Kampf gegen den Plastikmüll hat, nicht abzurufen, grenzt für mich allerdings schon an Größenwahn.
Ein solch riesiges Problem kann nur mit gemeinsamer Kraft und Energie, mit Wissen und Begeisterung gemeistert werden.
Dass es hier mal wieder nicht möglich war, ein gemeinsames Projekt aufzustellen, sondern es bei einem Schnellschuss geblieben ist, ist im Kampf gegen das Meeresplastik-Problem leider wenig hilfreich.
Dieses Video zeigt noch einmal das Ausmass der schwimmenden Müllinsel:
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