Jedes Jahr ziehen die Grauwale (Eschrichtius robustus) von ihren arktischen Nahrungsgründen die Pazifikküste entlang nach Süden bis zu ihren Kinderstuben in der Baja California. Die grauen Riesen stehen unter strengem Schutz, ihre Wanderung nahe der Küste ist ein Naturspektakel.
Seit Jahresbeginn sind allerdings schon 30 Grauwale gestorben: Acht in Washington, einer in Oregon and 21 an den kalifornischen Küsten. Von den kalifornischen Wal-Kadavern sind allein acht im Bereich der Bucht von San Franzisko angespült worden – der dichte Schiffsverkehr dort ist eine große Gefahr für große Wale.

Biologen wie Justin Greenman der National Oceanographic and Atmospheric Association (NOAA) sind alarmiert: Die Grauwale verhalten sich in diesem Jahr anders als sonst und die tot gestrandeten Tiere sind abgemagert. Es ist die dritthöchste Todesrate seit Beginn der Aufzeichnungen, so Greenman.
Chris Biertuempfel, California’s Programs Manager der Umweltschutzorganisation Oceanic Society, berichtet, dass die Grauwal-Mütter teilweise schon vor der San Ignacio-Lagune ihre Kälber zur Welt bringen.
Das ist ungewöhnlich, denn die Lagune bietet ihnen mehr Schutz und ist darum ihre angestammte Kinderstube. Die Oceanic Society führt Whale Watching-Touren in den Lagunen durch und sammelt dabei Wal-Daten: “In diesem Jahr scheint ihre Reise von der Arktis zur kalifornischen Küste länger gedauert zu haben. Ihre Zeitplanung stimmt offenbar nicht mehr.” meint Biertuempfel. Das könnte daran gelegen haben, dass die Grauwale diesmal weiter nach Norden schwimmen mussten, hinter dem nach Norden zurückweichenden arktischen Eis her. Nur dort können sie genügend Nahrung finden, um sich ihre Fettreserven für die lange Wanderung nach Süden anzufressen. Offenbar haben sie dieses Jahr weniger gefressen und mussten weiter schwimmen als sonst – so haben ihre Reserven nicht ausgereicht.

Mary Jane Schramm (NOAA Greater Farallones National Marine Sanctuary) teilt diese Meinung: “Normalerweise ziehen die Wale nahe der Küste nach Südkalifornien, ohne Zwischenstopps. Wenn die Grauwale in die Bucht von San Franzisko kommen, stimmt etwas nicht.“ Sie befürchtet noch mehr Todesfälle unter den urtümlich aussehenden grauen Riesen mit der weiß gefleckten Haut. Schon 1999 und 2000 hatten diese Meeressäuger ein sehr ähnliches Verhalten gezeigt, am Ende der Saison war etwa ein Drittel des Bestands gestorben! Auch sie befürchtet, dass der schlechte Ernährungszustand der Grauwale eine Folge des Klimawandels ist.

Bislang sind vier der vor Nordkalifornien gestrandeten Wale von Biologen des The Marine Mammal Center (TMMC) untersucht worden: Drei sind offenbar verhungert, der vierte ist ebenfalls stark abgemagert mit einem Schiff kollidiert und daran verstorben.

Video vom 14.03.2019: “2 Gray Whales Found Dead in San Francisco Bay”

Die bis zu 15 Meter langen Wale tauchen in arktischen Gewässern unter dem Eis zum Meeresboden und nehmen dort ein Maul voll Schlamm und Kleinstlebewesen auf. Den Schlamm und das Wasser stoßen sie durch die Barten wieder aus, die am und im Meeresboden lebenden Tiere – Krebse, Würmer, Muscheln – fressen sie. Nur dort ist das Nahrungsangebot groß genug, um für den langen Weg nach Süden genügend Fettreserven anlegen können. Immerhin müssen sie zwischen 8500 bis 12000 Kilometer zurücklegen, die längste Wanderung im Tierreich.
Durch die Erwärmung des arktischen Ozeans verändern sich Strömungen und Nahrungsgefüge, darum ziehen Grauwale und andere Meeressäuger nun oft weiter nach Norden.
Die grauen Riesen schwimmen recht langsam, kaum mehr als 8 Kilometer pro Stunde. Das erklärt auch die vielen weißen Narben auf ihrer Haut: An solch langsamen Wale heften sich besonders viele Tiere wie Seepocken an, nach ihrem Abfallen hinterlassen sie rundliche weiße Markierungen.

Wissenschaftler und Amateur-Forscher hatten berichtet, dass in diesem Jahr viele Grauwale ungewöhnlich nahe der Küste gezogen sind, oft haben sie sogar Abstecher in Buchten und Häfen genommen und dort offenbar zu fressen versucht. Auch das spricht dafür, dass die grauen Riesen sehr hungrig sein müssen.
Die hohe Zahl der Todesfälle in 2019 gibt Anlaß zur Sorge – Biologen wie Barbie Halaska (TMMC) und Justin Greenman (NOAA) rufen Bootsführer und Strandbesucher zu erhöhter Wachsamkeit auf und bitten geschwächte oder tote Wale zu melden. Es besteht auch eine erhöhte Gefahr, nahe der Küste mit geschwächten Walen zu kollidieren. Außerdem sollen möglichst viel der angespülten Grauwale untersucht werden, um mehr Daten zu ihrer Gesundheit und den Todesumständen zu erhalten – „Jeder Wal erzählt eine Geschichte“, erklärt Barbie Halaska.

Baja California – heute ein Wal-Paradies
Die langsam schwimmenden Grauwale waren vor 200 Jahren von Walfängern bis an den Rand der Ausrottung gejagt worden. 1946 waren nur noch 2000 pazifische Grauwale übrig, ihre Vettern im Atlantik waren schon im 17. Jahrhundert ausgestorben.
Die pazifischen Tiere vor der amerikanischen Küste sind seit 1946 streng geschützt und haben sich mittlerweile wieder soweit vermehrt, dass sie seit 1994 nicht mehr als akut gefährdet gelten.
Gerade vor der kalifornischen und mexikanischen Küste hat sich eine Whale Watching-Kultur um die Grauwale herum entwickelt.
Whale Watching-Touren von Oceanic Society und anderen Organisationen sammeln unter anderem auch Bilder Wal-Fluken. Die Fluken der Meeressäuger zeigen individuelle Formen und Muster wie ein Fingerabdruck, aus dieser Photo-Identifikation werden Kataloge zusammengestellt. Die individuelle Erkennung der Grauwale ist die Basis für wichtige Daten zu ihrer Lebensweise.

Wale im Klimawandel
Der Walfang ist heute keine Bedrohung mehr für die großen Bartenwale, dafür wächst die Gefahr durch den Klimawandel.
NOAA-Wissenschaftler führen für die US-amerikanischen Gewässer eine Statistik der ungewöhnlichen Todesfälle von Meeressäugern (Marine Mammals Unusual Mortality Events (UME)) und erforschen deren Ursachen; oft unterstützen sie auch die Untersuchung solcher Vorfälle in anderen Ländern.
In den letzten 10 Jahren kam es vermehrt zu massenhaften Todesfälle großer Bartenwale: 2015 starben im Golf von Alaska 46 Buckel- und Finnwale, 2016 vor der chilenischen Küste mehr als 337 Seiwale. Beide UMEs waren aller Wahrscheinlichkeit nach durch Giftalgenblüten verursacht worden. Die giftigen Algen vermehren sich bei überdurchschnittlich hohen Temperaturen der Meeresoberfläche massenhaft, die Wale nehmen sie dann mit ihrer Nahrung auf und sterben an den Algen-Toxinen. Die giftigen Algen sind meistens rötliche Dinoflagellaten, darum heisst diese Algenblüte Red Tide, also Rote Flut. Das zunehmend häufigere Auftreten von Giftalgenblüten auch in eigentlich kühleren Gewässern ist eine Folge der globalen Erwärmung der Ozeane, also des Klimawandels. In diesen beiden Fällen waren warme Wassermassen während eines ausgedehnten El Nino-Events weit nach Norden bis vor Alaska und weit nach Süden bis vor Feuerland vorgedrungen – so kam es zur Roten Flut. Auch wenn der Nachweis dieser Todesursache schwierig ist, da die Toxine sich in den gammelnden Wale oft schon vor der Nekropsie zersetzt haben, ist dies die wahrscheinlichste Erklärung für diese Walsterben.
Dass Wale als Folge des Klimawandels verhungern können, ist eine neue Facette der Ozean-Erwärmung.

Kommentare (2)

  1. #1 M
    Bolivien
    22. April 2019

    Nur 1 kleine Korrektur:
    ‘8500 bis 12000’
    Nix to

  2. #2 Bettina Wurche
    22. April 2019

    @M: Danke ; )