Die grauen Riesen der Meere sind extreme Tieftaucher und verbringen nahezu die Hälfte ihres Lebens in unter 500 Metern Tiefe. In der Dunkelheit kommunizieren sie und orientieren sich akustisch, ihre Welt ist eine Welt des Hörens und Gehört Werdens. Die gesamte Jagd und Nahrungsaufnahme finden in der Tiefe der Ozeane fernab menschlicher Beobachter statt, darum gab es zum Jagd- und Fressverhalten des Pottwals über Jahrhunderte hinweg nur Mutmaßungen und Hypothesen. Neue Technologien ermöglichen es Walforschern nun, die gängigen Erklärungsansätze experimentell auf den Prüfstand zu stellen, wie Andrea Fais, Mark Johnson und Peer Madsen mit ihrer ausgezeichneten Publikation „Sperm whale predatory-prey interactions involve chasing and buzzing, but no acoustig stunning“ (A. Fais, M. Johnson, M. Wilson, N. Aguilar Soto& P. T. Madsen; Scientific Reports 6, (2016), doi:10.1038/srep28562).
(Dieser Beitrag stammt von 2016 – ist aber immer noch aktuell. Und, wie ich finde, lesenswert)
Wie jagen Pottwale?
Ein erwachsener Pottwalbulle hat einen enormen Appetit und vertilgt täglich ein großes Seafood-Menu. Wieviel so ein Wal genau frisst, ist schwierig zu schätzen – Gaskin et al hatten Mageninhalte von 105 Exemplaren analysiert und aufgrund der Kalmar- und Fischreste Magenfüllungen von 12.70 bis zu 105 Kilogramm errechnet („DIET AND FEEDING HABITS OF THE SPERM WHALE (PHYSETER CATODON L.) IN THE COOKSTRAIT REGION OF NEW ZEALAND D. E. GASKIN*, M. W. CAWTHORN†; 1966).
Der größte Teil davon sind Tintenfische, vor allem mittelgroße Kalmare mit etwa 50 Zentimeter langem Mantel und 1 bis 3 Kilogramm Gewicht, vor allem aus dem Meso- bzw. Benthopelagial, also aus Meeresschichten zwischen 200 und 1000 Metern Tiefe und dem Bereich über dem Meeresboden. Übrigens sind 70 bis 80 % der gefressenen Tintenfische eher langsame Schwimmer mit hohem Ammoniak-Gehalt, der Rest sind schnellere Kalmare, Fische und gelegentlich ein Hai. Manchmal fressen die Wale auch sehr große Weichtiere wie Riesenkalmare oder Kolosskalmare, oder sehr kleine Fische wie Sardinen. Die Pottwal-Bullen vor den Vesteralen (Nord-Norwegen) schnappen sich gern Rotbarsch, der dort reichlich vorkommt, oder den Köderkalmar Gonatus fabricii. Das Nahrungsspektrum hängt also vom regionalen und saisonalen Nahrungsangebot ab.
Kalmare sind selbst schnelle Jäger mit leistungsstarken Sinnesorganen. Wie ist es möglich, dass sie den so langsam und behäbig anmutenden Leviathanen zum Opfer fallen?
Da diese Pottwal-Kalmar-Verfolgungsjagden und das Fressen in der Tiefe des Meeres stattfinden, sind sie unmöglich direkt zu beobachten. Filmaufnahmen aus dieser Tiefe mit Pottwalen sind absolute Raritäten. In der lichtlosen Tiefe jagen die Pottwale nicht auf Sicht, sondern nutzen zum Finden und Überwältigen ihrer Beute ihr Sonar, geben also akustische Signale ab und erstellen aus deren Reflexionen ein akustisches Bild. Diese Echoortung der Wale können Forscher heute verfolgen. Zur Rekonstruktion des Pottwal-Treibens haben sie zusätzlich Erkenntnisse aus der Schnabelwal-Jagd mit einbezogen, die ebenfalls in großer Tiefe meistens Kalmare jagen.
Der technische Fortschritt ermöglicht immer bessere Sender mit höherer Aufnahmekapazität, besserer Auflösung und insgesamt höherer Leistung zu immer geringeren Preisen. In der Bioakustik-Forschung führt dieser technische Fortschritt zu besseren Ergebnissen und ermöglicht auch die Bearbeitung neuer Fragestellungen wie die Produktion der Klicks bei Pottwalen, die akustischen Eigenschaften ihrer Klicks, das Echolokations-Verhalten und ihre Bewegungen während der Jagd. Peer Madsen ist ein ausgewiesener Pottwal-Akustik-Experte und hat schon viele spektakuläre Forschungsergebnisse veröffentlicht. Er war also genau der richtige Betreuer dieser Pottwal-Arbeit.
Hypothesen auf dem Prüfstand
Es gibt einige Hypothesen, wie Pottwale ihre Beute aufnehmen und noch viele ungeklärte Details. Darum haben sich Andrea Fais et al daran gemacht, diese Details zu überprüfen: Mit einer kleinskaligen Untersuchung der Lautäußerungen jagender Pottwale und dem simultanen Abgleich, wie Wal und Kalmar sich im dreidimensionalen Raum zueinander bewegen.
Dazu haben sie die Wale mit digitalen Sendern (wie Dtags aussehen und funktionieren ist hier auführlich beschrieben) versehen, die sowohl akustische als auch Bewegungs-Daten in hoher Auflösung aufnehmen. Die Sender haben sie mit vier Saugnäpfen am Walkopf befestigt. Jeder Dtag-Sender beinhaltet einen 3-Achsen-Beschleunigungmesser, ein 3-Achsen-Magnetometer sowie einen Drucksensor und sendet 50-mal pro Minute.
Sechs Wale haben diese Sender bei insgesamt 82 Jagd-Tauchgängen mit in die Tiefe genommen und zusammen 66 Stunden lang Daten gesammelt. Drei der Tiere leben vor der US-Ostküste, die anderen drei vor der nordnorwegischen Küste. Die „Amerikaner“ – erwachsene Weibchen oder halbwüchsige Männchen – hatten Tauchgänge von durchschnittlich 38 Minuten, die „Norweger“ – erwachsene Männchen – tauchten zwischen 26 und 38 Minuten ab. Die dabei ermittelten Daten haben die bisherigen Hypothesen zur Pottwal-Jagd fast überwiegend widerlegt.
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