Im grünlich-gläsernen Zwielicht kriecht eine große Krabbe über den Meeresboden, 1500 Meter tief im Golf von Mexiko. Sie ist nicht allein, sondern in vielbeiniger Gesellschaft anderer Krebse. Schließlich kriecht sie aus dem Lichtkegel des Scheinwerfers und verschwindet im Dunkel der Tiefe. Mit unbeholfenem Gang schleppt sie ihre verkrüppelten Scheren über das dunkle ölige Sediment.
Die Scheinwerferstrahlen des Tauchboots beleuchten eine düstere Szenerie: Verkrüppelte Metallkonstrukte stehen auf dem dunklen Schlamm. Eine dicke Röhre ragt aus dem Meeresboden, die gelbe Kappe an ihrem oberen Ende trägt die Aufschrift „In Memory of the DeepWater Horizon 11“.
11 Menschen sind im Flammeninferno des Blowouts auf der Ölbohrplattform „Deepwater Horizon“ gestorben. In der Nacht des 20. April 2010 war die Rig in Flammen aufgegangen und schließlich explodiert. Die gelbe Kappe versiegelt den Bohrlochkopf über dem Macondo-Ölfeld.
Der Tiefsee-Ökologe Craig R. McClain hat mit Kollegen die Unglücksstelle per ROV besucht, für eine ökologische Bestandsaufnahme. Craig McClain ist Direktor des Lousiana University Marine Consortium und hat den sehr lesenswerten Science-Blog DeepSeaNews gegründet, auf dem er auch regelmäßig schreibt, u. a. über die Deepwater Horizon-Ölpest.
Welche Auswirkungen hatte die Öl-Katastrophe auf die Ökosysteme des Golf von Mexiko?
Einige Monate nach der Ölpest hatten Marla Valentine und Mark Benfield von der Louisiana State University 2010 die ersten Aufnahmen des Meeresbodens gemacht nach der Öl-Katastrophe gemacht. Ihre Bilder zeigten ein Leichenfeld aus Kadavern von Salpen, Seegurken, Seefedern (Weichkorallen) und Glasschwämmen (Valentine, Marla M., and Mark C. Benfield. “Characterization of epibenthic and demersal megafauna at Mississippi Canyon 252 shortly after the Deepwater Horizon Oil Spill.”)
Innerhalb weniger Monate hatten sich die Bestände der Tiere aller Ökosysteme nahe der Unglücksstelle signifikant verringert:
Foraminiferen um ↓80–93%, Ruderfußkrebse (Copepoden) um ↓64%, Meiofauna (die winzigen Bewohner des Sandlückensystems) um ↓38%, Macrofauna (größere Krebse, Meereswürmer, Schnecken und Muscheln, …) um ↓54% und die Megafauna – große Tiere wie Fische, Wale, Vögel und Schildkröten – um ↓40%. Ein Jahr später waren diese Verluste immer noch klar sichtbar, gleichzeitig war der Gehalt von Erdöl-Kohlenwasserstoffen (total petroleum hydrocarbons (TPH)), polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (polycyclic aromatic hydrocarbons (PAH)), und Barium in den Tiefsee-Sedimenten bis über das 10-fache angestiegen.
Eine Weile war diese größte Ölpest der US-Geschichte sehr präsent in den Medien, dann wurden die Schlagzeilen spärlicher. In den USA hielt sich das Thema natürlich länger in der öffentlichen Wahrnehmung, etwa bei mehreren Delphin-Massensterben im Golf und wegen der wirtschaftlichen Folgen für die dort lebenden Menschen. Aber auch diese Schlagzeilen verschwanden irgendwann.
Nicht zuletzt, weil der BP-Konzern, in dessen Auftrag die Plattform die Explorationsbohrung durchgeführt hatte, massive Anstrengungen unternommen hatte, die Berichterstattung zu beeinflussen.
Das Forschungsprojekt zur Dokumentation der ökologischen Folgen der Ölpest lief bis 2014, dann gab es dafür keine Förderung mehr. Nur die empfindlichen Kaltwasser-Korallen, die ohne Sonnenlicht in 1500 Metern Tiefe des Golfs Riffe bilden, wurden bis 2017 beobachtet – sie hatten sich bis dahin nicht erholt.
BP hatte 2015 postuliert, dass die Tiefsee-Habitate sich regeneriert hätten – „the Gulf was healing itself and “returning to pre-spill conditions”. Wissenschaftler der NOAA und anderer Institutionen waren zu einem anderen Ergebnis gekommen und widersprachen BP vehement.
Auch wenn das Öl nicht mehr offen sichtbar und damit aus den Augen und dem Sinn der meisten Menschen verschwunden war, war es keinesfalls verschwunden. Unter der Meeresoberfläche war der Ölteppich wie ein giftiges Leichentuch zu Boden gesunken und hatte die Ökosysteme am Meeresboden hart getroffen.
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