Hier ist noch ein Nachtrag zu den ökologischen Folgen des Ocean-Cleanup-Projekts, was in Plastikmüll im Meer: Ist “The Ocean Cleanup”–Projekt ein Fehlschlag? schon kurz angesprochen wurde. Die Meeresbiologin Rebecca Helm (University of North Carolina) befürchtet die Auslöschung eines noch weitgehend unbekannten Ökosystems – ich teile ihre Bedenken.
Die Blaue Flotte und das Plastik-Problem
An der Meeresoberfläche treibt eine gläsern-durchscheinende, ultamarin und violett schillernde Lebensgemeinschaft: fragile kleine Meereswesen, die direkt in oder unter der Wasseroberfläche schweben. Ihr Name: Neuston
(griech. Das Schwimmende) oder „Die „Blaue Flotte“.
Das flirrende Blau und Violett ist das charakteristische Merkmal der fragilen Geschöpfe und ihres Lebensraums an der der Meeresoberfläche: Die Himmelblaue Veilchenschnecke Janthina, die Seeschwalbe oder Seeschmetterling genannte Schnecke Glaucus, die Segelqualle Velella, die Polypenkolonie Porpita und Physalia, die berüchtigte Portugiesische Galeere mit ihren todbringenden Nesselzellen auf den meterlangen langen Tentakeln.
Diese Schnecken, Quallen und anderen Organismen sind Spielbällchen der Meeresströmungen, sie driften vor dem Wind und werden oft von Wirbeln und Winden zu Inseln zu großen Ansammlungen zusammengeschoben.
Genauso wie Plastik-Abfall.
Die Blaue Flotte ist schon seit über 100 Jahren bekannt, ihre komplexe Ökologie ist aber noch nicht sehr gut erforscht. Einen wichtigen Beitrag hat der russische Meeresbiologe Saviliv 1956 geleistet: er hat für den Pazifik sieben verschiedene solche Neuston-Ökosysteme beschrieben. Eins davon, „Neuston Ökosystem 2“, lebt in genau dem Gebiet, das als erster Einsatzort für das Ocean Cleanup-Projekt vorgesehen waren, schreibt Rebecca Helm in ihrem Beitrag “How Plastic Cleanup Threatens the Ocean’s Living Islands” für “The Atlantic”. Diese Insel voller Leben in der Wüste des offenen Ozeans vergleicht die Meeresbiologin mit einer Oase oder sogar mit einem Korallenriff.
Das Ocean Cleanup-Projekt soll bis 2040 bis zu 90% des Plastiks aus dem Pazifischen Müllstrudel. Gewaltige Müllsammelarme sollen den treibenden Kunststoff direkt an der Oberfläche absammeln, um ihn dann an Land zu bringen.
Aber der ozeanische Wirbel sammelt alles, was treibt – Neuston und Plastik. Wenn Boyan Slat verspricht, mit dem Ocean-Clean-up 90 % des Mülls aus dem Pazifischen Müllwirbel zu fischen, könnte er dabei auch 90 % des Neustons abfischen. Die Meerestiere der Blauen Flotte sind klein und fragil, sie können nicht gut aktiv schwimmen und schon gar nicht tauchen. Ein Müllsammelgerät, 600 Meter lang und drei Meter tief, würde die Tiere einfach mit dem Plastik einsammeln, ihre zarten Körper würden zwischen den Kunststoffen zerquetscht, befürchtet Rebecca Helm.
Die gläsern-opake Lebensgemeinschaft der Meeresoberfläche sieht in Form, Farbe und Bewegung driftenden Plastik-Teilen zum Verwechseln ähnlich. Darum zieht die Community auch viele hungrige Tiere an, wie Meeresschildkröten und Seevögel. Die dann statt der leckeren Quallen oder Schnecken Plastik fressen.
Auch diese Tiere könnten im Müllsammler landen, Quallen haben nur schwache Muskeln, Seeschildkröten könnten verletzt werden und ertrinken.
Auf den 146 Seiten des Ocean Cleanup-Umweltgutachtens (environmental-impact assessment) kommt das Neuston nicht vor. Ein schweres Versäumnis, meint Rebecca Helm.
Ich habe das Umweltgutachten ebenfalls nach Neuston und Quallen durchsucht und auch nichts dazu gefunden. Slat und sein Team haben den Lebensraum der Meeresoberfläche offenbar vergessen oder ignoriert.
Als Meeresbiologin will Rebecca Helm den Ozean und seine Wesen bewahren und schützen. Auch das Team des Ocean-Cleanup-Projects hat bestimmt die besten Absichten, so schreibt. Darum hat sie ihre Befürchtungen dem Team mitgeteilt. Die Antwort von Ocean-Cleanup: “but said that its assessment had already estimated impacts to relevant groups of animals based on the best data it could find.” Das Neuston ist nicht relevant, denn es liegen keine Daten dazu vor. „That’s far from reassuring. We cannot monitor this ecosystem with our current technology, and millions of animals may die and dissolve before the scale of destruction is fully understood.” Kein Wunder, meint Rebecca Helm, denn zurzeit gäbe es gar keine Mittel und Wege, solch ein Ökosystem konkret und in Zahlen zu erfassen. So gibt es weder Daten zum Ist-Zustand noch ein Monitoring. Sicher aber würde ein funktionierendes Ocean Cleanup Millionen dieser Meerestiere und ihr noch unerforschtes Ökosytem auslöschen.
Darum schlägt sie vor, das Plastik nicht im Ozean, wo es bereits Teil eines Ökosystems ist, zu bekämpfen, sondern schnellstmöglich modifizierte Abfallsammler in Flüssen und Buchten zu installieren, so dass der Kunststoffmüll gar nicht erst ins Meer gelangt.
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