Teil 1: Climate Fiction – Fakten und Fiktionen zur Klimakrise

Climate Fiction ist ein junges Genre, das sich in fiktiven Geschichten mit dem Leben in und mit der Klimakrise in der nahen Zukunft beschäftigt. Manche LiteraturwissenschaftlerInnen ordnen das Genre der Science Fiction zu, andere verneinen diese Zuordnung.
In welcher Schublade auch immer die Climate Fiction landen wird: Auf jeden Fall kann diese Fiction den Lesenden dabei helfen, unsere gegenwärtige Situation besser zu verstehen und damit aktiv umzugehen. Climate Fiction erzählt keine Dystopien und keinen völligen Zusammenbruch der Zivilisation, sondern vielmehr einen Alltag in und mit der Klimakrise. Die Protagonisten sind keine ohnmächtigen Opfer, sondern Menschen, die mit ihren Fähigkeiten, ihrem KnowHow und ihrem Wissen ihre Situation meistern. Gerade die sozialen Fähigkeiten und die Kooperation in Gruppen sind dabei eine besondere Stärke. Nicht der Planet leidet, sondern wir, schreibt Jakob Schmidt 2017 treffend in seinem ausgezeichneten Essay Climate Fiction: Der Klimawandel in der Science-Fiction-Literatur.

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(Pexels: Markus Spiske)

2018 hatte ein Sonderbericht des Weltklimarats IPCC noch einmal vor den katastrophalen Folgen einer Erwärmung um mehr als 1,5°C der vorindustriellen Durchschnittstemperatur gewarnt. Drei Jahre lang hatten internationale WissenschaftlerInnen-Teams Daten aus allen Teilen der Welt zusammengetragen und diese Beweise der drohenden Klimakrise präsentiert. Dieser umfassende und fundierte Bericht war als Entscheidungshilfe für politische Entscheider gedacht. Wie bei allen anderen Warnungen auch, kam diese Message mal wieder nicht an. Viel zu wenig hat sich verändert, politische Ziel zum Klimaschutz sind bestenfalls ansatzweise umgesetzt worden, in Deutschland und weltweit. Die ambitionierten Forderungen des Paris-Abkommens von 2015 sind nicht mehr erreichbar, der Klimagipfel in Madrid von 2019 war ein Desaster.

Die Veränderung des irdischen Klimas ist ein sehr umfassender und weitgehend abstrakter Themenkomplex. Er ist so gewaltig, dass er die Vorstellungskraft der meisten Menschen einfach überwältigt. Darum wird unser globales Klimaproblem zum Selbstschutz von vielen Menschen ausgeblendet – von einem Problem jedermanns wird es gern als Problem hysterischer WissenschaftlerInnen oder schulschwänzenden KlimaaktivistInnen abgetan. Ein fatales Verhalten, denn wir sind bereits mitten in der Klimakrise und spüren ihre Auswirkungen.

Die Wissenschaft hat längst genügend Daten, tragfähige Hypothesen und sogar schon ökologische, ökonomische und soziale Lösungsansätze erstellt, findet aber nicht ausreichend Gehör, sondern wird gefährlich weitreichend ignoriert. Zu viele Menschen können die Relevanz von Zahlen und Fakten offenbar nicht erfassen und verwechseln Fakten mit Meinungen.
Wie könnten Forschende und VordenkerInnen besser Gehör finden?
Indem sie ihre wissenschaftlich korrekt formulierten, aber abstrakten Inhalte für Nicht-WissenschaftlerInnen in deren Sprache übersetzen, um zu begreifen, was dies für jeden einzelnen Menschen bedeutet.
Beziehungsweise übersetzen lassen. Von professionellen AutorInnen, die solche Sachverhalte erfassen und per Storytellung als gute Geschichten erzählen. Von Literatur-Profis, die Worte und Dialoge finden, auch für Gedanken und Sachverhalte, die noch nie gesagt worden sind.

Science Fiction beschäftigt sich mit spekulativer, aber irgendwie noch wissenschaftlich und technisch plausibler Fiktion. Science Fiction-AutorInnen bilden in ihren Szenarien, die meist in der nahen oder ferneren Zukunft spielen, oft gesellschaftliche, technologische oder andere Problemen aus der Gegenwart ab. Viele von ihnen sind Natur-, Literatur oder Sozialwissenschaftler und durchdenken ihre Geschichten aus diesen Perspektiven. Mit gutem Storytelling machen sie auch komplexe Sachverhalte für den menschlichen Verstand verstehbar und ertragbar und spinnen diese weiter. In der Extrapolation spitzen sie Konflikte zu oder entwickeln Lösungsansätze.
Auch Climate Fiction ist spekulative Fiktion, allerdings immer mit dem Fokus auf das Leben im und nach dem Klimawandel. Den Diskurs um ihre Zuordnung in der Science Fiction oder an anderer Stelle kann ich hier nicht lösen, mir kommt es so vor, dass große Übereinstimmungen zwischen beiden Genres bestehen.

Der Begriff Cli Fi geht auf den Journalisten, Blogger und grünen Aktivisten Dan Bloom zurück, der ihn nach eigenen Angaben erstmals 2008 erdacht hatte. Als er über Jim Laughters Buch Polar City Red bloggte, hatte er es als ”cli fi thriller” bezeichnet – cli fi entwickelte daraufhin bald eine Eigendynamik.
2013 brachte NPR einen großen Artikel zu Büchern zur Climate Fiction unter der Schlagzeile „So Hot Right Now: Has Climate Change Created A New Literary Genre?“.
2014 schrieb die New York Times über Einsatz von Cli Fi-Literatur in den Klassenräumen, um SchülerInnen und Studierenden Wege zu vermitteln, mit der Klimakrise umzugehen. In Unterricht und Vorlesung war Climate Fiction also schon als didaktische Methode angekommen.

Als die berühmte Schriftstellerin Margaret Atwood #CliFi retweetete, wurde der Begriff schnell weit verbreitet – sie hat immerhin 450.000 Follower. Auch wenn Atwood meint, sie selbst schriebe eher Speculatice Fiction und keine Science Fiction oder Climate Fiction, unterstützte sie die Verbreitung des neue Genres, sie selbst ist mehrfach mit Literatur-Auszeichnungen der SF geehrt worden.

Als Genre ist Cli Fi natürlich schon wesentlich älter, so wird u. a. der bekannte Film Soylent Green (1973), der auf Harry Harrisons Roman Make Room, Make Room! basiert, aus heutiger Sicht dem Genre zugerechnet.

Mein neuer Vortrag „Climate Fiction“ stellt dieses Genre vor und beschäftigt sich mit seinen Möglichkeiten.

Perm-Trias-Krise: Die bedrückende Relevanz der 251 Millionen Jahre alten Korallenfossilien

Der Vortrag beginnt mit einem Interview des IPCC-Hauptautoren Prof. Wolfgang Kießling, das ich 2019 für die VW-Stiftung gemacht hatte: Der Klimakrise mit Urzeitwissen begegnen. Wolfgang Kießling ist Paläontologe und Experte für fossile Korallen, er hat sich u. a. intensiv mit dem Perm-Trias-Event beschäftigt.

Massensterben an der Perm-Trias-Grenze

Das Diagramm zeigt die Aussterberate von Gattungen mariner Fossilien während geologischer Zeiträume. Man sieht deutlich die Aussterbeereignisse an der Grenze Ordovizium/Silur, im späten Devon, die PT-Grenze, die Trias-Jura-Grenze, und die KT-Grenze (Kreide-Paläogen-Grenze)

Da ich auch Paläontologie studiert habe, fügten sich die Fakten, die er mir erklärte, in meiner Vorstellungskraft schnell zu einem farbigen dreidimensionalen Bild zusammen: Zu riesigen bunten Riffen, auf denen ganze Ökosysteme aufbauten, mit einer hohen Biodiversität und Biomasse. Fremdartig, mit ihren längst ausgestorbenen Trilobiten und Ammoniten, aber ähnlich genug, um sie als wichtige Ökosysteme mit großer Wirkung weit über die Korallenskelette hinaus zu verstehen.
Wie alle Erdzeitalter-Abschnitte ist auch die Perm-Trias-Grenze durch ein Massensterben definiert: Das größte globale Massensterben der Erdgeschichte, 251 Millionen Jahre vor unserer Zeit. Großräumige Vulkanausbrüche auf dem Kontinent Sibiria spien über 100.000 Jahre hinweg CO2 und Methan in die Atmosphäre, im heutigen Sibirien haben sie eine 1000 Meter dicke Schicht Basalt hinterlassen. Dieser ausgedehnte Vulkanismus führte zu globaler Erwärmung, Sauerstoffmangel im Ozean, Ozeanversauerung und einem etwa 30.000 Jahre dauernden globalen Kollaps. Vor meinem inneren Auge erstickten die Meerestiere, die Riff-Korallen siechten dahin und verblassten, tote Organismen sanken wie ein Leichentuch auf den Boden und erstickten das restliche Leben darunter. Im größten Artensterben der Erdgeschichte erloschen 75 % der Landfauna und sogar 95 % der Meeres-Wirbellosen. Auch unsere eigenen Vorfahren, die Synapsiden (früher auch als säugetierähnliche Reptilien bezeichnet), wären fast ausgelöscht worden.

Der Geologe Wolfgang Kiessling betreibt Paläontologie in einem sehr großen Maßstab: Er analysiert mit seiner Arbeitsgruppe aus der ganzen Welt. Seit 1999 haben sie die Forschungsdatenbanken Paleobiology Database und PaleoReefs-Database (PARED) aufgebaut. So können sie signifikante Muster erkennen und daraus Erkenntnisse zur Evolution, zur Biodiversität sowie zum Aussterben von Arten gewinnen und evolutive Regeln ableiten. Auf dieser massiven Datenbasis können sie auch Voraussagen ableiten, wo und wie sich globaler Klimawandel auswirken wird. Die Paläontologie hat also die Basisdaten, welche Auswirkungen eine Klimakrise auf das irdische Leben hat, sie können die Daten aus der Vergangenheit und der Gegenwart in die Zukunft  extrapolieren.

Die schnell wachsenden tropischen Riff-Korallen ergeben besonders gute Fossilien auch zur Rekonstruktion der Klimageschichte – sie wachsen schnell und in großen Mengen, an ihren fossil erhaltungsfähigen Kalkskeletten lassen sich auch nach Jahrmillionen noch Wachstumsbedingungen ablesen und sie sind ökosystembildend. Diese Korallenpolypen brauchen winzige Grünalgen als Symbionten (Zooxanthellen). Die Grünalgen sitzen in den Korallen sicher und oberflächennah, mit Sonnenlicht-Energie produzieren sie Zuckerverbindungen, die den Polypen mit ernähren. Die Korallen reagieren auf Temperaturschwankungen – wird es ihnen zu warm, sind sie gestreßt und stoßen ihre Endosymbionten aus. Dann verbleichen die Korallen, sie wachsen langsamer, oder sterben.
Heute, in Zeiten der Klimakrise und der Ozeanerwärmung, gab es schon mehrmals große Korallenbleichen. Die im australischen Great Barrier-Reef schaffen es oft auch in die europäischen Schlagzeilen, aber auch viele andere tropische Länder haben Probleme mit ihren sterbenden Riffen.
Riffe sind nämlich in vielen Gegenden extrem wichtig sowohl für die Nahrungsversorgung der Küstenbevölkerung als auch als wichtiger (und oft einziger) Küstenschutz. Korallenriffe bieten Schutz und Nahrung gleichzeitig für viele Arten, u. a. für viele Jungfische. Als Hot Spots der Biodiversität bestehen Riffe aus einer Vielzahl von Lebensräumen, und beherbergen viele Arten und viele Genome. Sterben die Korallen ab, verschwindet damit ein ganzes Ökosystem und eine große Zahl von Arten ihre Lebensgrundlage. Die wandern ab oder sterben. Damit fallen marine Nahrungsressourcen für viele Menschen vor Ort fort. Tote Riffe funktionieren auch nicht mehr als Küstenschutz, innerhalb kurzer Zeit können die verheerenden tropischen Stürme dann die Siedlungen nahe der Küsten zerstören.
Im Moment ist weltweit in den Ozeanen zu beobachten, dass einige Tiergruppen auf den Anstieg der Meerestemperaturen reagieren, wie es auch in anderen Klimakrisen der Erdgeschichte wie vor 251 Millionen Jahren zu beobachten war – so ist zurzeit eine Verzwergung bei tropischen Fischarten zu beobachten. Eine Ozeanversauerung, wie sie durch den CO2-Anstieg geschieht, löst langfristig Kalkskelette von Korallen, Plankton und anderen Meerestieren auf.

An dieser Stelle ist mir im Interview schlecht geworden – ich konnte mir ziemlich genau vorstellen, was weiter passieren würde. Auf der Basis der fossilen und rezenten Riffkorallen und ihres Sterbens konnte ich mir die Folgen ausmalen. Darum ist die Perm-Trias-Grenze und ihre aktuelle Relevanz ein anschaulicher Einstieg ins Climate Fiction-Thema.

Die Hürden unseres Verstands beim Begreifen abstrakter und furchteinflößender Fakten

Unser blauer Planet wird eine solche extreme Klimaveränderung wieder einmal überleben, wahrscheinlich wird auch die Menschheit dadurch nicht aussterben. Zurzeit verlagern sich die Lebensräume vieler Arten polwärts.
Aber welche Auswirkungen sind für unsere Zivilisation zu erwarten? Was bedeutet es für uns in der EU, wenn sich der Weizengürtel in die bisherigen Permafrost-Gebiete verlagert? Oder wenn der Meeresspiegel mehrere Meter steigt. Werden wir dann selbst zu Klimaflüchtlingen? Wie verlagern sich globale Industrie- und Machtzentren?

Als Wissenschaftsjournalistin stoße ich überall auf Folgen der globalen Krise. So ist etwa auch Covid 19 (Bild der Wissenschaft, Juni 2020: Der Ursprung der Pandemie) eine direkte Folge der Ökokrise und direkt auf die Lebensraumzerstörung mit dem Verlust von Biodiversität in den Tropen und Subtropen zurückzuführen.
Als Wissenschaftsjournalistin muss ich Fakten und Zusammenhänge sachlich kommunizieren, sonst würde mir Alarmismus vorgeworfen. Allerdings scheinen viele Menschen dann die Dringlichkeit nicht zu begreifen.
Vor diesem Problem stehen die WissenschaftlerInnen noch weitaus stärker, von ihnen wird absolute Sachlichkeit erwartet. So warnten sie seit Jahrzehnten vor dem Klimawandel und beschreiben stetig die sich verschärfende Klimakrise. Die globale Erwärmung schreitet voran, wie Messungen in der Atmosphäre und den Meeren, in Wäldern und im gar nicht mehr ewigen Eis klar zeigen. Extremwetterlagen nehmen überall zu, Dürren und Waldbrände, Stürme und Fluten. Längst geht es nicht mehr darum, ob, sondern nur noch, wie schnell die Veränderungen voranschreiten und was genau passieren wird. Da WissenschaftlerInnen ihre Ergebnisse eher zurückhaltend interpretieren, haben wir zurzeit bereits alle Szenarien zur Bremsung der Erderwärmung überrundet.

Trotz der zunehmenden Gefahren passiert immer noch zu wenig, um der Klimakrise effektiv zu begegnen. Ein Teil des Problems ist, dass viele Menschen Fakten nicht als solche verstehen.
Schließlich ist es einfacher, unbequeme Fakten auszublenden. Wen interessiert schon ein totes Korallenriff oder ein brennender Wald außerhalb der eigenen Umgebung?

SchrifstellerInnen haben die Gabe, aus solchen abstrakten Fakten emotional berührende Geschichten zu machen, in denen es nicht mehr um Korallen, Bäume, Eisbären oder Koala-Bären geht, sondern um menschliche Schicksale. Oder im größeren Maßstab sogar um menschliche Gesellschaften.
Eine Steilvorlage für Dystopien wie The Day after tomorrow oder Mad Max.
Eine Dystopie ist zwar an Dramatik kaum zu überbieten, hat aber eine so zerstörerische Intention, dass sie von den meisten Menschen als unwirklich abgetan werden dürfte. Die Vorstellung, dass eine solche Dystopie einen Zusammenhang mit dem eigenen Leben haben oder bekommen könnte, wäre zu verstörend.

Eine Reihe von SF- und Cli Fi-AutorInnen sehen die derzeit hoch problematische Situation und möchten ihr Können zur Lösung der Klimakrise beitragen. So schreiben sie Geschichten vom Auf- und Umbruch und schicken ihre Helden in Klimakrisen-Szenarien in der Gegenwart oder nahen Zukunft.

Fortsetzung:

Teil 2: #Climate Fiction – Die Story des nächsten Jahrhunderts

Teil 3: #ClimateFiction – Die Stadt als Keimzentrum neuer Ideen

Teil 4: #ClimateFiction: #Solar Punk – die Dystopie ist abgesagt 

Teil 5: #ClimateFiction: #ElsterCon2020 – Fahrenheit 145: Science Fiction, Klimakrise und Gesellschaft

 

Kommentare (10)

  1. #1 DH
    2. Oktober 2020

    Interessant.
    “Fakten”
    werden schon überwiegend verstanden, eher sind sie nicht bekannt bei Vielen, weil Viele grundsätzlich alles ausblenden, was sie nicht hören wollen.
    Die Faktenleugner sind dabei gar nicht so das Problem, sie interessieren sich immerhin fürs Thema und tragen bei zur ordentlichen Aufstellung der Klimaforschung, durch stete Herausforderung derselben.
    “Klima hat irgendwas mit CO2 zu tun” (Donald Trump) Es geschehen noch Zeichen und Wunder…

    Danke, daß oben auf die Umweltzerstörung und, daraus folgend, Covid19 hingewiesen wird, das geschieht zu selten.
    Beides, Umgang mit Pandemien und mit Umweltzerstörung, geht nicht ohne Systemkritik, an der es aber weitgehend fehlt, allgemein, aber auch in erheblichen Teilen der Wissenschaft.

  2. #2 Bettina Wurche
    3. Oktober 2020

    @DH: Die Systemkritik steht im IPCC-Bericht, prominenter können auch WissenschaftlerInnen das nicht platzieren. Ansonsten hat der Ruf nach einem Systemwandel etwa in einer naturwissenschaftlichen Forschungsarbeit eher nichts zu suchen, da es an der Stelle als unsachlich gelten würde. Es wird eher mal in längeren Interviews gesagt bzw. geschrieben. Das ist einer der Punkte, wo Climate Fiction den größeren Erzählbogen nutzen und Schlußfolgerungen ziehen kann. Das sollte in den nächsten drei Teilen noch besser rauskommen.
    Ich halte Faktenleugnung für sehr gefährlich, denn so wird eine Parallewelt geschaffen. Das Leugnen der Klimakrise durch Rechtspopulisten hat etwa am Amazonas zu einer katastrophalen Brandrodung geführt, indigene Völker um ihre Lebensgrundlage gebracht (das dürfte schon auf dem Level des Genozids sein) und dürfte Auswirkungen auf das globale Klima haben. Genau diese Biodiversitätsverluste in tropischen und subtropischen Zonen führen zum Aufstieg neuer Pandemien, wie etwa mehrere neuer SARS und MERS-Viren. SARS-CoV-2 war jetzt nur das erst mit größerer Durchschlagskraft. Das war von Virologen nach der ersten SARS-Welle schon 2003 angekündigt worden.
    Ich kann hier gern mal mehr dazu schreiben.

  3. #3 DH
    3. Oktober 2020

    @Bettina Wurche
    Ich will nicht sagen, daß es in der Wissenschaft nicht auch systemkritische Teile gibt, da wo es die (richtige) Sachlichkeit zuläßt.
    Aber die W. insgesamt wurde auch ökonomisiert, Stichwort (bei uns) Bolognaprozeß, und sie tritt in Teilen als starker Verfechter der Idenditätspolitik auf, was beides sehr systemaffin ist, um es vorsichtig zu formulieren.
    Stimme Ihnen zu, die Folgen der Klimaleugneungspolitik sind fatal, aber haben sie die Prozesse nicht nur einfach beschleunigt, wäre es ohne Trump und Bolsonaro so viel besser?
    Vielleicht haben beide unfreiwillig sogar beigetragen zu einer Beschleunigung des Problembewußtseins, immerhin ist es jetzt viel offensichtlicher, was schon lange passiert. Schocktherapie von rechts, wenn man so will.
    “Ich kann hier gern mal mehr dazu schreiben.”
    Kann nur für mich sprechen, aber immer her damit.

  4. #4 Bettina Wurche
    5. Oktober 2020

    @DH: Inwiefern tritt Wissenschaft als Verfechterin der Identitätspolitik auf?
    Ja, ich denke schon, dass ohne Bolsonaro, Trump u. a. Rechtspopulisten vieles besser wäre. Die Polarisierung durch solche Personen macht die Zivilgesellschaft zurzeit nahezu handlungsunfähig, statt echte Probleme zu lösen müssen wir uns gerade wieder um basale Fragen der Rechtsstaatlichkeit kümmern, etwa, ob Frauen, PoCs oder nicht Heterosexuelle gleichberechtigte BürgerInnen sind. Oder ob man bei einer Pandemie Prävention zur Vermeidung von Ansteckungen nutzt. Nein, Corona hätte als Schocktherapie absolut ausgereicht.
    Das Thema Biodiversität und Pandemien steht dann auf meiner Liste.

  5. #5 DH
    6. Oktober 2020

    @Bettina Wurche
    Hab erst vor einigen Monaten einen Vortrag in “campus”, gehört, wissenschaftliche Sendung mit (eigentlich guten) Kurzvorträgen, wo einmal mehr die Mär vom rezessiven männlichen Chromosom repetiert wurde, nebenbei bemerkt, ein pseudowissenschaftliches und sozialdarwinistisches Konzept.
    Universitäre Umfelder sind teils fanatische und intolerante Verfechter der Idenditätspolitik, bis hin zur Militanz.
    Gleichstellung der genannten Menschen haben wir längst, die heutigen Forderungen dienen der Bevorzugung, nicht der Emanzipation, mit Ausnahmen wie dem Rassismus gegen Schwarze in den USA.
    Darüberhinaus sind es gerade die selbsternannten Vertreter dieser Gruppen, die ganz offen hetzen gegen “alte weiße Männer”, also gegen eine ausgewiesene Minderheit.
    Rechtsstaatlichkeit wird vor allem von Vertretern der ID-Politik attackiert, die Rechtspopulisten sind dabei nur die logische Folge und machen dann dassselbe auf ihre Art.
    Polarisierung kann durchaus heilsam wirken, ich habe sogar den Verdacht, daß sie der Vorbote großer Veränderungsschübe sind, vielleicht ist Polarisierung sogar deren Voraussetzung.
    Sowas hatten wir schon in den 60ern, die zunächst ein Jahrzehnt der radikalen Rechten waren.
    “Das Thema Biodiversität und Pandemien steht dann auf meiner Liste.”
    Bin gespannt.

  6. #6 Bettina Wurche
    7. Oktober 2020

    @DH: Da ich den Vortrag nicht gehört habe, kann ich dazu nichts sagen.
    Mit Begriffen wie “Identitätspolitik” und “alte weiße Männer” sind wir natürlich voll drin im ideologisch vorbelasteten gesellschaftspolitischen Nahkampf, in dem sich sich Gruppierungen, denen man Identitätspolitik vorwirft, mit solchen aus “alten weißen Männern” unerbittlich gegenüberstehen.
    “Alte weiße Männer” trifft den Sachverhalt tatsächlich nicht gut, ist das konservativ bis reaktionäre Beharren auf den Privilegien doch altersübergreifend, außerdem gibt es auch weibliche Vertreter. Ideale Verteter sind rückwärts gewandte Typen, die auch angesichts der Klimakrise gern auf ihrem Privileg der freien Fahrt für freie Bürger und einem täglichen Steak beharren und das genüßlich zelebrieren und sich ihre Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen schön reden. Etwa, dass sie wertkonservativ seien oder die bürgerliche Mitte präsentieren. Auf der anderen Seite der Front stehen Personenkreise, denen Identitätspolitik vorgeworfen wird. Sie verteten nur Partikularinteressen einzelner Gruppen: Frauen, Homosexuelle oder Menschen mit Migrationshintergrund. Dass diese Zuordnung ebenso blödsinnig ist wie die der “alten weißen Männer”, ist bereits daran zu erkennen, dass Frauen eigentlich ja keine Minorität sind, sondern ungefähr die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Gemeint sind wahrscheinlich Frauen, die sich lauthals über etwas aufregen, was die Gruppierung der “alten weißen Männer” gern so behalten möchte.
    “Medienbeiträge, die partikulare Identitäten ernsthaft als entscheidendes Merkmal eines Menschen beschreiben, finde ich nur im rechten Spektrum.” schreibt Houssam Hamade im Deutschlandfunk – seinen Text dazu finde ich interessant
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/kulturelle-anerkennung-warum-linke-und-rechte.1005.de.html?dram:article_id=473709

    Darum bin ich mit solchen Begrifflichkeiten sehr vorsichtig, sie sind zu oft unzutreffend oder/und ideologisch vorbelastet.
    Falls die obige Definition zutreffen sollte, fordern Identitätspolitik-AnhängerInnen Rechtsstaatlichkeit und zwar aus verdammt guten Gründen: Viele internationale Vereinbarungen zum Schutz und zur Gleichberechtigung von Frauen und Minoritäten werden gerade von Rechtspopulisten angegriffen. Rechtspopulistisch dominierte Staaten lösen gerade Verträge wie die Istanbul-Konvention und andere Vereinbarungen. Dafür schreien sie sehr laut und fordern für sich vorgeblich gleiche Rechte und Meinungsfreiheit ein. De facto geht es um das Mundtotmachen aufmüpfiger Geister, die liberal, intellektuell, weiblich/verweiblicht, unmännlich, hysterisch, panisch sind. Schließlich ist für Rechte “Eine dekadente, verweichlichte, unmännliche, hysterische, panische, angstvolle, verweiblichte Gesellschaft […] das Problem.” wie Natascha Strobl es gerade schön formuliert hatte. Dazu gehören auch Corona-Prävention und Klimaschutz (Natascha hatte über Prävention geschrieben – die AfD hat gerade im Bundestag genau das wieder schön vorgeführt)
    Sie hatte ihren Thread getwittert, der ist leider nicht frei zugänglich:
    https://twitter.com/Natascha_Strobl/status/1247191849422458880

    Ich sehe die Polarisierung eher destruktiv, wie im US-Wahlkampf derzeit ja perfekt zu sehen ist. Trump hat keinen konstruktiven Plan, er zerstört und wütet blindlings dahin. Seine Präsidentschaft steht nicht FÜR etwas, sondern dass er andere damit dominiert hat um des Dominierens willen.
    Das zeigen ja auch die AfD und andere Rechtspopulisten sehr deutlich:
    “Auf unzähligen Online-Plattformen und in Foren wird etwa gegen Muslime, Politiker, Journalisten, Juden und Frauen gehetzt. Rechtsradikale User sehen sich gleichzeitig als entmachtete Individuen, die sich gegen eine alles kontrollierende Elite zur Wehr setzen.”
    https://www.arte.tv/de/articles/der-naehrboden-fuer-hass

  7. #7 DH
    8. Oktober 2020

    @Bettina Wurche
    Danke für die sachliche Antwort.
    Eintreten für gleiche Rechte ist in der Tat nicht automatisch Idenditätspolitik (IDP). Innerhalb, oder über dieses Spektrum hinaus hat sich aber ein politisches Milieu entwickelt, daß daraus etwas Einseitiges macht, mit Tendenz ins Faschstoide.
    ““Medienbeiträge, die partikulare Identitäten ernsthaft als entscheidendes Merkmal eines Menschen beschreiben, finde ich nur im rechten Spektrum.”
    Sehe ich anders, in verdeckter und häufiger Weise gibt es die auch im ID-Spektrum. Auch Hamade unterschätzt dieses Problem, geht nur von persönlichen Erfahrungen aus und denkt, typisch IDP, daß nur bestimmte Gruppen diskriminiert werden können. Das ist selektionistisch und auch nicht links.
    Es gibt sehr wohl linke Intoleranz, der Denkfehler ist eher, daß IDP nur links sein soll.
    Ich würde sie eher quer durch den ganzen Garten sehen, anteilig, und dann auch auf der rechten Seite, auf deren Art. Es gibt auch sowas wie eine rechte politische Korrektheit, die nicht minder intolerant ist, die Inhalte haben Sie bereits treffend beschrieben.
    Ich bin vorsichtig optimistisch, die RP zwingen die Progressiven gerade, sich besser aufzustellen oder unterzugehen, und, sorry, das war dringend nötig.
    “Privileg der freien Fahrt für freie Bürger ”
    Zustimmung, selbst Lindner haut in diese Kerbe, auch Liberale und Konservative stecken in der Krise.

  8. […] Climate Fiction, die sich mit zeitnahen Settings des Lebens in der Klimakrise beschäftigt (über Climate Fiction hatte ich hier ja umfassend berichtet). Damit bietet die SF die Möglichkeit, gegenwärtige Entwicklungen […]

  9. […] Klimakrise, Solarpunk als fröhliche Absage an die Dystopie, FahrradheldInnen und KSR hatte ich in dieser Artikelreihe näher […]

  10. […] mein Vortrag 2020 auf der letzten ElsterCon noch Climate Fiction allgemein vorgestellt, mit einem Exkurs zum Solarpunk und natürlich auch der Erwähnung von KSR, […]