Mikromobilität: Fahrradboom in Europa
Noch moderner wäre es natürlich, statt nur Autos, Flugverkehr und Ferienflieger sowie Kreuzfahrtschiffe zu fördern, auch auf klimafreundliche Mobilitätskonzepte zu setzen.
Frankreich hat es gerade vorgemacht:
Dort gingen wesentlich mehr Coronahilfen an kleine Betriebe und Selbstständige, auch im Kulturbereich, der bei uns viel wenig Unterstützung erhielt.
Auch der französische Staat hat die nationale Fluglinie Airfrance gestützt – aber mit einer Bedingung:
zur deutlichen Reduzierung der CO2-Emissionen sollen etwa 50 % der „Inlandsflüge eingestellt werden, die ohnehin bereits in einer problematischen Konkurrenz zu den TGV-Verbindungen (TGV: Train à Grande Vitesse) der Bahn standen. Das betrifft namentlich die bisherigen Flugverbindungen zwischen Paris und Städten wie Lyon oder Bordeaux, die per Hochgeschwindigkeitszug praktisch ebenso schnell wie im Airbus erreichbar sind.“
Weiterhin gab es in Frankreich eine finanzielle Unterstützung zur Fahrradreparatur von bis zu 50 €, außerdem ist der massive Ausbau des Fahrradverkehrs zur Verkehrsentlastung auf den Kurzstrecken mit einer Investition von 20 Millionen € geplant (meiner Einschätzung nach eine bescheidene Summe). Kaufprämien für E-Bikes wie 2018 waren auch in Frankreich 2020 nicht geplant. Dennoch ist es zu einem E-Bike-Boom gekommen, Händler und Werkstätten sind für Monate ausgebucht, wie mir eine in Frankreich lebende Bekannte erzählte.
Kauf- und Reparaturprämien für alle Fahrradtypen wären auch in Deutschland sinnvoll gewesen, denn das Fahrradfahren boomt gerade in ganz Europa. Fahrradfahren ist aber nur möglich, wenn dafür eine ausreichende und sichere Infrastruktur zur Verfügung steht. Fahrradfahren macht nur dann Spaß, wenn das Rad auch gut fährt und man ggf. auch Kinder damit transportieren kann, das sind dann allerdings teure Anschaffungen.
Darum bieten manche Bundesländer und Städte Kaufprämien für Lastenräder, mancherorts können sie auch günstig oder kostenlos geliehen werden (wie z. B. das Heiner-Bike in Darmstadt). So können sich auch Menschen mit geringerem Einkommen ein Zweirad mit Mehrwert leisten.
Eine sinnvolle Investition, denn sie verringert den Autoverkehr und damit den CO2-Ausstoß in den Städten. Außerdem entlastet sie auch den ÖPNV, was gerade in Corona-Zeiten extrem wichtig ist.
Große Städte wie Oslo erzählen ihre Mobilitätsgeschichte gerade neu: Die norwegische Hauptstadt möchte autofrei werden und setzt für den innerstädtischen Verkehr auch stark auf Mikromobilität – also Fahrräder, E-Bikes und ähnliches. Dadurch werden die Emissionen reduziert und die Stadt wird gleichzeitig attraktiver für EinwohnerInnen und TouristInnen gleichermaßen.
Auch andere Metropolen wie Madrid, Paris, London oder New York (!) bieten vermehrt Fahrradstraßen an. Madrid hat sein Verkehrschaos entschärft, indem nur noch BürgerInnen der Stadt Autos nutzen dürfen.
Paris hat wegen der unerträgliche Smog-Situation den Autoverkehr insgesamt stark eingeschränkt, zugunsten anderer Verkehrsmittel. In allen diesen Fällen werden Straßen und Parkplätze zurückgebaut um Platz für Fahrradinfrastruktur und Grün zu schaffen.
Das New Yorker High Line-Project hat eine alte Güterbahn-Trasse im Meatpacker-District in eine Fußgängerbrücke mehrere Etagen über dem Autoverkehr geschaffen, was eine viel genutzte Sehenswürdigkeit ist.
Meine eigenen Beobachtungen der letzten 20 Jahre zeigen: Das Fahrrad ist für viele jüngere Menschen – auch mit Kindern – mittlerweile selbstverständlich, die Fahrradkultur ist im Lifestyle angekommen. Wäre es vor meiner Generation fast undenkbar gewesen, im Anzug oder Kostüm zur Arbeit zu fahren, ist das heute ein selbstverständlicher Anblick. Viele RadfahrerInnen ziehen sich am Arbeitsplatz um oder tragen auch am Arbeitsplatz fahrradkompatible Kleidung. Es gibt mehr Fahrradläden mit teils hochpreisigen Vehikeln als je zuvor.
Eine Bekannte erzählte kürzlich, sie sei am Wochenende an einem Gelände vorbeigekommen, das offenbar ein Fahrrad-Event gewesen sei: Hippe und weniger hippe Fahrradfahrende trafen sich hier für Reparaturen, zum gemeinsamen Schrauben und Klönen.
In vielen europäischen Städten hat sich also mittlerweile eine Fahrradkultur entwickelt. Darum hat die Fahrradkultur es auch schon zu einem ziemlich langen eigenen Wikipedia-Eintrag gebracht (Warum diese Fahrradkultur hier einen so großen Platz einnimmt, erschließt sich gleich noch im Abschnitt „Solarpunk“).
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