Kurz hinter La Vicuna machen Rainer und Steffen, unsere erfahren Finsternis-Gucker, den perfekten Platz aus: Ein staubiger Parkplatz am Fuße der Kordilleren, kühler Wind und gnadenlos helle Wintersonne. Am Wichtigsten: Freier Blick nach Westen! La Vicuna liegt perfekt auf der Eclipsis-Hauptlinie.
Am 02.07. brechen wir früh auf und fahren zu unserem ausgespähten Beobachtungsplatz hinter La Vicuna.
Auf dem Parkplatz haben wir volle Logistik – für einen langen Tag haben wir gern Toiletten, Kaffee-Verkauf und sogar ein Restaurant in der Nähe. Dort lagern und campen bereits ein paar Gruppen, viele davon Familien mit kleinen Kindern. Im Hintergrund klagt ein chilenischer Sänger zu gitarrenschwerer Musik mit galoppierendem Schlagzeug. Am Rand stehen ein paar robuste kleine Pferde, für wen auch immer gesattelt, einige neugierige Ziegen werden gerade in einen Pferch gelockt, aus dem sie dann natürlich sofort auszubrechen versuchen.
Die paar optischen Geräte sind schnell aufgebaut, dann heißt es warten.
In der chilenischen Wintersonne ist es angenehm warm, aber nicht zu heiß. Rechts und links von uns steigen die ausgedörrten Hügelflanken in den Himmel. Üppiges Pflanzenwachstum zieht sich nur direkt am Elqui entlang, etwas entfernt davon wird die Vegetation schnell nieder und karg. Auf dem gleichmäßigen Grau-Braun-Violett der Kordilleren fallen die Lichtveränderungen bei zunehmender Sonnenbedeckung besonders deutlich auf, der perfekte Hintergrund für diese gewaltige Himmelserscheinung. Mit abnehmendem Licht werden die Hügel immer violetter und unwirklicher, fast überirdisch.
32 Minuten vor Totalität: Jetzt kommt spürbar Wind auf, die Temperatur fällt weiter.
11 Minuten vor Totalität: Ein Schwarm grüner langschwänziger Papageien fliegt kreischend durchs Tal – überrascht vom vermeintlichen Nachteinbruch wollen sie noch schnell Schlafbäume erreichen.
1 Minute vor Totalität: Fliegende Schatten wabern in Wellen über den staubigen Boden.
Totalität: Gemeinsam schauen wir alle gebannt die dunkle Sonnenscheibe an.
Diamant-Moment: Während der Himmel noch dunkel ist, lassen die ersten Sonnenstrahlen die Hügelränder wie magisch aufleuchten. Meine Photos können diese Stimmung nicht abbilden. Unter dem weiten Himmel über den Anden fühlt man sich als Mensch ohnehin schon klein, das seltsame Licht bei der Sonnenfinsternis sieht so gewaltig aus, dass man noch weiter schrumpft. Wie müssen sich erst die Menschen vor Zehntausenden von Jahren gefühlt haben, die auch an dieser Stelle standen und kosmische Phänomene beobachteten? Ohne dass sie sich diese gewaltigen Phänomene naturwissenschaftlich erklären konnten? Der Sternenhimmel über den Kordilleren ist ein zutiefst berührendes Erlebnis, die Sonnenfinsternis erst recht.
Für mich ist es die 2. Totale Sonnenfinsternis. Die fliegenden Halbmonde habe ich schon bei der 1. gesehen. Aber diese wabernden Wellen irritieren mich, sie sehen aus wie die Lichtreflexe von Wellen am Meeresboden – bevor ich meine Beobachtung in Worte fassen kann, erklärt Rainer mir, dass das die „Fliegenden Schatten“ sind. Ein selten so deutlich zu sehendes Phänomen, das bis heute nicht ganz aufgeklärt ist. Unsere Photos davon sind nicht gut geworden, aber gute Bilder und die derzeit schlüssigste Theorie ihrer Entstehung sind hier zu finden
Gute Bildstrecken mit Profi-Aufnahmen sind hier und hier.
Etwas enttäuschend war, dass der Parkplatz von so wenigen Gästen genutzt wurde – wir hätten den Organisatoren für ihre gute Vorbereitung ein wesentlich besseres Geschäft gewünscht und eine größere Gruppe mit mehr begeisterter Interaktion. So eine Sonnenfinsternis ist vor allem in einer Gruppe ein besonderes Erlebnis. Zu überwältigend ist das Erlebnis für mich allein, ich teile diese magische Stimmung lieber mit anderen Menschen. Damit stehe ich nicht allein, das Bedürfnis zum emotionalen Teilen dieser außergewöhnlichen Stimmung führt immer wieder zu Umarmungen und Jubeln.
So kommen wir auf unserem staubigen Parkplatz mit anderen Menschen ins Gespräch, von drei chilenischen Studenten haben wir noch wertvolle Einsichten in ihren chilenischen Alltag und ein paar weitere Tipps bekommen.
Durch den riesigen Strom der Sonnenfinsternis-Besucher kommen wir erst sehr spät zurück, am nächsten Tag schlafen wir alle mal aus.
Schließlich haben wir danach schon wieder eine lange Fahrt vor uns…
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