Teil 1: Climate Fiction – Fakten und Fiktionen zur Klimakrise
Climate Fiction ist ein junges Genre, das sich in fiktiven Geschichten mit dem Leben in und mit der Klimakrise in der nahen Zukunft beschäftigt. Manche LiteraturwissenschaftlerInnen ordnen das Genre der Science Fiction zu, andere verneinen diese Zuordnung.
In welcher Schublade auch immer die Climate Fiction landen wird: Auf jeden Fall kann diese Fiction den Lesenden dabei helfen, unsere gegenwärtige Situation besser zu verstehen und damit aktiv umzugehen. Climate Fiction erzählt keine Dystopien und keinen völligen Zusammenbruch der Zivilisation, sondern vielmehr einen Alltag in und mit der Klimakrise. Die Protagonisten sind keine ohnmächtigen Opfer, sondern Menschen, die mit ihren Fähigkeiten, ihrem KnowHow und ihrem Wissen ihre Situation meistern. Gerade die sozialen Fähigkeiten und die Kooperation in Gruppen sind dabei eine besondere Stärke. Nicht der Planet leidet, sondern wir, schreibt Jakob Schmidt 2017 treffend in seinem ausgezeichneten Essay Climate Fiction: Der Klimawandel in der Science-Fiction-Literatur.
2018 hatte ein Sonderbericht des Weltklimarats IPCC noch einmal vor den katastrophalen Folgen einer Erwärmung um mehr als 1,5°C der vorindustriellen Durchschnittstemperatur gewarnt. Drei Jahre lang hatten internationale WissenschaftlerInnen-Teams Daten aus allen Teilen der Welt zusammengetragen und diese Beweise der drohenden Klimakrise präsentiert. Dieser umfassende und fundierte Bericht war als Entscheidungshilfe für politische Entscheider gedacht. Wie bei allen anderen Warnungen auch, kam diese Message mal wieder nicht an. Viel zu wenig hat sich verändert, politische Ziel zum Klimaschutz sind bestenfalls ansatzweise umgesetzt worden, in Deutschland und weltweit. Die ambitionierten Forderungen des Paris-Abkommens von 2015 sind nicht mehr erreichbar, der Klimagipfel in Madrid von 2019 war ein Desaster.
Die Veränderung des irdischen Klimas ist ein sehr umfassender und weitgehend abstrakter Themenkomplex. Er ist so gewaltig, dass er die Vorstellungskraft der meisten Menschen einfach überwältigt. Darum wird unser globales Klimaproblem zum Selbstschutz von vielen Menschen ausgeblendet – von einem Problem jedermanns wird es gern als Problem hysterischer WissenschaftlerInnen oder schulschwänzenden KlimaaktivistInnen abgetan. Ein fatales Verhalten, denn wir sind bereits mitten in der Klimakrise und spüren ihre Auswirkungen.
Die Wissenschaft hat längst genügend Daten, tragfähige Hypothesen und sogar schon ökologische, ökonomische und soziale Lösungsansätze erstellt, findet aber nicht ausreichend Gehör, sondern wird gefährlich weitreichend ignoriert. Zu viele Menschen können die Relevanz von Zahlen und Fakten offenbar nicht erfassen und verwechseln Fakten mit Meinungen.
Wie könnten Forschende und VordenkerInnen besser Gehör finden?
Indem sie ihre wissenschaftlich korrekt formulierten, aber abstrakten Inhalte für Nicht-WissenschaftlerInnen in deren Sprache übersetzen, um zu begreifen, was dies für jeden einzelnen Menschen bedeutet.
Beziehungsweise übersetzen lassen. Von professionellen AutorInnen, die solche Sachverhalte erfassen und per Storytellung als gute Geschichten erzählen. Von Literatur-Profis, die Worte und Dialoge finden, auch für Gedanken und Sachverhalte, die noch nie gesagt worden sind.
Science Fiction beschäftigt sich mit spekulativer, aber irgendwie noch wissenschaftlich und technisch plausibler Fiktion. Science Fiction-AutorInnen bilden in ihren Szenarien, die meist in der nahen oder ferneren Zukunft spielen, oft gesellschaftliche, technologische oder andere Problemen aus der Gegenwart ab. Viele von ihnen sind Natur-, Literatur oder Sozialwissenschaftler und durchdenken ihre Geschichten aus diesen Perspektiven. Mit gutem Storytelling machen sie auch komplexe Sachverhalte für den menschlichen Verstand verstehbar und ertragbar und spinnen diese weiter. In der Extrapolation spitzen sie Konflikte zu oder entwickeln Lösungsansätze.
Auch Climate Fiction ist spekulative Fiktion, allerdings immer mit dem Fokus auf das Leben im und nach dem Klimawandel. Den Diskurs um ihre Zuordnung in der Science Fiction oder an anderer Stelle kann ich hier nicht lösen, mir kommt es so vor, dass große Übereinstimmungen zwischen beiden Genres bestehen.
Der Begriff Cli Fi geht auf den Journalisten, Blogger und grünen Aktivisten Dan Bloom zurück, der ihn nach eigenen Angaben erstmals 2008 erdacht hatte. Als er über Jim Laughters Buch Polar City Red bloggte, hatte er es als ”cli fi thriller” bezeichnet – cli fi entwickelte daraufhin bald eine Eigendynamik.
2013 brachte NPR einen großen Artikel zu Büchern zur Climate Fiction unter der Schlagzeile „So Hot Right Now: Has Climate Change Created A New Literary Genre?“.
2014 schrieb die New York Times über Einsatz von Cli Fi-Literatur in den Klassenräumen, um SchülerInnen und Studierenden Wege zu vermitteln, mit der Klimakrise umzugehen. In Unterricht und Vorlesung war Climate Fiction also schon als didaktische Methode angekommen.
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