In den kalten Gewässern der Südhalbkugel, soviel ist heute sicher, leben 5 verschiedene Ökotypen von Schwertwalen (Orcinus orca, „Killer whale“).
Ökotypen unterscheiden sich in ihrer Ernährung, dem Lebensraum, dem Verhalten und der Kommunikation. Auch äußerlich (morphologisch) unterscheiden sich die Wale mit dem markanten Schwarz-Weißmuster: Augenfleck, Sattelfleck (vor der Rückenflosse), Größe, Profil und Rückenflosse differieren. Jedenfalls für geübte Wal-Beobachter. Für andere Menschen sehen die großen Delphinartigen ziemlich gleich aus.
Über die Typ C-Orcas gab es gerade einen Meertext-Bericht, sie schwimmen ständig vor der McMurdo-Station auf dem Wal-Highway entlang und sind für Biologen leicht erreichbar und zu studieren.
Typ D-Orcas hingegen leben nicht direkt in der Antarktis, sondern in den Weiten der subantarktischen Gewässer. So sind sie vor den neugierigen Augen der WissenschaftlerInnen lange verborgen geblieben.
Jetzt hat ein Forschungsschiff mit Wal-Experten eine ganze Gruppe von ihnen vor Chile aufgespürt. Neben Photos und Beobachtungen hat das Forschungsteam um Dr. Robert Pitman von NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) auch erstmals Hautproben für die genetische Analyse genommen. Höchstwahrscheinlich, so der walerfahrene Pitman, ist dieser Ökotyp D eine eigene Spezies! Schließlich würden sie sich besonders stark von den anderen Orca-Typen absetzen. Pitman ist ein ausgewiesener Experte, er hatte bereits 2011 auf der damaligen Wissensbasis den Orca-Ökotyp D beschrieben: “Observations of a distinctive morphotype of killer whale (Orcinus orca), type D, from subantarctic waters“ (Robert L. Pitman, John W. Durban, et al; Polar Biology; February 2011, Volume 34, Issue 2, pp 303–306 pp).
Neben Bildern der Orcas mit dem extrem kleinen weißen Augenfleck hatten sie dabei auch die Orte der Sichtungen eingetragen – Typ D-Orcas treiben sich offenbar in allen subantarktischen Gewässern herum, im Südatlantik und Indopazifik! Ein großes Gebiet für nicht sehr große Wale.
Typ D-Orcas sind bisher schon einige Male beschrieben und dokumentiert worden: Von Amateur-Photographen, Fischern und von einer Massenstrandung in Australien. 1955 waren gleich 17 dieser Wale am Strand von Paraparaumu (Neuseeland) gestrandet und gestorben. Diese Tiere haben einen runderen Kopf ohne Schnabelansatz, eine kleinere und spitzere Finne (Rückenflosse) und einen sehr kleinen weißen Augenfleck, außerdem sind sie ein paar Fuß kleiner als die üblichen Schwertwale. Das alles ist allerdings in den tosenden Wogen der 40-er und 50-Breitengrade nicht einfach zu erkennen. Diese Wassermassen heißen ja nicht umsonst Roaring Fourties und Furious Fifties und sind die wildesten und abgelegensten Gewässer der Welt. Nur wenige Menschen setzen sich dem tobenden Südozean aus, der seine Geheimnisse hinter Wind, Wogen, Gischtschleiern und Düsternis gut verbirgt.
2005 hatte ein französischer Biologe Pitman Bilder ungewöhnlich aussehender Orcas gezeigt. Die Wale hatten nahe der Cozet-Insel im südlichen Indischen Ozean Fisch von Langleinen “gestohlen” – sie hatten die gleichen ungewöhnlich kleinen Augenflecken und runden Köpfe. Auch chilenische Fischer und andere Fischerei-Beobachter hatten mehrfach berichtet, dass es in den Gewässern 60 bis 80 Meilen vor Kap Horn unterschiedliche Orca-Gruppen gibt, die sich nicht miteinander mischen.
Jetzt hatten die Forscher von einem Spender die Mittel für eine Expedition erhalten und von chilenischen Fischern die Information, wo die ungewöhnlichen Orcas sich gerade herumtreiben. So konnte das Team um Pitman mit dem Schiff „Australis“ gleich 25 Typ D-Schwertwale beobachten, fotografieren, über und unter Wasser filmen, belauschen und beproben. Eine Woche hatten die Wissenschaftler verschiedener Universitäten auf die schwarz-weißen Wale gelauert, bis ein ganzer Pod (Gruppe) mehrere Stunden neugierig die Forscher und das Schiff erkundeten. Auch das Hydrophon inspizierten die Wale, allerdings hielten sie Funkstille.
Von dem Ergebnis ist Pitman begeistert:
Mit einem Biopsie-Pfeil hatten die Biologen kleine Hautproben entnommen, die jetzt die genetische Analyse ermöglichen. Mit speziellen Biopsie-Armbrustbolzen hatten sie minimalinvasiv drei Hautproben ausgestanzt. Dabei werden nur Haut und Blubber entnommen, und kein Muskel verletzt – die übliche Technik für Wal-Biopsien.
Die molekulare Information wird Ausschlag darüber geben, wie lange diese Orcas mit dem kleinen Augenfleck schon von den anderen Ökotypen der Südhalbkugel getrennt sind. Pitman scheint schon recht sicher zu sein, dass bereits die jetzt vorliegenden morphologischen und ökologischen Unterschiede für eine eigene Unterart reichen: Subantarktische Orcas wäre ein guter Name für die neue Art, meint er. Schließlich kommen sie nur in subantarktischen Gewässern und fern der Küsten vor.
Umfassende Informationen über Orcas und die Ökotypen gibt es auf der Seite von NOAA:
Typ A-Orcas sind “typische” Schwertwale mit mittelgroßem Augenfleck, sie leben im Meer und fressen bevorzugt Zwergwale. Typ B-Orcas sind kleiner und haben einen großen Augenfleck. Ihre schwarzen Körperteile sind eher grau als schwarz, die weißen Bereiche eher gelblich. Sie kommen in zwei unterschiedlichen Größen vor Small B und Large B vor: Small B fressen vor allem Pinguine, Large B bevorzugen Robben, die sie geschickt von Eisschollen herunterspülen. Typ C-Schwertwale sind die kleinsten, haben einen aufwärts gezogenen Augenfleck und fressen vor allem Fisch.
Bericht eines Fischerei-Beobachters – wie Typ D-Orcas Langleinen plündern
Antarktische Seehechte und Schwarze Seehechte sind begehrte und hochpreisige Speisefische, dafür nehmen die chilenischen Fischer den Kampf mit dem tosenden Meer auf. Der niederländische Wal-Experte Ernst Schrijver war 2017 mit Fischern im Südpolarmeer und hat dort selbst erlebt, wie Orcas die Langleinen plündern.
Fischfressende Orcas haben sich schon seit längerem darauf spezialisiert, die hilflos an den Haken zappelnden Seehechte von den Langleinen zu pflücken. In dem Moment, wo ein Pack Orcas auftaucht, können die Fischer einpacken – der allergrößte Teil des Fangs ist verloren, das Einholen der letzten Fische und vor allem Fischköpfe lohnt nicht mehr.
Schrijver hat in seinem grandiosen Bericht „Type D Orcas: mysterious stalkers oft he Southern Oceans“ (Orcazine) anschaulich beschrieben, wie die Orcas die Leinen plündern und welche Animositäten es zwischen verschiedenen Walarten gibt: Ein auftauchender Pottwal zieht die Aufmerksamkeit der Schwertwale auf sich.
Wenig später kommen noch 200 Grindwale vorbei, die eng am Fischereischiff bleiben, aber keinen Seehecht „pflücken“. Grindwale sind nur etwas kleiner als Orcas, beide großen Delphinarten gehen sich aus dem Weg – so auch hier: Sowie die Grindwale da sind, ziehen sich die Orcas zurück. In dieser Zeit können die Fischer wieder ihrer Arbeit nachgehen. Sowie die Grindwale weiterziehen, kommen die Leinen wieder mit leeren Haken hoch.
Was eine Fangfahrt in den subantarktischen Ozean bedeutet, wie die Fischer an den dunklen, kurzen Tagen zwischen hohen Wellen, oftmals gar Sturm, die Fische an Bord bringen und welche Meeresbewohner ihnen dabei noch begegnen beschreibt Schrijver eindrucksvoll.
Unbedingt lesenswert!
Und seine Photos sind unbedingt sehenswert!
(Aufgrund der Urheberrechte erscheinen diese herrlichen Bilder leider nicht auf Meertext)
Kommentare (9)