Teil 1: #Climate Fiction – Fakten und Fiktionen zur Klimakrise

Teil 2: #Climate Fiction – Die Story des nächsten Jahrhunderts

Teil 3: #ClimateFiction – Die Stadt als Keimzentrum neuer Ideen

Teil 4: #ClimateFiction: #Solar Punk – die Dystopie ist abgesagt 

#ElsterCon2020 – Fahrenheit 145: Science Fiction, Klimakrise und Gesellschaft

Vom 18. Bis 20. September 2020 fand in Leipzig die 15. ElsterCon: Fahrenheit 145 statt, eine Science Fiction-Convention mit dem Schwerpunkt Literatur.
Liebevoll organisiert im Haus des Buches trafen sich hier 120 (die Corona-Auflagen hatten leider den TeilnehmerInnenkreis beschränkt) AutorInnen, ReferentInnen und Fans zu Vorträgen, Lesungen und Diskussionen rund um das Thema Klimakrise. Schließlich, so die OrganisatorInnen, ist DAS das wichtigste Thema, das uns jetzt alle beschäftigen sollte!

Natürlich brennen auch mir als Biologin die Klimakrise und das zelebrierte Ausblenden derselben unter den Nägeln. Darum heißt mein neuer Vortrag „Climate Fiction“, dafür und für ein Podiumsgespräch war ich auf die Elster-Con eingeladen worden und traf auf ein aufmerksames Publikum sowie sehr fundierte Diskussionsrunden.

Die ersten vier Abschnitte dieser Artikelreihe sind Inhalte meines Vortrags, im Folgenden gebe ich einige Inhalte und Zitate aus den Klima-Podiumsdiskussionsrunden und anderen Gesprächen wieder.
Der Besuch in Leipzig hat sich auch wegen der Stadt selbst gelohnt: Überall Fahrräder und Fahrradstraßen! Dass wir trotz Corona mit Bahn und ÖPNV angereist waren, sei nur am Rande erwähnt – trotz meiner anfänglicher Skepsis wurden die Hygiene-Konzepte eingehalten.


#ClimateFiction #CliFi: Die Kraft der Geschichten für die Bewältigung der Klimakrise

Die Forderungen der Climate Fiction und des Solarpunk nach einem Systemwechsel erscheinen radikal, zielen aber auf die tatsächliche Ursache der Klimakrise ab. Die Essenz des Kapitalismus ist die Gewinnmaximierung. Ohne Rücksicht auf Verluste. Genau das hat uns maßgeblich mit in die heutige Situation gebracht (s. dazu auch Teil 3 mit Kim Stanley Robinsons 2140).
2018 hatte der Weltklimarat in seinem Sonderbericht eindringlich darauf hingewiesen, was eine globale Erwärmung von auch nur 1,5 °C bedeuten würde. Als Handlungsleitfaden für PolitikerInnen und EntscheiderInnen hatten die WissenschaftlerInnen eine ganze Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, die durch Reduzierung des CO2-Ausstoßes sowohl die Erwärmung abschwächen könnten und vor allem deren Folgen auf die Menschen. Die nachhaltige Entwicklung und die Reduzierung von Armut und sozialer Ungleichheit gehören zu ihren unmittelbaren Empfehlungen. Auch sie forderten also einen zumindest teilweisen Systemwechsel.

Solche Forderungensind also gar nicht radikal, sondern offenbar rational und überlebensnotwendig. Science Fiction, Climate Fiction und Solarpunk-AutorInnen sind offenbar realistischer als viele andere Personenkreise, die sich derzeit zum Thema der Klimakrise melden.
Die laufende Klimakrise mit ihren vielfältigen Problemen auch in Deutschland wie extremer Trockenheit mit Waldsterben und Ernteeinbußen oder der Erhitzung der Städte und die Ausrufung des Klimanotstands in immer mehr Städten haben bisher zu keinem großflächigen Umdenken geführt.
Dass etwa in Indien die sommerlichen Temperaturen seit diesem Jahrzehnt regelmäßig 50 °C übersteigen und eine Arbeit im Freien für Menschen dann kaum noch möglich ist, es Hitzetote gibt und die Infrastruktur leidet, betrübt in Europa kaum jemanden. Noch ist es zu weit weg.

Zwar handeln mittlerweile viele Menschen selbst, indem sie etwa ihr individuelles Mobilitätskonzept klimafreundlicher gestalten und ihr Konsumverhalten anpassen – vom Essen, über Müllvermeidung bis zum Reisen und insgesamt weniger Konsum. Aber diese individuellen Anstrengungen fallen viel zu wenig ins Gewicht neben dem verschwenderischen Verbrauch von Ressourcen im industriellen Ausmaß.
Außerdem kostet eine echte alternative Lebensweise die einzelnen BürgerInnen auch zu viel Zeit (wie mein Mit-Diskutant Wolfgang M. Schmitt sehr treffend formulierte) – die Menschen haben auch einen Anspruch darauf, dass ihre Regierung gewisse Probleme im großen Maßstab löst und dadurch nicht das gesamte Leben zum Erliegen kommt.

Für eine echte Zäsur im CO2-Verbrauch brauchte es offenbar erst eine Pandemie: Die derzeitige globale Corona-Epidemie hat jedenfalls zumindest für die Zeit des teilweisen Herunterfahrens des öffentlichen Lebens wesentlich mehr Energie-Einsparungen durch einen geringeren CO2-Ausstoß erbracht. In Deutschland wird gerade auf vielen Ebenen diskutiert, wie diese fürs Klima positiven Wirkungen fortgeführt werden könnten. Ein Teil davon ist die zukünftig weitreichendere Nutzung des Home Offices, wodurch extrem viele Pendlerfahrten wegfallen würden. Videokonferenzen ersetzen Dienstreisen und Sitzungen und führen zu einer weiteren Reisekosten-Vermeidung. Das könnte das langfristige Schrumpfen ganzer Branchen bedeuten, was aber zurzeit noch ein Tabuthema ist. Dass eine nachhaltigere Lebensweise an anderer Stelle mehr Arbeitskräfte erfordert, wird in der Öffentlichkeit bislang nicht thematisiert – dabei gibt es dazu längst umfangreiche Forschungsergebnisse mit vielen guten Gedanken (z. B. den Bericht „Nachhaltige Entwicklung, menschenwürdige Arbeit und grüne Arbeitsplätze“ des Internationalen Arbeitsamtes in Genf,  Internationale Arbeitskonferenz, 102. Tagung, 2013).

Weiterhin haben viele Menschen entweder durch Corona-bedingte finanzielle Einkommens-Engpässe oder freiwillig erheblich weniger konsumiert als sonst. In manchen Kreisen wird dieser Konsumverzicht gerade als neues Lebensgefühl gefeiert. Ein Beispiel für positive Corona-Nebenwirkungen in Deutschland ist der veränderte Tonfall um die Debatte des Billigfleisch-Konsums und der Ausbeutung osteuropäischer Arbeitskräft.

Weiterhin war in der Corona-Epidemie an vielen Orten eine stärkere Solidarität etwa in Nachbarschaften oder in Stadtvierteln zu erleben – jüngere Menschen boten ihren älteren Nachbarn an, den Einkauf zu erledigen oder anderweitig zu helfen. Manche Restaurants und Cafés erfuhren Unterstützung durch Nachbarn, Freunde oder Stammkunden, die dort Take-away-Mahlzeiten orderten. Nachbarschaften sprachen auf einmal viel mehr miteinander, als sonst üblich, man kam überall schneller ins Gespräch. Viele Menschen nähten für andere Menschen Gesichtsmasken. Nach einigen gespenstischen Tagen wurde ein neuer Umgang miteinander und mit der neuen Situation gesucht. Und es wurde offenbar insgesamt deutlich weniger gefahren, geflogen und konsumiert, was den CO2-Abdruck erheblich verringerte.

Klimaschützer fordern, diese klimafreundlichen Corona-Folgen unbedingt zumindest teilweise beizubehalten.
In der Nach-Corona-Zeit haben wir so auf jeden Fall schon einmal auch positive Geschichten für ein Leben mit weniger Konsum, mehr Miteinander und Solidarität.

Dass die Covid 19-Pandemie eine direkte Folge der Klimakrise und ihrer Auswirkungen wie Ökokrise und Biodiversitätsverlust ist, ist allerdings immer noch viel zu wenigen Menschen bewusst.
Ein aktuelles UN-Statement (30. September 2020) anläßlich des Biodiversitäts-Gipfels fast zusammen: “The COVID-19 pandemic has further highlighted the importance of the relationship between people and nature. We are reminded that when we destroy and degrade biodiversity, we undermine the web of life and increase the risk of disease spillover from wildlife to people. Responses to the pandemic provide a unique opportunity for transformative change as a global community. An investment in the health of our planet is an investment in our own future.”

Ob jetzt diejenigen, die zurück zum „Weiter so!“ wieder auf ihren SUVs im Stadtverkehr und ihrer täglichen Fleischmahlzeit beharren, oder die wachsende Zahl der Klimaschutz-AktivistInnen die Oberhand bekommen, bleibt abzuwarten.
Ich hoffe dringend, dass wir in Zukunft signifikant mehr Klimaschutz schaffen, auch wenn ich befürchte, dass zu wenig Menschen in Deutschland zu solch radikal erscheinenden Einschnitten bereit sind.
Ich bin gespannt, wie sich das Thema im politischen Bereich durchsetzen wird – bis jetzt hat Deutschland alle einst vereinbarten Ziele zum Klimaschutz und anderem Umweltschutz voll verfehlt.
Ich bin gespannt, ob wir so starke PolitikerInnen bekommen werden, die nicht mehr der Autoindustrie Geld für ihre traditionellen CO2-Schleudern geben, sondern dafür echte Innovationen zum Klimaschutz fordern. Mit dem gleichen Geld für ein „Weiter So!“ hätte die gleiche Autoindustrie Deutschland mit neuartigen Ideen zum Weltmarktführer für klimafreundliche Mobilitätslösungen machen (s. Teil 3) können.
Chance vertan.

Winter is coming! Was George R. R. Martins Game of Thrones mit der Klimakrise zu tun hat

Vielleicht wird die Menschheit die Kurve in der Klimakrise auch gar nicht mehr bekommen. Dann könnte vielleicht ein anderes Szenario eintreten, das ebenfalls Climate Fiction ist:
Das Lied von Feuer und Eis des Fantasy- und SF-Großmeisters George R. R. Martin (*1948), verfilmt als Game of Thrones.

Darin beschreibt Martin das Leben und die Kämpfe zwischen Menschen und anderen Wesen verschiedener Königreiche einer fantastischen Welt. Das Epos beginnt im ausgehenden Sommer und gleich zu Anfang wird unheilvoll der drohende Winter angekündigt: „Winter is coming!“ – was schnell zum geflügelten Wort in die Populärkultur übernommen wurde. Die sieben Königreiche des Kontinents Westeros ähneln in Vielem dem europäischen Mittelalter.  Allerdings enden sie im Norden an einer gewaltigen Eismauer, die sie vor dem ewigen Winter und unheimlichen Bewohnern des hohen Nordens schützen soll. Frühling, Sommer, Herbst und Winter gibt es hier nicht innerhalb eines Jahres, vielmehr dauern diese Perioden über Jahre hinweg, ihre jeweilige Dauer ist nicht vorhersehbar.
Trotz des drohenden Winters und der aufkommenden Gefahr durch eine sich stetig vergrößernde Armee von Untoten, die aus der Kälte immer weiter auf die Reiche der Menschen zumarschieren und diese in ihrer Existenz bedrohen, geben sich die Herrscher und Adligen der Königreiche weiter ihren Machkämpfen und Kriegen hin – sie spielen das Spiel der Throne. Nur gemeinsam könnten sie die tödliche Gefahr bezwingen. Aber bis zuletzt schaffen sie es nicht, ihre Streitigkeiten um Macht und persönliche Vorteile dem höheren Ziel – nämlich dem Bekämpfen der Untoten und damit dem Überleben der Menschen – unterzuordnen (jedenfalls in der TV-Adaptation – die Romane sind noch nicht abgeschlossen und viele LeserInnen machen sich mittlerweile ernsthaft Sorgen, ob Martin das in diesem Leben noch schaffen wird).

In einem Interview mit dem Stil-Magazin der New York Times im Oktober 2018 bestätigte George R. R. Martin die Vermutung seiner Fans, dass sein Epos tatsächlich eine politische Bedeutung hat, und er die Serie als Metapher für den weltweiten Klima-Wandel angelegt hat.

Er bedauere, dass der Klimawandel so oft vernachlässigt wird, denn er sei das drängendste globale Problem: „Wir verschwenden zehnmal so viel Energie darauf, zu diskutieren, ob NFL-Spieler bei der Nationalhymne stehen sollen oder nicht“ – als über die Gefahr, die unsere Erde zerstören wird, zu reden, sagt er im Interview.

Die Welt des Spiels um Macht und Throne ist verworren und destruktiv, es scheint keine Spielregeln zu geben: Eine Einteilung in Gut und Böse wie etwa in Tolkiens gut sortiertem Herrn der Ringe gibt es in Westeros nicht. Stattdessen werden stetig neue Allianzen geschmiedet und Versprechen gebrochen, die Kämpfe wogen hin und her, oft ohne wirklich Sieger. Auch darin ähnelt Martins Phantasiewelt unserer Welt, in der es selbst auf Staatsebene mittlerweile eher um persönliche Bereicherung und Befindlichkeiten geht, als um das Wohl ganzer Staaten und ihrer BürgerInnen.

Menschen haben offenbar die selbstzerstörerische Eigenschaft, sich lieber gegenseitig zu bekämpfen, als sich gemeinsam einer großen, existentiellen Gefahr zu stellen. Auch, wenn um sie herum gerade die Welt untergeht. Leider nicht nur in Fantasy-Epen.

Zusammenfassend ist also zusagen:

-> Climate Fiction beschäftigt sich mit der Bewältigung der Klimakrise und ihrer Folgen und zeichnet plausible mögliche Zukünfte
-> AutorInnen nutzen mögliche CliFi-Szenarien (und Science Fiction-Szenarien) auch für
gesellschaftspolitische Kritik
-> die Klimakrise macht gesellschaftliche Ungleichheit noch sichtbarer
-> Klimakrise, Ökokrise & soziale Ungerechtigkeit sind maßgeblich
auf die Mentalität der Gewinnmaximierung zurückzuführen:
in der Krisenbewältigung steckt der Schlüssel für eine fairere Welt
-> AutorInnen können dazu Inspirationen geben

Die Diskussion mit den hier aufgeführten Aspekten, Argumenten und Forderungen basiert auf meinem neuen Vortrag „Climate Fiction“ und wurde auf der ElsterCon in zwei Klima-Podiumsdiskussionen (“meine” Runde bestand aus Dirk C. Fleck, Wolfgang M. Schmitt und mir mir, moderiert hat Dr. Claudia Rapp) , weiteren Vorträgen und vielen Einzelgesprächen geführt.
Ich hatte, wie schon zuvor in anderen Diskussionen und Gruppen, ob mit KollegInnen, FreundInnen oder beruflichen Gremien, den Eindruck, dass viele Menschen bereit sind, verantwortungsbewusst zu handeln und ihr Leben zu ändern. Allerdings müsste jetzt ganz dringend ein Signal von oben kommen, um die vielen existierenden guten Lösungskonzepte und Ideen endlich umzusetzen.
Dass Science Fiction und Climate Fiction-AutorInnen und SF-Fans sich offenbar mehr um die globale Klimakrise sorgen und die Warnungen aus der Wissenschaft deutlich ernster nehmen als die Regierungen dieser Welt, empfinde ich als besorgniserregend.

Im Rahmen des ElsterCon hatte Tina Nötzold von Radio Corax mich interviewt – unser Gespräch ist hier zum Nachhören: “Von der “Climate Fiction” zur Realität urbaner Mobilität”

 

Kommentare (3)

  1. #1 rolak
    16. Oktober 2020

    Eine Einteilung in Gut und Böse (..) gibt es in Westeros nicht

    Genau wie in der realen Welt auch – nur im Rahmen der Fantasy (und äquivalenten Konstrukten) ist dergleichen überhaupt akzeptabel.

  2. #2 UMa
    17. Oktober 2020

    Dass etwa in Indien die sommerlichen Temperaturen seit diesem Jahrzehnt regelmäßig 50 °C übersteigen und eine Arbeit im Freien für Menschen dann kaum noch möglich ist, es Hitzetote gibt und die Infrastruktur leidet, betrübt in Europa kaum jemanden. Noch ist es zu weit weg.

    Weit weg? Eher nicht.
    Infolge der Hitzewelle im August 2020 sind in Deutschland fast 5000 Menschen vorzeitig verstorben.
    2019 gab es mehrere Hitzewellen in der Ende Juli verstarben über 3000 Menschen in Deutschland zusätzlich.
    Und an der großen Hitzewelle im Juli/August 2018 verstarben in Deutschland über 8000 Menschen.

    Das kann man selbst an den Rohdaten sehen, wenn man sie plottet.
    https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Corona/Gesellschaft/bevoelkerung-sterbefaelle.html

  3. #3 Bettina Wurche
    28. Oktober 2020

    @UMa: In Indien waren gar nicht “nur” die Hitzetoten das Problem, sondern die Situation, dass bei diesen Temperaturen die Arbeit im Freien, etwa in der Landwirtschaft nicht mehr möglich ist. Damit steht ein zunehmend kleinerer Teil des Sommers/des Tages für die Bearbeitung der Felder zur Verfügung. Dass die Klimakrise auch noch den Monsun mit dem dringend nötigen Regen beeinflußt, kommt noch dazu. Der IPCC hatte speziell den Klimakrisen-Folgen auf die indische Wirtschaft ein Kapitel gewidmet. Dabei stehen die Gesundheit der Arbeitenden auf dem Spiel, die Ernährung der Bevölkerung ist gefährdet und natürlich Schlüssel-Wirtschaftsbereiche wie Baumwolle, Tee, u. a., auch für den Export. Es geht also um weitaus mehr als “nur” ein paar Tausend Hitzetote.
    (Sorry für die späte Antwort).