Do octopuses dream of electric squid?fragte der Sydney Morning Herald.
Anlaß der Frage war ein Video von Rebecca Otey, das einen offenbar schlafenden Octopus zeigt – ein bleicher Krake hängt fast bewegungslos im Wasser, auf einmal laufen dunkle Farbwellen über seinen Körper.
Rebecca Otey  hatte zwei schlafende Kraken 2017 während ihres Praktikums im Butterfly Pavilion gefilmt. Ihre Interpretation des Farbwechsels: Der Octopus muss heftig geträumt haben. Die beiden Kraken sind Karibische Zweifleck-Octopusse (Octopus hummelincki), der Butterfly Pavilion ist ein Non-Profit-Zoo für wirbellose Tiere in Westminster, Colorado. Rebecca Otey hatte das Video im Februar 2018 bei Youtube hochgeladen.


Diese Interpretation ist im Netz natürlich begeistert aufgegriffen worden, Kraken sind in der Pop-Kultur Symboltiere für pfiffige Quasi-Aliens und der Cat-Content für Nerds.
Was steckt dahinter?
Können Kraken träumen?
Das würde voraussetzen, dass sie schlafen.
Können Kraken schlafen?


Octopusse können schlafen

Daniela Meisel war 2011 zu dem Ergebnis gekommen: “Behavioral sleep in Octopus vulgaris” – Kraken können also schlafen (D. V. Meisel, Ruth Anne Byrne, J. A. Mather, Michael J. Kuba: “Behavioral sleep in Octopus vulgaris” ; Vie et Milieu 61(4):185-190,  December 2011).
Aber wie lässt sich so etwas nachweisen?
Schlaf ist für Wirbeltiere ein essentieller Teil ihres Lebens, diese Ruhephase des Körpers ist für sie überlebenswichtig. 
Biologen können Schlaf an den Vitalfunktionen und neurologischen Mustern gut nachweisen. Bei wirbellosen Tieren ist Schlaf weitaus weniger gut untersucht. Meisel hatte dazu 16 Octopusse Tag und Nacht gefilmt. Die Octopusse waren jeweils allein im Aquarium, es gab keine Reize von außen. Die Biologen haben die Aktivitäszyklen der achtarmigen Weichtiere dokumentiert. Klar erkennbar war, dass die Octopusse für ihre Ruhepause einen bevorzugten Ruheplatz hatten, manchmal einen Schlupfwinkel bauten und eine bevorzugte Körperhaltung einnahmen. In der Ruhephase zuckten Arme und Tentakel, außerdem zeigten die Tiere dann eine spezifische Halb- und-Halb-Färbung, die keine Tarnung war. Darum sind Meisel und ihre Kollegen überzeugt: Octopusse schlafen!

Können Octopusse träumen?

Träumen ist die psychische Aktivität während des Schlafes. Rebecca Otey hatte richtig beobachtet, dass die Kraken in ihrer Ruhephase waren, die dem Wirbeltierschlaf entspricht. Zu Beginn des Videos haben die Oktopusse eine opak-weißliche Färbung.  Dann laufen plötzlich dunkle Farbwellen über den Köper, im Rhythmus der Atmung. Als nächstes überflutet eine dunkle Färbung die Krakenhaut um verblasst schließlich wieder zu fast Weiß.

Die Farbwechsel werden über die Chromatophoren in der Haut hervorgerufen, spezialisierte Farbzellen, die sich kontraktieren oder ausdehnen können. Dazu kommen noch Iridiophoren und Leucophoren. Sie alle zusammen erschaffen die Farben von weißlich mit silbrigem Schimmer über Rot bis zu Dunkelbraun der Krakenhaut. Tintenfische können ihre Hautfarbe aktiv und schnell verändern. Die Farbe dient der Tarnung und der Kommunikation, soviel ist heute sicher.

Auch wenn die Tintenfisch-Forschung bereits seit Jahren auch den Schlaf dieser Tiere erforscht, gibt es da noch viele offene Fragen, erklärt Sara Stevens vom Butterfly Pavilion, gegenüber Live Science. Dass Octopusse eine dem REM-Schlaf der Wirbeltiere ähnliche Schlafphase haben, die auch für das Träumen wichtig ist, ist zwar eine Hypothese, aber bislang noch nicht endgültig bewiesen: “It’s been hypothesized that octopus species can exhibit something very similar to REM cycles in humans — but the jury’s still out on whether they’re achieving REM sleep”.

Das liegt auch daran, dass Octopusse nicht ein einziges Zentralnervensystem wie Wirbeltiere haben, sondern neben ihrem zentralen Ganglion im Kopf auch noch in jedem Arm ein untergeordnetes Arm-Gehirn. Wie die Schlaf-Koordination und dann noch mögliche Träume dieser Nervenknoten aussehen könnte, ist vollständig ungeklärt. Dass der Farbwechsel einen traumartigen Grund haben könnte, ist allerdings eine naheliegende Interpretation.

Träumen Octopusse von elektrischen Kalmaren?
Octopusse werden, da ihre Nervenstruktur so ganz anders ist, als die der Wirbeltiere, mittlerweile als Inbegriff einer fremdartigen Intelligenz betrachtet. Der dabei manchmal gebrauchte Begriff „alien“ ist immer mal wieder als „außerirdisch“ interpretiert worden, was dann regelmäßig zu großflächiger Medienhysterie führt. Dabei bedeutet „alien nur „fremdartig“ – schließlich trennen die Weichtiere und die Chordatiere (inkl. der Wirbeltiere – also wir) fast 600 Millionen Jahre Evolution.
Der australische Philosoph Peter Godfrey-Smith hat sich immer wieder mit der Intelligenz und auch dem Bewußtsein des Octopus beschäftigt – natürlich war auch er zum Video des Träumenden Octopus interviewt worden. Der Sydney Morning Herald hatte ihn dazu interviewt  – “Professor Godfrey-Smith said it is not clearly known. It appears cephalopods engage in some sleep-like activity, with something similar to rapid-eye movement.”. Godfrey-Smith konnte also nur bestätigen, dass Octopusse  schlafähnliche Zustände zeigen, inklusive der schnellen Augenbewegungen (rapid-eye movement = REM), die für die traumintensive REM-Schlafphase der Säugetiere und Vögel so charakteristisch sind.

Die Überschrift des Sydney Morning Herald ist allerdings ein Kracher: „Träumen Octopusse von elektrischen Kalmaren?“ ist eine Reverenz an den berühmten dystopischen Roman von P. K. Dick: “Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ (Do Androids Dream of Electric Sheep? – 1968), der 1982 als „Blade Runner“ von Ridley Scott verfilmt das Cyberpunk-Zeitalter in die Kinos brachte. Der Film basiert eher locker auf der Roman-Idee, in Buch und Film geht es darum, wie menschlich oder menschenähnlich Androiden – humanoide Roboter – sind.
Damit ist der Octopus mal wieder als Liebling der Nerds, Ikone der Science Fiction und Quasi-Alien ehrenhalber in die Schlagzeilen geraten.

 

Kommentare (11)

  1. #1 schlappohr
    23. Juni 2019

    Ich dachte, die REM-Phase ist eben kein Tiefschlaf, sondern eine traumaktive Phase nach dem Einschlafen und mehrmals während des Schlafes. Der Tiefschlaf ist durch völlige Traumlosigkeit oder kurioserweise das Schlafwandeln gekennzeichnet. Oder habe ich das falsch verstanden? Aber wer weiß, was in einem Kalmarenhirn abgeht. Fast schon unheimlich, das Video.

  2. #2 Remu
    23. Juni 2019

    Netter Artikel. Jetzt off topic:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_(Krake)
    die können nicht nur träumen sondern noch viel mehr, wie uns Paul bewiesen hat. 🙂

  3. #3 Bettina Wurche
    23. Juni 2019

    @schlappohr: Völlig richtig – ich hab´s geändert.
    https://www.spektrum.de/thema/schlaf/1295691

  4. #4 tomtoo
    24. Juni 2019

    Extrem spannend, nur mal überlegen das sich Hirne dann doch ähnlich entwickeln. Also angenommen so eim Hirn bildet für sich selbst und die Umwelt ein Modell ab.Ist doch so ein Traum klasse. Das Hirn spielt Situationen durch, und verbraucht deutlich weniger Energie als müssten die Muskeln alles tun. Spannend ist da die Färbung, evtl. braucht die nur wenig Energie, und es macht deswegen keine Sinn sie abzuckoppeln?

  5. #5 Peter
    Minden
    24. Juni 2019

    Da hat wohl jemand Philip K. Dick gelesen.

    Träumen Androiden von elektrischen Schafen?

  6. #6 nihil jie
    24. Juni 2019

    Interessant gewählter Titel “Do octopuses dream of electric squid?”

    Angelehnt an einen Roman von Philip K. Dick “Träumen Androiden von elektrischen Schafen?”. Dieser Roman war auch die Vorlage des Films “Blade Runner” 😉

    Ist jetzt ein bisschen Off Topic aber dennoch interessant zu erwähnen.

  7. #7 Beobachter
    24. Juni 2019

    zu # 5:

    Das (“Blade Runner” etc.) steht alles schon auf Seite 2 des Blog-Beitrags.

  8. #8 nihil jie
    24. Juni 2019

    @Beobachter

    *LOL Ähhh ja… den habe ich tatsächlich heute übersehen. Passiert mir zwar immer seltener aber dann doch. Irgendwie klang mir der letzte Satz im Text nach dem Endsatz. So widmete ich mich den nächsten Artikel zu.

    Ja dennoch cool., dann habe ich noch ein bisschen weiter Spaß, diesmal an dem kompletten Artikel 😉

  9. #9 tomtoo
    26. Juni 2019

    Naja, ich stelle mir gerade so eine Mega Synth Oper, mit einer Giga Lasershow vor.
    “Octopusses dream about the electrik squid”. Speziel wenn jeder Arm seinen eigenen Traum hat? Mit Drohnen die von Lasern angestrahlt werden. Nein keine Drogen, ist die Hitze. ; )

  10. #10 Braunschweiger (DE)
    18. Juli 2019

    In PeeKaDees Roman, den man übrigens auch als nicht-englischsprachiger gut im Original verstehen kann, steht das Träumen für eine Regung der Menschlichkeit. In jener Welt sehnen sich Menschen nach einem Begleiter, und Mensch wie Android halten sich Haustiere. Da es kaum noch echte Tiere gibt, sind es dann eben elektrische Tiere, Roboter. Androiden imitieren die Menschen, und wenn diese träumen, tun es die Androiden dann auch? Die Androiden waren ja ursprünglich selbst als eine Art Sklaven konstruiert.

    Das Halten von Haustieren ist auch bei uns eine Art der Sklavenhaltung; wir gestehen ihnen nicht zu über alle Teile ihres Lebens selbst zu entscheiden, oft einschließlich ihres Todes. Darum geht es hier meiner Meinung nach auch. Wenn gefragt wird “do octopusses dream of electric squid?” wird damit eigentlich gefragt, ob Kraken sich vorstellen können, Kalmare oder Tintenfische (also eine betont andere aber doch ähnliche Artengruppe) als Sklaven zu halten. Gewisse Arten der “Nutztierhaltung” sind im Tierreich ja nicht unüblich; Ameisen halten etwa Blattläuse.

  11. #11 Bettina Wurche
    18. Juli 2019

    @Braunschweiger: Ja, Traäumen und Haustierhaltung/Domestizierung haben weitreichende ethische und philosophische Implikationen. In der SF gibt es dazu auch wirklich spannende Szenarien, die meiner Ansicht nach oft völlig unterbewertet werden. Neben Dicks Androidenträumen kommt so etwas ja auch immer wieder etwa in Star Trek vor, wo u. a. der Androide Data eine Katze namens Spot hält, um damit weitere Facetten der Menschlichkeit zu erproben. Ein anderes Haustier ist der Daggit Moffit in Kampfstern Galactica (1. Spielfilm), wo ein echtes Haustier stirbt und dann an Bord des Raumschiffs durch einen Roboter ersetzt wird. Auch der Einsatz von Haustier-Robotern als sozial-emotionale Roboter im Bereich der Pflege ist ein wichtiges Thema, von dem viel zu selten zu hören ist.
    https://puls.meertext.eu/emotionale-und-soziale-robotik-im-alter-erimalter-ein-bericht-aus-der-praxis
    Einige Affen in Afrika halten sich übrigens kleine Wildhunde als Schoßtiere, zum Streicheln. Von Kopffüßern habe ich so etwas allerdings noch nicht gehört – nun haben sie ja auch kein Kuschelbedürfnis wie etwa Säugetiere oder Vögel, bei denen Kuscheln, Liebkosen und Fell-/Gefiederpflege eine angeborene starke soziale Komponente hat.