Climate Fiction: Wie Science Fiction-Autoren uns in der Klimakrise helfen können ist eine Kurz-Serie aus 5 Artikeln und basiert auf meinem neuen Vortrag “Climate Fiction”.
Teil 1: #Climate Fiction – Fakten und Fiktionen zur Klimakrise
Teil 2: #Climate Fiction – Die Story des nächsten Jahrhunderts
Teil 3: #ClimateFiction – Die Stadt als Keimzentrum neuer Ideen
Die Zukunftsforschung postuliert Urbanität ein weiterhin zunehmender Trend. Bereits heute lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, die Anzahl der Megacities (Städte mit mehr als 10 Millionen EinwohnerInnen) und der Stadtstaaten soll noch steigen.
Urbanität ist also nicht zufällig ein wichtiges Element vieler Science Fiction- oder auch Climate Fiction-Stories, ob als Settings oder Sehnsuchtsziele. Städte sind dauerhaft und weithin sichtbare Landmarken, sie überdauern oft Jahrhunderte oder Jahrtausende an der gleichen Stelle. Die urbane Keimzelle ist meist ein Ort mit strategisch günstiger Lage – in einer fruchtbaren Umgebung, mit Zugang zu Wasser, nahe an Handelswegen zu Land oder zur See, spiritueller Bedeutung oder ähnlichen Bedingungen.
Städte existieren auch weiter, nachdem sie von Menschen verlassen wurden, ihre Infrastruktur bleibt nutzbar. Die Siedlungsgeschichte vieler heutiger Städte reicht zurück bis in die prähistorische Zeiten der Jungsteinzeit oder der Eisenzeit, wie etwa New York, Hamburg, London oder Mexiko-City. Das macht sie gerade für in der Zukunft angesiedelte Climate Fiction-Szenarien besonders wichtig.
Städte tragen sind Mit-Verursacher der Klimakrise und leiden gleichzeitig Städte viel stärker als ländliche Räume unter der globalen Klimakrise: Starkregen kann in ihren Beton-, Asphalt-, Stein- und Glasstrukturen nicht versickern. Extreme Wetterlagen wie Überschwemmungen, Sturm oder Schnee treffen die Infrastruktur der Städte besonders empfindlich und legen sie für Stunden oder Tage lahm. Luftverschmutzung durch Abgase oder entfernte Brände in Wäldern oder Mooren sorgen gerade in den Städten für signifikante gesundheitliche Probleme. Die schlimmste Gefahr aber ist die Hitze: Die steinernen Städte heizen sich extrem auf, es gibt viel zu wenige kühlende Grün- und Wasserflächen – sie sind urbane Hitzeinseln. So rufen immer mehr Städte weltweit den Hitzenotstand aus – New York erstmals 2006. In Deutschland erklären zunehmen Städte und Gemeinden den Klimanotstand und versuchen so auf kommunaler Basis, den Klimaschutz aktiv voranzutreiben und gegen die Untätigkeit auf Landes- und Bundesebene zumindest ein Zeichen zu setzen.
Größere Städte haben ein übergeordnetes Parlament und dann kleinere Organisationsstrukturen verschiedener Ebenen, etwa die Stadtviertel, Siedlungen oder einzelne Gebäude. Diese stehen zumindest teilweise in unmittelbarem Austausch mit den BewohnerInnen und sind darum auch an schnellen, pragmatischen Lösungen interessiert, schließlich managen sie jeden Tag das Alltagsleben Tausender, Hunderttausender oder sogar Millionen von Menschen. In einer Stadt müssen Ressourcen wie Raum, Platz, Fläche, Wasser, Energie, Ernährung und saubere Luft für die Grundbedürfnisse aller geteilt werden – für Wohnen, Mobilität, Kommunikation, Bildung, Sicherheit, Rechtssicherheit und soziales Leben. Diese Teilung knapper Ressourcen ist in nahezu allen Städten der Welt gleich, egal, wo sie liegen und wer darin wohnt. Gleichzeitig müssen Städte auch in der Klimakrise bewohnbar bleiben und ihre EinwohnerInnen schützen, etwa vor Hitzschlag.
Die Stadt als Keimzentrum neuer Ideen – Kim Stanley Robinsons 2140
Kim Stanley Robinson (*1952) ist einer der herausragenden Schriftsteller des Sonnensystems (laut Wired), der virtuos Science Fiction als Gesellschaftsentwurf und Gesellschaftskritik einsetzt und damit an die Wurzeln des Genres zurückgeht. Der promovierte Literaturwissenschaftler durchdenkt seine Szenarien interdisziplinär auf hohem inhaltlichen Niveau und erprobt gleichzeitig menschliche Reaktionen mit ihren rationalen und irrationalen Facetten.
Die derzeitige Situation sieht er relativ düster – reiche Menschen nehmen sich neun Zehntel von allem und zwingen die anderen, um den Rest zu kämpfen, darum seien Themen wie Suzanne Collins’ The Hunger Games so populär.
Die Klimakrise hält er für das global drängendste Thema und handelt dementsprechend.
Im Interview mit Wired erklärt er, wie er selbst aktiv zum Klimaschutz beiträgt und gleichzeitig versucht, über seine Bücher möglichst viele Menschen für die Bewältigung der anstehenden Probleme zu aktivieren. Das ausgezeichnete Interview gibt einen sehr persönlichen Einblick in Robinsons Beweggründe, der Titel ist Programm: „The Climate-Obsessed Sci-Fi Genius of Kim Stanley Robinson“.
Robinson lebt in einer kalifornischen Kleinstadt voller Künstler und Wissenschaftler, mit ökologischem Landbau und E-Bike – einer Welt wie in einem seiner Romane. Im Wired-Interview erzählt er, warum in seinen Romanen die politischen Strukturen für Veränderungen so eine wichtige Rolle spielen – er können zwar nicht die Zukunft vorhersagen, aber Wege zur Problembewältigung aufzeigen und so vielleicht Veränderungen mit anstoßen.
Robinson beschäftigt sich intensiv mit Alternativen zum Kapitalismus und informiert sich bei Recherche-Reisen auch über so fremde Länder wie China. In Europa gefallen ihm der Genossenschaftsgedanke und die flächendeckende Krankenversicherung. Immer auf der Suche, wie unsere gegenwärtigen Probleme gelöst werden könnten.
Also schreibt er nun Climate Fiction, „die Story des nächsten Jahrhunderts“. Robinson ist einer der wichtigsten und meistgelesenen Cli Fi-Autoren. Er selbst bezeichnet sich als wütenden Optimisten – noch ist nicht alles verloren, aber es muss endlich etwas passieren.
Mich persönlich hat sein 2140 besonders beeindruckt – eine Geschichte aus dem überfluteten New York. Robinson wollte ein Buch über die Funktionsweise der globalen Finanzsysteme schreiben – in einem SF-Plot im New York von 2140.
Es ist kein Zufall, dass die Großstadt New York mit ihren über 8 Millionen EinwohnerInnen immer wieder in Climate Fiction-Szenarien auftaucht: Erstens ist sie eine große Stadt und zweitens ist New York eben New York. Nirgends kann eine Katstrophe eine solche Wucht entfalten, wie in einer dicht bevölkerten Großstadt, die auch noch so exponiert an der Küste liegt. Und die Metropole New York ist weltweit vielen Menschen aus unzähligen Filmen, Serien und Büchern bekannt und beherbergt gleich eine ganze Reihe von ikonenhaften Bauwerken und Vierteln.
In 2140 stellt Robinson ein überflutetes New York vor, und zwar das unvermeidliche Manhattan. In Upper Manhattan ist es trocken und damit alles beim Alten geblieben: Reiche Leute besitzen riesige Immobilien und nutzen sie kaum.
Robinsons Fokus liegt jedoch auf dem 15 Meter unter Wasser stehenden Lower Manhattan und ganz besonders auf dem Mikrokosmos des Metropolitan Tower.
Dieser Wolkenkratzer ist durch die Überflutung vom Immobilienmarkt gespült worden, da eine Immobilie auf überflutetem Terrain nicht zum Spekulationsobjekt taugt. So hat sich darin eine Genossenschaft ihren EcoTower erschaffen, mit vielen kleinen, erschwinglichen Wohneinheiten, einem Dock für die Wasserfahrzeuge, einem Farmdeck, gemeinsamer Küche und Speisesaal, Büroplätzen und anderer geteilter Infrastruktur. Die Straßen des Stadtteils sind überschwemmt mit verunreinigtem Wasser, die Fortbewegung erfolgt mit Wasserfahrzeugen oder über Hochbrücken zwischen einigen Straßen und Wohntürmen.
Im Metropolitan Tower lebt eine bunte Community: vom Kind bis zum Rentner, Frauen und Männer, unterschiedlichste Berufszweige. Die Herkunft ist unwichtig, die Aufgabe ist alles. Robinsons Hauptfiguren sind der Börsianer Franklin, der einen Überschwemmungsalgorithmus erfunden hat, der Hausmeister Vlade, der mit seinem Team stetig gegen das eindringende Wasser kämpft, die Polizistin in Leitender Position Inspektorin Gen, die verschwundene Personen sucht, Amelia, die mit ihrem Blimp vom Aussterben bedrohte Tiere umsiedelt und dies als Live-Show verkauft, zwei eigentlich obdachlose Jungs, die wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn auf Schatzsuche gehen und dabei in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Und noch andere Gestalten wie zwei aus dem Metropolitan Tower verschwundene Männer. Ein namenloser Bürger gibt erdgeschichtliches, archäologisches und historisches Wissen über New York als Background (was mir unglaublich gut gefallen hat – einer der Gründe, warum ich Robinson gern lese).
Eine Sturm-Katastrophe schweißt diese bunte Community noch einmal fester zusammen: Nach der Zerstörung und Überflutung vieler Wohnhäuser wollen sie Sturm-Flüchtlinge unterbringen. Die bewohnten Wohntürme in Lower Manhattan können diese zusätzlichen Menschen kaum noch aufnehmen. In dieser Notsituation kommt es zu der Idee, dafür nicht genutzten Wohnraum auch in Upper Manhattan zu beschlagnahmen.
Gemeinsam treten die mutigen Bewohner dem Kapitalismus entgegen und rufen zum Ungehorsam auf: Wenn ganz viele Menschen ihre Mieten, Kredite, Studiendarlehen, … und andere Schulden nicht bezahlen, ist das Kapital dagegen machtlos. Schließlich können nicht so viele Menschen gleichzeitig verfolgt, angeklagt und ins Gefängnis geworfen werden. Die Polizistin Gen signalisiert, dass sie das für moralisch und menschlich korrekt hält und niemanden festnehmen würde. Franklin inszeniert also einen gezielten Börsencrash: Die Banken gehen bankrott und werden vom Staat gerettet. Dann werden sie verstaatlicht und gehören dem Staat, auch ihre bald wieder steigenden Gewinne. Die Gewinne kann der Staat dann in Bildung, Soziales, erschwingliches Wohnen und ähnliches umleiten.
Aus der zumindest partiellen Dystopie nach zwei Flutwellen erwächst eine Utopie mit Punk-Elementen.
2140 ist – wieder – ein sehr politisches Buch, das Rücksichtnahme und den Community-Gedanken als stark vorstellt, es ist konstruktiv, kontrovers und didaktisch, wie es für Cli Fi typisch ist. Robinsons Protagonisten sind diverse, bunte und außergewöhnliche Charaktere.
Wie alle Geschichten ist auch 2140 äußerst durchdacht angelegt und geradezu akademisch strukturiert. Er gibt ein immenses Hintergrundwissen über den Ort des Geschehens, ob es sich um New York, die Antarktis, den Mars oder andere Orte handelt – das gefällt mir persönlich extrem gut. Gewalt und Action kommen nicht als Selbstzweck vor, sondern dosiert, auch Hauptpersonen können sterben.
Seine Bücher radikalisieren, wie auch der Wired-Interviewer schrieb. Die Punk-Attitude und einige radikale Gedanken wie das Ersetzen des Kapitalismus durch gemeinschaftlichen zivilen Ungehorsam und Gemeinschaftseigentum dürfte in den USA noch wesentlich radikaler wirken, als in Europa.
Um die Zukunft der sozialen Beziehungen global und in Städten, in und nach der Klimakrise geht es im nächsten Teil: Solarpunk!
Fortsetzung:
Teil 4: #ClimateFiction: #Solar Punk – die Dystopie ist abgesagt
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