Jede moderne Pandemie hat die gleichen Ursachen: die menschlichen Aktivitäten, die auch zu Klimawandel und Biodiversitätsverlust führen – “There is no great mystery about the cause of #COVID19 – or any modern pandemic. The same human activities that drive #ClimateChange & #BiodiversityLoss also drive pandemic risk through impacts on our environment” erklärt der Zoologe und Ökologe Peter Daszak (EcoHealth Alliance) anläßlich des IPBES-Workshops.
IPBES ist der Welt-Biodiversitätsrat, mehr dazu s. u.
Aber was genau hat ein Virus mit dem Abholzen des Regenwaldes und der Klimakrise zu tun?
- Pandemien mit Viren wie SARS sind eine direkte Folge der Klimakrise und Ökokrise
- Ökokrise: Erderwärmung, Umweltzerstörung und Biodiversitätsverlust
- Klima- und Ökokrise sind untrennbar miteinander verbunden, haben die gleichen Wurzeln und verschärfen sich gegenseitig.
Dieser Beitrag gibt einen kurzen Überblick über die komplexen Zusammenhänge von Covid19 und der Klimakrise/Ökokrise.
Batwoman im Einsatz gegen Covid19
Im Dezember 2019 häuften sich im Krankenhaus in Wuhan auf einmal ungewöhnliche Patienten mit schwerer Lungenentzündung und Atemnot, es gab sogar Todesfälle – wie beim SARS-Ausbruch 2002/2003. SARS bedeutet Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom (severe acute respiratory syndrome).
Am 30. Dezember 2019 nahm die Virologin Shi Zheng-Li gerade an einer Konferenz in Schanghai teil, als ihr Chef, der Institutsleiter des Wuhan Institute of Virology, China sie anrief und zurückbeorderte.
Die Virologin Shi Zheng-Li ist eine ausgewiesene Expertin für SARS und leitet heute das Center for Emerging Infectious Diseases (Wuhan Institute of Virology, China). Shi hatte den Ursprung der ersten SARS-Epidemie 2002/2003 untersucht, damals hatte ein bis dahin unbekanntes Coronavirus die erste Pandemie des 21. Jahrhunderts verursacht – SARS-CoV.
Ende 2019 waren bei zwei Patienten mit atypischer Lungenentzündung (Pneumonie) ein neuartiges Coronavirus entdeckt worden – Shi und ihre Arbeitsgruppe sollten dem besorgniserregenden Befund nachgehen. Die Virologin machte sich sofort auf den Weg. Das Virus war hoch ansteckend und in einer Millionenstadt wie Wuhan eine große Gefahr. Bei der ersten SARS-Epidemie waren von 8100 erkrankten Menschen fast 800 daran gestorben.
2002/2003 war Shi auf der Suche nach dem Ursprung des Coronavirus in die tropischen und subtropischen Provinzen Guangdong, Guangxi und Yunnan im Süden Chinas fündig geworden.
In ländlichen Regionen hatten sie bei Bewohnern kleiner Dörfer Antikörper gegen SARS gefunden. Daraufhin befragten sie die Dorfbewohner nach ihren Lebensgewohnheiten und wie sie den Wald nutzen, so akmen sie auf die Spur der Fledermäuse, die als Virenreservoire bekannt waren. Bald spürten die Virologen Hufeisennasen-Fledermäusen auf, die in der Nähe des Dorfes ihre Schlafhöhlen hatten. Sie nahmen Kot-, Urin- und Speichelproben der Fledertiere, fanden aber keine Coronaviren. Erst als sie ein neues Diagnosekit mit Antikörpertests einsetzten, fanden sie in den Blutproben von gleich drei Hufeisennasen-Arten SARS-Antikörper – diese Tiere waren mit den Coronaviren in Kontakt gekommen!
Die unwegsamen Kalksteinhöhlen voller Fledermausguano waren für die Virologen kostbare Datenschätze – und Shi hat deswegen den Beinamen BatWoman bekommen. Sie leitet mittlerweile eine Virologie-Arbeitsgruppe, die u. a. eine Datenbank mit Viren-Genomen erarbeitet hat und stetig erweitert. Auf der Basis ihrer Daten konnten sie den neuen tödlichen Keim des Winters 2019/2020 schnell als engen Verwandten von SARS Cov zuordnen: 2019-nCoV. Eine andere internationale Arbeitsgruppe (zu der übrigens auch Christian Drosten gehörte) benannte das neue Virus dann: SARS-CoV-2 (ursprünglich hatte ich hier behauptet, dass Shi das neue Virus benannt habe – das war nicht korrekt – BW). Ein enger Verwandter des tödlichen Coronavirus von 2002/2003. Mehrere Arbeitsgruppen bestätigten, dass das neue Coronavirus definitiv ein neues Virus und kein aus dem Labor entkommenes war.
In unserer globalen und mobilen Welt erreichte der neue Keim binnen Tagen andere Städte und andere Länder auf allen Kontinenten. Nach Europa reiste die Viruslast bequem mit dem Flugzeug: Im Norden Italiens arbeiten in einer nahezu abgeschlossenen Community chinesische Textil-Arbeiter unter üblen Bedingungen. Viele von ihnen waren zum Neujahrsfest nach China zu ihren Familien gefahren. Bei ihrer Rückkehr nach Italien hatten sie das neue Virus im Gepäck.
Am 11. März 2020 rief der Leiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Dr. Tedros Adhananon Ghebreyesus, den Pandemie-Status aus: Covid19 hieß die neue Infektionskrankheit.
Warum ausgerechnet Fledermäuse?
Das neue Corona-Virus stammte definitiv von einem Tier. Um die Infektionskette mit den gefährlichen SARS-Viren unterbrechen zu können, musste sie zurückverfolgt und der ursprüngliche Infektionsherd identifiziert werden.
Der erste bekannte Patient war ein Wildtierhändler, der sich das Sars-Coronavirus in Guangdong von Zibetkatzen geholt haben sollte. Zibetkatzen und andere Schleichkatzen, die im tropischen und subtropischen Asien und Afrika leben, sind in China eine Delikatesse, auf den sogenannten Wet Markets (Wildtiermärkten) werden sowohl Wildfänge als auch gezüchtete Tiere gehandelt. Sowohl Wet Markets als auch Zuchten sind berüchtigte Brutstätten für Keime. Enge und Stress setzen den Tieren zu, Tiere und Menschen kommen mit Urin, Kot, Schweiß und sogar Blut verschiedener Arten in Kontakt. So können Krankheitserreger auch Artgrenzen überspringen.
Shi und ihre Kollegen machten sich nach der ersten SARS-Epidemie auf die Suche nach dem ursprünglichen Virenquelle, schnell wurde klar, dass die Zibetkatze nur ein Zwischenwirt war. Bei früheren Ausbrüchen anderer Viruserkrankungen waren Pferde und Schweine die Zwischenwirte gewesen, das eigentliche Virenreservoir waren jedoch Fledermäuse. So gerieten bei der Jagd nach dem Corona-Virus-Ursprung Fledermäuse unter Verdacht, bei denen die Virologen schließlich auch fündig wurden.
Immer wieder führt die Suche nach dem Ursprung eines Virus zu tropischen Fledermäusen und Flughunden – bei SARS-, MERS-, Ebola- und Marburg-Viren.
Woran liegt das?
Der Biologe Thomas O´Shea meint, dass es am hohen Stoffwechsel der flugfähigen Kleinsäuger liegt: Für die Anstrengung des Fliegens läuft der Stoffwechsel auf Hochtouren, dabei steigt auch die Körpertemperatur an. Fledermauseigene Krankheitserreger wie Viren müssen mit dieser erhöhten Körpertemperatur leben können. Das würde die Pathogene gegen die Immunabwehr anderer Säuger immunisieren – Fieber. Außerdem haben Fledertiere einen weiten Aktionsradius und kämen dadurch mit mehr verschiedenen Krankheitserregern in Kontakt. Seine 2014 publizierte Hypothese “Bat Flight and Zoonotic Viruses” ist seitdem viel zitiert worden.
Andere Wissenschaftler wie der Evolutionsbiologe und Fledermausexperte Christian Voigt (Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung) halten eher die große Artenzahl der Fledermäuse für den wesentlichen Punkt ihrer Viruslast. Nach den Nagetieren (die auch viele Krankheiten übertragen, wovon die Pest sicherlich die plakativste ist) sind Fledermäuse die artenreichste Gruppe der Säugetiere. In Deutschland leben 25 Arten, in einem tropischen Land sind es wesentlich mehr – allein in einem Waldgebiet des tropischen Ecuadors können es schon bis zu 140 Arten sein. Weltweit sind es schätzungsweise 1400 Arten, jede Art hat ihre eigene Fracht an Viren und anderen Pathogenen.
Trotz ihrer Virenlast zeigen die Fledermäuse oft keine Krankheitssymptome, ihr starkes Immunsystem schützt sie davor – die geflügelten Kleinsäuger sind Virusreservoire.
Lebensraumzerstörung und Stress fördern Krankheiten
Normalerweise leben Fledermäuse mit ihrer Viruslast ganz gut, ihr starkes Immunsystem hält die Krankheitserreger auf einem ungefährlichen Level. Wird ihr Immunsystem geschwächt, können sich die Viren stärker vermehren. Eine Schwächung des Immunsystems geschieht etwa durch Stress Christian Voigt hat Streßfaktoren bei Fledermäusen untersucht, etwa auf Borneo, wo großflächig Wälder für Ölpalm-Plantagen gerodet werden. Mit der Rodung eines Waldgebiets verlieren auch die darin lebenden Fledermäuse ihre Schlafquartiere und ihre Nahrungsgrundlage. Der Streßlevel ist anhand von Streßmarkern im Blut der Tiere deutlich abzulesen, der chronische Druck schwächt das Immunsystem. Die Zerstörung seines Lebensraums mit setzt ein Tier unter Streß – unter Streß scheidet es dann auch vermehrt über Kot, Urin und Speichel Viren ab. So besteht eine wesentlich höhere Ansteckungsgefahr, auch artenübergreifend.
Dass überlebende Tiere dann auch unter dem starken Einsatz an Pestiziden auf den Plantagen und anderen Nebenwirkungen menschlicher Aktivitäten leiden, erzählte mir Christian Voigt im Interview an einigen üblen Beispielen. Natürlich leiden nicht nur Fledermäuse, sondern auch alle anderen Tiere und sogar Menschen.
Aus diesem Grund geht von Wildtiermärkten oder Zuchtfarmen eine große Gefährdung aus: Auf Pelzzuchtfarmen oder in Hühner-Legebatterien leben Tiere eng zusammengepfercht in zu kleinen Käfigen. Auf Wildtiermärkten werden lebende und tote Tiere verschiedener auf engem Raum angeboten, ebenfalls oft in zu kleinen Käfigen. Die Käfighaltung macht sie krank, sorgt für Verletzungen und setzen sie unter dauerhaften Streß, zusätzlich verletzten sie sich oft noch gegenseitig. Gestresste Tiere scheiden mehr Krankheitskeime aus, aufgrund der schlechten hygienischen Zustände geraten sie in Kontakt mit Kot, Urin, Schweiß und Blut. Vorhandene Erreger verbreiten sich in Beständen und springen auf anderen Arten über – auch auf Menschen.
Der gerade jetzt erfolgte SARS-Ausbruch auf dänischen Nerzfarmen mit einer mutierten Covid19-Variante zeigt, dass Massentierhaltung global eine Gefährdung ist. Entgegen ersten etwas hysterischen Meldungen soll diese Mutante aber für die menschliche Gesundheit keine besondere Gefahr darstellen. Viren mutieren ständig, gerade beim Überspringen von Artgrenzen richten sie sich im neuen Wirt mit günstigen Mutationen ein.
Biodiversitätsverlust und aufkommende Infektionskrankheiten (EIDs)
Der Begriff „Biodiversität“ bezeichnet die Vielfalt der Arten, der Lebensräume und der Genome – die Biodiversität nimmt zum Äquator hin stetig zu – wie bereits bei den Fledermäusen vorgestellt. Dementsprechend ist in diesen Gebieten auch eine besonders hohe Diversität an Krankheitserregern wie Viren und Bakterien. Diese Hot Spots der Biodiversität liegen überwiegend in ärmeren tropischen und subtropischen Gegenden Afrikas, Asiens und Südamerikas.
2008 veröffentlichte die Ökologin und Fledermaus-Expertin Kate Jones mit einem internationalen Team in Nature die Meta-Studie „Global trends in emerging infectious diseases“: Von 335 Infektionskrankheiten zwischen 1960 und 2004 stammten 60% von Tieren. Zoonosen heißen solche Krankheiten, die von einem Tier auf einen Menschen überspringen. Ihre Zahl wächst, so Jones, und sie sind eng verknüpft mit Veränderungen von Umwelt und menschlichem Verhalten. Menschen dringen immer weiter in bis dahin unberührte Wälder vor, für den Rohstoffabbau, Holzeinschlag, Plantagenbau und Straßenbau. Diesem Vordringen folgen eine schnelle Urbanisierung und ein schnelles Wachstum der menschlichen Bevölkerung. Dadurch kommen Menschen in Kontakt mit Tierarten, mit denen es noch niemals Berührungspunkte gegeben hat – und mit deren Krankheitserregern.
Mit dem immer weiteren Vordringen in unberührte Gebiete schaffen Menschen immer mehr Räume mit idealen Voraussetzungen zur Virusübertragung:
- Mit der Zerstörung eines Lebensraums und der Dezimierung von Arten und Beständen, suchen sich die Krankheitserreger neue Lebensräume – auch Menschen.
Dabei überleben sie sogar eine Brandrodung! - Die überlebenden Arten sind meist robuste Generalisten, die keine besonderen Ansprüche haben, sondern nahezu überall überleben: dazu gehören Nagetiere wie Ratten und Mäuse. Die Folgen davon sind bekannt.
- In den Relikten der Lebensräume leben dann dicht gedrängt viel mehr Arten und Individuen als vorher, diese Dichte und Konkurrenz begünstigt Streß und Krankheitsausbreitung.
Die höhere Ansteckungsgefahr über Zoonosen ist also eine direkte Folge der Zerstörung von Lebensräumen wie tropischen Wäldern. Jones bezeichnet sie als “verborgene Kosten der ökonomischen Entwicklung”.
Solche tropischen Regionen mit starker menschlicher Aktivität haben Jones und ihr Team als Hot Spots der Entstehung neuer Infektionskrankheiten identifiziert– emerging infectious diseases (EID).
Solche neuen Krankheiten bleiben oft zunächst regional begrenzt, da die Menschen in ländlichen Regionen oft ortsfest leben und keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Ihre Erkrankung oder gar ihr Tod bleiben unerfaßt.
Erst wenn es einen Kontakt zu urbanisierten Zonen gibt, werden solche neuen Krankheiten „aktenkundig“ – Tiertransporte spielen dabei oft eine wichtige Rolle. Sie tragen Krankheitserreger in andere Tierbestände oder bis in die Städte. Dort können sie sich dann schnell und zunächst ungehemmt weiter ausbreiten, etwa über Wildtier-Märkte. Solche Infektionskrankheiten scheinen plötzlich und überraschend aufzutreten – emerging infectious disease (EIDs).
Die Zahl und Frequenz dieser EIDs nimmt zu, stellten Jones und ihre Kollegen 2009 fest.
Und wir sind dafür nicht gut gerüstet: Die globalen Ressourcen zum Erkennen und Reagieren auf solche Krankheiten ist konzentriert in den Ländern, die als Ursprungsländer am wenigsten in Frage kommen („We conclude that global resources to counter disease emergence are poorly allocated, with the majority of the scientific and surveillance effort focused on countries from where the next important EID is least likely to originate.“)
Diese Übersicht über EIDs stammt übrigens von jenem Anthony Fauci, der 5 US-Präsidenten kompetent beraten hat – bis Trump kam. (Wikipedia: When Anthony Fauci became director of the NIAID, he drew a map of the world for presentation at a congressional hearing that showed a single notable emerging infectious disease threat: HIV. Since then, he has continually updated the map, now showing the emergence of numerous infectious disease threats to illustrate the experiences of his years in office as well as highlighting certain infections that had emerged before HIV.)Die WHO hatte bereits nach der ersten SARS-Epidemie Warnungen vor EIDs mit Pandemie-Potential herausgegeben. 2003 hatte das Robert Koch-Institut Heft 18 der Reihe „Gesundheitsberichterstattung des Bundes” zur wachsenden Gefahr der EIDs publiziert: „Neu und vermehrt auftretende Infektionskrankheiten“.
Auch die epidemiologischen Zentren anderer Staaten rieten ihren Regierungen, Vorkehrungen zu treffen. Da die Regierungen vieler Länder diese Warnung ignoriert haben, war die Welt auf SARS-Cov-2 nicht gut vorbereitet.
Covid19 ist noch nicht vorüber und es wird nicht die letzte Pandemie bleiben.
Biodiversität und Nachhaltigkeit schützen vor Pandemien
Die intensive oder eher schon exzessive Nutzung natürlicher Ressourcen – ob Böden, Gewässer oder Bestände von Pflanzen und Tieren – fördert also das Entstehen neuer Pandemien. Neben dem Raubbau vor allem der tropischen Wälder gehören zu den besonders kritischen Aspekten auch die Jagd auf Wildtiere und den Handel mit ihnen. So wichtig Bushmeat für das Überleben gerade ländlicher Bevölkerungsschichten ist, so gefährlich ist es aufgrund des Epidemie-Potentials. Gerade Wildtiermärkte wie etwa in Asien sind kritisch und waren bereits mehrfach Auslöser für großflächige Epidemien wie immer neue Grippe- oder SARS-Wellen. Aus Afrika sind hämorrhagische Fieber wie Ebola und Marburg von Wildtieren auf Menschen übergesprungen, in Südamerika kam das Nipah-Virus aus dem Regenwald.
Auch wenn viele Viren, die jetzt Menschen schaden, ursprünglich von Fledermäusen stammen, sind die Fledermäuse nicht schuld. Unter normalen Umständen hätten die Tiere ihre Viruslast gar nicht an andere Tiere oder an Menschen weitergeben können. Schuld am Pandemieausbruch sind die Menschen mit ihrem Verhalten und dem exzessiven „Naturverbrauch“. Fledermäuse (und Flughunde) leisten als Teile intakter Ökosysteme wichtige Dienste für den Menschen: Sie bestäuben viele Nutzpflanzen wie Bananen und Agaven. Durch das Fressen Früchten und Verteilen von Samen helfen sie bei der natürlichen Verjüngung und Aufforstung von Wäldern, dabei haben sie eine große Reichweite. Außerdem vertilgen sie große Mengen Insekten, darunter Pflanzenschädlinge oder Malariaerreger: Eine Fledermauskolonie kann Millionen von Nutzpflanzen-Schädlingen vertilgen und so der Landwirtschaft helfen, erklärte mir Christian Voigt. Für Reiskulturen im Ebro-Tal sollen Fledermäuse pro Hektar mindestens 21 € Ausgaben für Pestizide ersparen, vermutlich mehr. Auch in den Reis- und anderen Pflanzenkulturen Südostasiens und anderswo leisten sie diese Ökosystem-„Dienstleitungen“ ohne schädliche Nebenwirkungen (außer für die vertilgten Insekten).
Mittlerweise ist klar, dass Biodiversität eine Schutzfunktion etwa gegen Pandemien hat. Intakte Lebensräume mit reichen Artengefüge halten mit ihrem ökologischen Gleichgewicht das Überborden einzelner Arten und deren Krankheitserreger offenbar in Schach.
Eine nachhaltige Nutzung führt zu weniger Stress in den Ökosystemen und bei Wild- und Nutztieren, was weniger Krankheiten und Ansteckungen bedeutet. Vor allem würde so das Überspringen von Artgrenzen vermieden oder zumindest verringert.
In einem Aufsatz in Science haben Andrew Dobson und seine Kollegen vorgerechnet, dass die Kosten einer Pandemie ungleich höher sind als der kurzfristige ökonomische Nutzen. Je größer eine gerodete Regenwaldfläche ist und je mehr menschliche Aktivitäten am Waldrand stattfinden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein neuartiger Virus auf Nutztiere und Menschen überspringt („Spillover“). Bushmeat von Wildtieren ist für die Landbevölkerung sicherlich ein wichtiger Teil der Ernährung, kann in urbanen Zentren aber die nächste Epidemie oder Pandemie auslösen. Darum wäre ein Verbot solcher Märkte in Städten ein wichtiges epidemiologisches Werkzeug.
Unter Berufung auf eine ganze Reihe anderer Studien rechnen sie vor, dass Naturschutz sich letztendlich auch volkswirtschaftlich lohnen würde.
Die Publikation ist frei zugänglich, eine aktuelle Zusammenfassung des Wissensstandes und lesenswert.
Zu solchen global sich lohnenden Investitionen zählt neben der Reformierung von Landwirtschaft, Verkehr, etc. auch die Unterstützung der WHO, über Entwicklungshilfe die Gesundheitspolitik vor Ort und internationale Zusammenarbeit – dadurch erhalten alle Staaten Frühwarnsysteme, ob und wo sich gerade neue Pandemien entwickeln. Das würde ein rechtzeitiges Eingreifen ermöglichen und könnte im günstigsten Fall Pandemien verhindern. Im Interview hatte mir Fabian Leendertz, Tierarzt und Zoonosenforscher am Robert Koch Institut, detailliert erzählt, wie er und seine Arbeitsgruppe etwa in Afrika und Südamerika Zoonosen erforschen. Unter anderem gehören dazu einige kleine medizinische Zentren (Surveillance Centres) im afrikanischen Wald als Anlaufpunkte für erkrankte Menschen. Sie erhalten so vor Ort medizinische Versorgung, gleichzeitig können diese Zentren Proben untersuchen, eventuell auftretende neue Viren entdecken und die Information an das RKI, die WHO oder andere Institutionen weitergegeben. Ein anderer wichtiger Aspekt ist das Sammeln und Untersuchen toter Affen, die ein Frühwarnsystem für potentielle Bedrohungen von Menschen sind – dabei geht es zurzeit u. a. um Affenpocken.
Diese Zusammenhänge von Biodiversitätsverlust und zunehmender Pandemie-Gefahr sind u. a. in einem Workshop des Welt-Biodiversitätsrats IPBES erarbeitet worden, sie bilden die Arbeit vieler Forschungsgruppen vor allem aus den letzten zwei Jahrzehnten ab. IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services; deutsch: Zwischenstaatliche Plattform für Biodiversität und Ökosystem-Dienstleistungen) ist die UN-Organisation zur wissenschaftlichen Politikberatung in Sachen Erhaltung und nachhaltigen Nutzung von biologischer Vielfalt und Ökosystemdienstleistungen.
2020 ist das letzte Jahr der UN-Dekade der Biodiversität – Covid19 hat plakativ vorgeführt, warum wir uns dringend um den Erhalt der Vielfalt des Lebens kümmern müssen.
Was jede/r einzelne tun kann:
– Verzicht auf Palmölprodukte in Lebensmitteln und Kosmetika
– Verzicht auf Fleisch von Tieren, für deren Ernährung Regenwälder gerodet werden
https://www.br.de/nachrichten/wissen/faktenfuchs-ist-soja-schlecht-fuers-klima,RiwUwD1
– Verzicht auf Holzkohle aus tropischen Wäldern
https://www.dw.com/de/klimakiller-holzkohle/av-50153982
– Verzicht auf Pelz und Pelzbesatz (Boykott von Kleidungsproduzenten, die Echtpelz verwenden)
– nachhaltiger und weniger konsumieren
– Klimaschutz und Umweltschutz unterstützen
– anderen Menschen davon erzählen und sie inspirieren, das gleiche zu tun
– eine Partei wählen, die Klimaschutz und Ökoschutz voranbringt
Was unser Staat und die EU tun müssen:
– Klimaschutz- und Umweltschutz-Ziele endlich umsetzen
– Biodiversität und Klimaschutz als überlebensnotwendig begreifen
– Landwirtschaft reformieren
– Subventionen für klima- und umweltschädliche Produktionen von Lebensmitteln, Treibstoff, etc. umschichten in klima- und umweltschützende Produktionen
– global verantwortungsbewusst handeln, um – auch – EU-Bürger zu schützen – durch internationale Zusammenarbeit und Organisationen wie etwa die WHO
– eine positive Transformation anstoßen und unterstützen
Warum sich das letzten Endes für alle lohnen würde, ist weiter oben ausführlich beschrieben.
Zum Weiterlesen
Im Juni hatte Bild der Wissenschaft das Titelthema „Mensch gegen Virus“ mit gleich vier Artikeln zu Covid 19. Ich hatte davon einen geschrieben und dafür intensiv recherchiert und mehrere Interviews geführt, u. a. mit PD Dr. Christian Voigt und PD Dr. Fabian Leendertz vom RKI.
Bild der Wissenschaft (Juni 2020): „Der Ursprung der Pandemie“ – Bettina Wurche
Leider nicht online. Das Heft kann man kaufen oder einer Bibliothek leihen.
Spektrum (17.03.2020): Die Frau, die Coronaviren jagt – Jane Qiu
Die anderen Quellen sind im Text verlinkt.
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