Warum ich manchmal DMAX gucke. Und was das mit dem Klimawandel zu tun hat.
Spoiler: Es geht um Fische.
Fische mag ich wirklich gern. Nie werde ich müde, die schillernden Geschöpfe mit ihrem Formen- und Farbenreichtum anzuschauen, tot oder lebendig. Durch ein Aquarium oder einen Fischmarkt gehe ich genauso begeistert, wie durch eine Gemäldesammlung. An der Gestalt und Färbung, der Flossenform und der Zähne erfahre ich, wo und wie die Tiere leben. Wenn ich unter Wasser gar lebenden Fischen begegne, bin ich jedesmal fasziniert und kann mich kaum losreißen. Außerdem fasziniert mich der Nordpazifik, vor allem die abgelegenen Gebiete wie die Aleuten zwischen der Halbinsel Kamtschatka und Alaska – der Inselbogen, der den Nordpazifik von seinem Randmeer Beringsee trennt.
Der deutsche Sender DMAX bringt manchmal Berichte über Fischerei in solchen abgelegenen Regionen, darum schaue ich dort manchmal vorbei (trotz des Slogans „Fernsehen für die tollsten Menschen der Welt: Männer“). So bin ich gerade in „Jeremy Wade’s Dark Waters: Cold Water Mystery” geraten.
Jeremy Wade ist ein britischer Autor, Filmemacher, Biologe und Extremangler, der mit Filmen und Büchern über Fisch-Geschichten bekannt geworden ist.
Wer es schauen möchte: Jeremy Wade’s Dark Waters S01E04 Cold Water Mystery.
Jeremy Wade ist in dieser Folge auf der Jagd nach einem riesigen Heilbutt vor Alaska. Der Pazifische Heilbutt (Hippoglossus stenolepis) ist der größte Plattfisch im nördlichen Pazifik. Weibchen werden bis zu 2,67 Meter lang und bis zu 363 kg schwer, Männchen bleiben kleiner. Aber das sind Rekordgrößen, meistens werden jüngere, wesentlich kleinere Exemplare gefangen – kommerziell mit Langleinen und sonst mit einer Angel. Auch dieser Plattfisch hat seine Augen auf einer Seite, allerdings auf der rechten. Zum Vergleich: Schollen und andere Platte sind meistens „linksrum“.
Heilbutte leben auf verschiedenen Böden, ihre rechte Oberseite ist perfekt getarnt. Sie liegen auf dem Boden, kommt ein Beutetier in die Nähe, schnellen sie hervor und reißen ihr gewaltiges Maul auf: Durch den entstehenden Sog erwischen sie die Beute meist, Fische, Krabben, Kopffüßer und andere Wirbellose haben keine Chance. Jungtiere leben meist in flachem Wasser, mit zunehmendem Alter wandern sie tiefer – bis in 1200 Meter.
Aber die platten Riesen scheinen der Vergangenheit anzugehören, in Gesprächen mit vielen Fischern erfährt er, dass diese Giganten schon länger nicht mehr gesehen oder gar gefangen worden sind.
In den Interviews erklären ihm Fischer, Taucher und Fischereibiologen, dass der Nordpazifik wärmer wird und sich ihr Fang verändert.
Zwei Taucher berichten, wie sie in 35 Metern Tiefe auf Königskrabbenjagd gehen. Einer von ihnen meint, es sei viel wärmer geworden – er hat jetzt viel leichtere Sachen an als früher, weil er sonst so schwitzen würde. Das Meer sei jetzt immerhin 6 °C warm. Außerdem wären die Krabben jetzt in tieferem Wasser.
Auf der Suche nach dem Heilbutt spricht er mit vielen Fischern und Anglern, die ihm von tiefgreifenden Veränderung im Meer berichten. Den Beschreibungen der Angler, Fischer und Taucher hört er konzentriert zu, schließlich haben sie Instrumente dabei und kennen den Zusammenhang von ozeanographischen Daten und Fischbeständen.
Das Fazit seiner Gespräche ist:
- es gibt keine großen Heilbutte mehr (zumindest werden keine gefangen)
- es gibt viel mehr und viel aktivere Buckelwale als sonst
- die Königs- oder Steinkrabben wandern in tiefere Gewässer ab
- es gibt andere Arten als sonst
- die Fische sind zu anderen Zeiten und in anderen Tiefen als sonst
- die Meerestemperatur ist jetzt höher als früher.
Nach dem x-ten vergeblichen Anlauf, einen Riesen-Heilbutt zu fangen, kommt er zu dem Schluß: „The obvious thing to do, is, to look for scientists. Die findet er bei der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) – Außenstelle in Dutch Harbor, dem Hafen der wichtigsten Aleuten-Siedlung Unalaska (Dutch Harbor liegt auf einer anderen Insel und ist über eine 200 Meter lange Brücke zu erreichen).
Dort spricht er mit James Orr und Thomas Piecuch, die ihm diese tiefgreifenden Veränderungen bestätigen und erklären – die Fischfauna im Nordpazifik ändert sich aufgrund des Klimawandels.
Schlüsselarten der kommerziellen Fischerei wie der pazifische Dorsch sind auf einem historischen Tiefststand, vielleicht muss die Dorsch-Fischerei 2020 komplett geschlossen werden.
Die erste extreme Hitzewelle 2014 hatte den Dorschbestand halbiert, danach schien er sich zu erholen. Da Dorsche erst mit über drei Jahren gefangen werden dürfen, ist erst verzögert deutlich geworden, wie stark das warme Wasser diesen wichtigen Speisefisch-Bestand verringert hat. Jetzt liegt der Bestand unterhalb der Menge, ab der er überhaupt befischt werden darf. Die Dorschfischerei im Golf von Alaska ist das erste Opfer des Klimawandels im Meer.
Die Fischereiaufsicht der USA ist sehr streng und hatte so am Ende des letzten Jahrhunderts dafür gesorgt, dass die meisten Fischbestände stabil waren. Mit dieser nachhaltigen Strategie waren sowohl die Nahrungsmittelversorgung aus heimischen Gewässern als auch die Jobs der Fischer langfristig gesichert. Aber gegen den Klimawandel hilft auch kein verantwortungsbewusstes nachhaltiges Fischereimanagement.
Das warme Wasser hat teilweise die Jungfische getötet und einen Teil der erwachsenen Fische zum Abwandern nach Norden bewegt. Bislang waren sie durch eine thermische Barriere im Beringmeer ansässig, diese Barriere hinderte sie am Abwandern. Mit dem „Warm Blob“ ist diese thermische Barriere zwischen zwei Wasserkörpern nun weggefallen, die Dorsche ziehen durch die Beringstraße nordwärts. Dort tauchen sie jetzt auf einmal in den Fallen für Königskrabben auf, während es dort kaum noch Krabben gibt. Für die Berufsfischer, die feste Quoten auf bestimmte Arten fischen dürfen, ist das eine Katastrophe.
Gleichzeitig beobachten Angler und Fischer vor Alaska, wie ungewöhnliche Arten auftauchen, die aus dem Süden einwandern. Solche ungewöhnlichen oder unbekannten Fische bringen die Fischer und Angler zu den NOAA-Ichthyologen in Dutch Harbor. James Orr und Thomas Piecuch zeigen Jeremy Wade einige besondere Exemplare:
Ein großer silbriger Fisch mit schlangenartig langem Körper, einer hoch aufragenden Segelflosse und reptilartigen Zähnen heisst im Englischen Lancetfish (Alepisaurus ferox), einen deutschen Namen gibt es nicht. Der schnelle Räuber mit dem silbrigen Seeschlangenleib lebt eigentlich eher in den Subtropen, in Alaska ist er eine ungewöhnliche Strandung.
Weiter erzählt James Orr, dass auch regelmäßig ganz neue Fische dabei sind, die er erst einmal wissenschaftlich beschrieben muss. Wie den quietschrosa Scheibenbauch – der im Englischen sehr treffend Snailfish heisst. Dieses Tier hatte er, wie auch noch zwei andere neue Scheibenbauch-Arten und eine Aalmutter, mit Worten aus der Sprache der aleutischen Ureinwohner benannt. Der orangerosa Scheibenbauch heisst Allocareproctus_unangas – unangas ist der aleutische Name für die Insel Atka.
Die NOAA-Biologen und -Ozeanographen sind aktuell sehr besorgt, denn es sieht so aus, als ob der Sommer 2020 eine erneute Hitzewelle im Meer bringen wird. Es könnte der Beginn einer dauerhaften Erwärmung des Nordpazifiks sein, mit einer dauerhaften Verschiebung der Ökosysteme – auch der Dorschbestände.
Der warme Blob – die Warmwasserblase im Nordpazifik
Seit 2015 berichte ich auf Meertext über Wal-Massenstrandungen im Pazifik – dabei sind die Wale natürlich nur die Zeigerarten, groß und öffentlichkeitswirksam
Buckelwale, Grauwale und andere Meeresgiganten sind unübersehbare Symbole für die tiefgreifenden Veränderungen im nordpazifischen Ökosystem. Natürlich sind auch andere Arten davon betroffen, so gab es 2017 Massenstrandungen von Salpen – die gallertigen Schläuche sehen aus wie Kondome und bilden als Kolonien riesige Feuerwalzen (Pyrosome).
(Genau das gleich passiert auch im Südpazifik, dort hatte El Nino die Meeresoberfläche ausgedehnt erwärmt, für große Giftalgenblüten gesorgt und neben verheerenden Ausfällen in den Lachszuchten Chiles auch dort für ein Wal-Massensterben gesorgt: über 300 tote Seiwale wurden an Chiles südlichen Küsten gezählt.)
Für sich genommen, ist jeder dieser Berichte ein Teil der natürlichen Schwankungen in den Ökosystemen. Setzt man diese ungewöhnlichen Massensterben und Strandungen aber in einen Gesamtkontext auch mit den ozeanographischen Daten, so ergibt sich das Bild einer anhaltenden Erwärmung des Nordpazifiks seit 2014/2015. Das würde die Ökosysteme langfristig verändern – wenn Arten ihre Lebensräume verschieben, gibt es oft erst einmal Probleme mit der Nahrungssgrundlage und ortsansässigen Konkurrenten. Ein erneutes Einpendeln der komplexen Nahrungsnetze kann viele Generationen dauern. Die langfristigen Auswirkungen auf die Fischbestände und die Fischerei sind zurzeit überhaupt noch nicht absehbar.
Was hat der Nordpazifik mit uns zu tun?
Was hat der Nordpazifik mit uns zu tun? Der ist doch so weit weg.
In unserer globalisierten Welt ist der Nordpazifik zwar geographisch weit weg. Aber seine Fischgründe sind ein Standbein auch unserer Fischversorgung: Fischstäbchen und Schlemmerfilet sind in Deutschland die beliebtesten Fischzubereitungen. Unter ihrer Panade versteckt sich Pazifischer Seelachs.
Da die nordatlantischen Bestände seit Jahrzehnten abgefischt sind, ist also mittlerweile der nordpazifische Alaska-Seelachs eine der beliebtesten deutschen Seefischarten. 2016 machte der leckere Dorschartige mit dem festen weißen Fleisch immerhin 18,3 % des Fischkonsums in Deutschland aus und stand damit auf Platz 2 hinter dem Lachs.
Auch Lachs kommt mittlerweile häufig aus dem Nordpazifik – Pazifische Lachsarten (Oxyrhynchus spec.) stehen nun oft neben dem europäischen Lachs Salmor salar in den Supermarktregalen, etwa als Räucherlachs.
Die Fischbestände des Nordpazifik sind also alles andere als uninteressant für uns in Deutschland.
Die beschriebenen Entwicklungen betreffen langfristig alle kommerziell befischten Arten – Heilbutt, Königskrabbe, Pazifischer Dorsch, Pazifischer Seelachs und Pazifische Lachse sowie andere Arten.
Jeremy Wade, DMAX, echte Kerle und der Klimawandel
Jeremy Wade hat mit seiner Aleuten-Alaska-Tour eine schöne Reportage geliefert, auf der Jagd nach dem Riesen-Heilbutt ist er auf ein viel fieseres Monster gestoßen: Den Klimawandel. Der Warm Blob hat im Nordpazifik ganz offensichtlich erhebliche Auswirkungen auf die Fischerei, Angler und Fischer, Biologen und Ozeanographen beobachten seit einigen Jahren massive Veränderungen.
Jeremy hört zu, beobachtet mit, recherchiert und runzelt die Stirn.
In überwältigenden Bildern und vielen Gesprächen zeigt er, wie sich der abstrakte Klimawandel auf die persönliche Situation vorn Menschen, die vom Meer leben, auswirkt. Allerdings taucht das Wort Klimawandel im Film so nicht auf. Der Biologe Jeremy Wade kennt garantiert den Hintergrund der Veränderungen. Und ganz bestimmt haben die interviewten Biologen ihm das auch noch einmal erzählt – NOAA macht hervorragende Forschung und weist die Erwärmung der Meere seit Jahrzehnten in unzähligen Fakten nach. (Was dazu geführt hat, dass die Trump-Clique NOAA-Wissenschaftlern einen Maulkorb verpasst hat. Jetzt twittern, facebooken und posten sie in Rogue-Accounts weiter).
Dennoch erklärt er diesen Zusammenhang vor der Kamera nicht.
Ich frage mich, ob er diesen Begriff seinem Publikum wirklich nicht zumuten kann.
Die Zielgruppe für Jeremys Filme und für DMAX sind Männer – nach der DMAX-Eigenwerbung echte Kerle, die das raue Meer und den Kampf mit Fischen genauso klasse finden wie große Maschinen und viele PS.
Kann man echten Männern den Zusammenhang zwischen der exzessiven Nutzung fossiler Energien und den Veränderungen im Nordpazifik wirklich nicht zumuten? Sind darunter wirklich so viele Klimaleugner? Oder so empfindliche Gemüter und beschränkte Geister?
Das möchte ich nicht glauben.
Ich finde ja, dass ein cooler Typ wie Jeremy dazu durchaus ein paar Sätze hätte sagen können.
Niemand erwartet von echten Männern, dass sie sofort den Autoschlüssel wegwerfen und sich nur von Müsli und Rohkostsalat ernähren. Aber ohne Veränderungen auch für jeden Einzelnen bekommen wir die Folgen des Klimawandels nicht in den Griff. Um mit diesem gigantischen Problem fertig zu werden, brauchen wir alle Teile der Bevölkerung, das schaffen wir nur gemeinsam. Die Realität des Klimawandels wird jedenfalls an der Ozeanerwärmung im Nordpazifik, den dortigen Veränderungen der Fischfauna und dem Wegfall von Fischereijobs in Alaska sehr deutlich.
PS: Wer hier in eine Diskussion zum Klimawandel einsteigen möchte, möge sich erst einmal in den verlinkten Quellen auf Diskussionsniveau bringen und sich mit den fischereibiologischen und ozeanographischen Daten vertraut machen. Es geht hier um den Nordpazifik.
PS 2: Heute ist der Tag der Ozeane. Statt eines abstrakten Artikels zum kritischen Stand unserer geplagten Ozeane ist es hier einmal ein plakativer Erfahrungsbericht.
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