In den folgenden Jahren gelingt es den OTRAG-Finanz-Genies, regelmäßig Projekte, Projektmittel und Infrastruktur aus der Entwicklungshilfe, Forschungsförderung, steuerlich absetzbaren Projekten und anderen günstigen Gelegenheiten zur Finanzierung der OTRAG-Aktivitäten umzuleiten. Der Filz aus Männerbünden in Technik, Politik, Wirtschaft und Finanzwelt und die Gutgläubigkeit oder gar Kumpanei hessischer und Bonner Ministerien sind in „Dann wäre Deutschland führend in der Welt“ ( Spiegel, 1977) detailliert aufgeführt.
70-er und 80-er Jahre: Beginn des Satellitenzeitalters
Zu Kaysers Zeit haben in Deutschland (und sicherlich auch anderswo) erst wenige Menschen die zunehmende Bedeutung der unbemannten Raumfahrt verstanden. Satelliten gibt es zwar schon, aber sie stehen nicht im Zentrum des öffentlichen Bewusstseins.
Die DFVLR (Vorläufer-Institution des DLR) schätzt Mitte der 70-er Jahre in einem Gutachten die Anzahl der benötigten geostationären Satelliten auf 52 Stück. „Eine Zahl, die hoffnungslos falsch ist“ – der Bedarf an Trägerraketen für Satelliten und Raumsonden wird in den 80-er Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit erheblich höher sein, als bisher angenommen, schreibt Rudzinski in „Der Raumtransport braucht ein billiges „Arbeitspferd““. Die damals noch kleine ESA kommt zu einer realistischeren Einschätzung, nämlich 200 geostationären Satelliten. Ein Erdbeobachtungsnetz mit geostationären Satelliten, ein Satelliten-Navigationssystem, nationale Kommunikations-Satellitensysteme und auch schon Erntebeobachtung und ähnliche Dienstleistungen nennt der Journalist Kurt Rudzinski als den Stand der damaligen Zeit.
Der technikbegeisterte OTRAG-Fan und FAZ-Wissenschaftsredakteur Kurt Rudzinski lässt seiner Begeisterung für die „Billig-Raketen“ nahezu kritiklos freien Lauf. Unermüdlich rechnet er vor, dass die Billig-Rakete ein wesentlich lohnenswerteres und unterstützungswürdiges Projekt sei als die großen europäischen Projekte, an denen sich die Bundesregierung beteiligt. Er wettert gegen saumselige Politiker und vermutet hinter großen Institutionen wie ESA und NASA bereits ein Kartell. In Tiraden wütet er gegen die Großprojekte Space Shuttle und der Trägerrakete Ariane: „Die französische Trägerrakete – ein 1,5 Milliarden DM-Projekt – die keinerlei Chance hat, wirtschaftlich zu werden und deren Erfolg ohnehin fraglich ist, wird von Deutschland mit etwa 50 Millionen DM jährlich bezuschußt.“ (FAZ: Billigrakete aus dem Baukasten, 1974, s. u.). (FAZ: Das Billigraketenprojekt, 1975, s. u.).
Seine Unterstützung von OTRAG und die nahezu unreflektierte Übernahme von Kaysers Aussagen und Positionen grenzt schon an Hofberichterstattung. Allerdings haben Rudzinski und Kayser die kommende Bedeutung der kommerziellen Raumfahrt und Satellitentransporte als bezahlbare Dienstleistung klar erkannt. Seine Raketen könnten Satelliten ins All tragen, so Kayser laut FAZ 1978, für die Ernteüberwachung, die Suche nach Bodenschätzen oder noch nicht genutzten Süßwasservorkommen, weitere Erdüberwachungsziele oder Kommunikation oder auch für militärische Aufklärungszwecke genutzt werden. OTRAGs Transportservice in den Orbit wäre auch für kleinere Länder und Entwicklungsländer bezahlbar. Und damit für viele kleine und Entwicklungsländer, die so unabhängig von den Großmächten hätten werden können; unter den Interessenten waren Länder wie Zaire, Libyen, Sri Lanka und Brasilien.
Preiswerte Raketen aus dem Baukasten: Röhrenbündel und Salpetersäure
Kurt Rudzinski schreibt 1974/75 in der FAZ vollkommen begeistert technisch detaillierte Lobeshymnen auf Kayser und seine Raketenproduktion. Dabei rechnet er gern vor, wieviel günstiger die OTRAG-Raketen würden.
Der Raketen-Konstrukteur Kayser hat ein modulares Baukastenprinzip entwickelt: eine Vielzahl von gleichen Triebwerken wird eng gebündelt an einen Triebstofftank montiert – dies bildet ein Antriebsmodul. Viele gebündelte Antriebsmodule ergeben jeweils eine Raketenstufe. Je nach Größe und Schubkraft der Rakete werden entsprechend viele dieser Antriebsmodule und Raketenstufen summiert. Indem diese immer gleichen Bauelemente als Bausteine für verschiedene Raketengrößen zusammengefügt werden, verringern sich die Kosten gegenüber anderen Raketen, bei denen jede Stufe und jede Raketengröße neu und unterschiedlich konstruiert und produziert werden muss. Kayser verwendet statt dessen bereits existierende industrielle Bauteile – etwa spiralgeschweißte Pipeline-Röhren von Krupp aus einer Nickelverbindung als Raketenhülsen und KfZ-Scheibenwischermotoren von Bosch als Ventilsteuerung. Die einzelnen Raketenstufen seien ineinander gebaut, statt wie üblich aufgesetzt. Auch der Treibstoff aus Dieselöl und Salpetersäure solle wesentlich günstiger sein als das sonst verwendete Dimethylhydrazin/Stickstoffetroxid (Rudzinski, Kurt: „Billigrakete nach dem Baukastenprinzip“, FAZ 1974, s. u.).
Diese Idee basiert auf Entwürfen aus den 30-er Jahren, die Kayser weiterentwickelt hat.
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