Gläserner Wal

#XMasOrnament #Wal – da ich kein Meerotter-XMASOrnament habe, muss es noch einmal ein Wal tun

Pazifische Seeotter (Enhydra) sind die Hochseeform unserer einheimischen Fischotter (Lutra lutra). Sie sind erheblich größer und haben wesentlich stärkere Schwimmanpassungen: die Köpfe wirken schon wegen der kleineren Ohren viel rundlicher. Die Vorderpfoten sind klein, die Hinterbeine setzen weiter hinten am Körper an und haben große Hinterpfoten, deren Zehen mit Schwimmhäuten verbunden sind. Der beim Seeotter runde und zum Ende hin spitz auslaufende Schwanz ist beim Meerotter abgeflacht und nicht spitz zulaufend. Dadurch ähnelt der Meerotter in seinen Bewegungsabläufen an Land und im Wasser schon eher an Ohrenrobben wie Seelöwen, eine konvergente Entwicklung der beiden ins Wasser zurückgegangen Carnivoren.
Otter gehören zu den Marderartigen (Mustelidae), die eine Gruppe der Fissipedia sind – Landraubtiere. Robben hingegen sind Pinnipedia, Flossenfüßer – die voll aquatische Gruppe der Carnivoren. Allerdings halten Robben sich mit ihrer Fettschicht im kalten Wasser warm, während Otter keine Fettschicht ansetzen, sondern ein extrem dichtes Fell haben – dafür sind sie erbarmungslos gejagt worden.
Vor der US-Küste leben zwei Arten: vor Kalifornien der Südliche Seeotter, der bis zu 1,20 Meter lang und 23 Kilogramm schwer wird, und weiter im Norden der noch größere Nördliche Seeotter.
Ursprünglich lebten hier etwa 16.000 Otter, im 17. und 18. Jahrhundert wurden sie für ihren wertvollen Pelz bis an den Rand der Ausrottung bejagt. Seit ihrer radikalen Unterschutzstellung ab 1911 und noch strenger durch den Endangered Species Act 1977 haben sich die Bestände nun nach Jahrzehnten der Schutzbemühungen langsam erholt. Mittlerweile gibt es wieder etwa 3000 Tiere.

Seeotter

Seeotter (Enhydra lutris) Mutter mit zu versorgenden Jungtier, aufgenommen am Hafen von Morro Bay. Weibliche Seeotter besitzen zwei Brustwarzen am Unterleib und schwimmen daher auf dem Rücken um den Nachwuchs zu versorgen. (Wikipedia: Seeotter; CC “Mike” Michael L. Baird)

Im kalifornischen Monterey Bay habe ich sie zu meinem Entzücken direkt vom Strand aus beobachten können, sie tauchten nach Seafood oder dümpelten in der Pazifik-Dünung, sicher verankert mit etwas Kelp.
Enhydra lutris, so sein wissenschaftlicher Name, schützt die artenreichen Ökosysteme wie den Kelpwald – indem er Seeigel mampft („Munching on urchins“), die sonst den Kelp anfressen würden – und Seegraswiesen, indem er Krabben knackt.
Jeder hat das fusselige, herumtollende Küsten-Maskottchen – „fuzzy, frolicking mascots of the Central Coast“ – mit seinem nach menschlichen Vorstellungen possierlichen Verhalten gern. Manche haben ihn sogar zum Fressen gern.

Große Weiße Haie beißen Otter
So ein Otter braucht einen Lebensraum mit viel Nahrung, wie sie etwa in den Kelpwäldern vor Monterey Bay oder der Feldküste von Big Sur zu finden ist – Krebse, Muscheln und Seeigel. Jetzt wird der Otterbestand für diese geschützten Bereiche aber zu groß. Auch weiter nördlich in Richtung San Francisco ist die Küste noch ideales Otter-Habitat.
In den letzten Jahren haben Biologen zunehmend Meerotter mit schweren Bißwunden gefunden: Carcharias carcharodon hatte sich ein Häppchen genehmigt.
Meerotter sind zwar gute Schwimmer und Taucher, aber einem so großen Hai sind sie wehrlos ausgeliefert. Sowie sich die Meeressäuger nordwärts über den Pigeon Point hinaus trauen, geraten sie in die Jagdreviere der Großen Weißen Haie, erklären Meersbiologen vom Monterey Bay Aquarium (eine wichtige Adresse im Otterschutz).

Eigentlich stehen Otter gar nicht auf der den Speiseplan der Großen Weißen Haie. Die  Knorpelfische brauchen nämlich kalorienreiche Nahrung wie die Robben mit ihrer dicken Fettschicht. Viele der Bisse sahen so aus, als ob der Hai einfach einmal probieren wollte. Und nachdem er das Maul voll Fell hatte, statt einer Fettschicht, wieder von dieser Beute abließ. Leider waren auch diese Probierbisse für die Otter meistens tödlich.
So hatten Jerry Moxley vom Monterey Bay Aquarium und seine Kollegen auf die Suche nach dem Grund der zunehmenden Anzahl von Haiangriffen auf Otter gemacht: wo und wann fanden diese Angriffe statt?

Dazu analysierten sie alle bekannten Daten von denen mit Sendern ausgestatteten Carcharias-Exemplaren über die verschiedenen Robbenarten – Seehunde, Seelöwen und sogar See-Elefanten – und natürlich die Otter: Die meisten Haiangriffe fanden im Sommer statt, und es traf vor allem junge Tiere und Männchen.
Im Sommer bekommen die Robben ihre Jungen, in dieser Zeit patrouillieren die Großen Weißen Haie sehr nahe der Küste, immer auf der Suche nach einer leckeren, einfach zu schnappenden Mahlzeit wie einem ungeschickten Robbenjungen.
Junge Otter und Männchen haben einen stärkeren Trieb zur Exploration, sie machen sich eher auf die Suche nach neuen Nahrungsgründen und erkunden weitere Areale außerhalb ihres bekannten Habitats. Dabei geraten sie aus ihrem geschützten Lebensraum nahe Monterey Bay schnell in die Jagdgründe der Großen Weißen Haie.

Wegen der steigenden Otterpopulation kommen solche Explorationen jetzt häufiger vor. Nahe der Felsküsten Kaliforniens sind sehr gute Otterlebensräume, wo sie auch vor Haien ausreicht geschützt wären. Das Problem ist nur, dass der Weg dorthin durch das Hai-Jagdrevier führt.

Darum überlegen einige Wissenschaftler mittlerweile, einige Otter einfach in neue Habitate einzusetzen, etwa in der Bucht von San Francisco. Dieser Bereich ist frei von Großen Weißen Haien und bietet reichlich Nahrung – ein guter Otter-Lebensraum. Bis vor 200 Jahren lebten sie in dieser Bay, bis sie ausgerotten wurden. Nur die örtlichen Fischer könnten von der Otter-Rückkehr weniger begeistert sein und die gefräßige Konkurrenz für die Krabben Abalones (Seeohr) und Muscheln (Clam) nicht willkommen heißen.

Diese konkurrierenden Interessen sind ein typischer Konfliktfall des Naturschutzes: Eine geschützte Art frißt eine andere, ebenfalls geschützte Art, zusätzlich wird es kompliziert durch Fischereiinteressen. Ich bin gespannt, wie die Lösung aussehen wird. Vielleicht können die Biologen die Fischer vom Nutzen der Otter überzeugen?

Die Rückkehr der Meerotter in der San Francisco Bay nach 200 Jahren könnte nämlich für einen steigenden Fischbestand sorgen: Die Meeressäuger fressen Krabben, die wiederum Meeresschnecken fressen, die Algen vom Seegras raspeln. Wenn die Anzahl der Krabben sinkt, steigt die Schnecken-Population, die wiederum das Seegras frei von Algen halten. Das würde zu einer Blüte des Seegrases (Eelgrass) führen, in dem sich Jungfische gern verstecken. So würden Meerotter die Kinderstuben auch von begehrten Speisefischen schützen. Allerdings sind Ökosystem-Funktionen oft komplexer als solche Kausalketten. Die Wissenschaftler würden jedenfalls zu gern beobachten, wie sich die Rückkehr eines Top-Prädatoren in der San Francisco-Bucht auswirken würde.
Damit sind Otter, typisch für Top-Prädatoren und Megafauna, eine Schlüsselart, die für ein spezifisches Ökosystem maßgeblich ist.

Seeotter knabbert an Stierkopfhai (Twitter)

Otter fressen Haie
Manchmal funktioniert die Nahrungskette aber auch anders herum und ein Pazifischer Meerotter greift sich einen Hai – diese Bilder hatte die Otterschutz-Seite Sea Otter Savy getwittert (ein Besuch der Seite lohnt sich wegen der herrlichen Bilder sehr!)
Den Zwischenfall hatten Don Henderson und Alice Cahill im November 2020 in der kalifornischen Morro Bay beobachtet – ein Otter knabberte an einem Stierkopfhai. Nach Aussage des Otter-Experten Michael D. Harris vom California Department of Fish and Wildlife ist das noch nie zuvor beobachtet worden – die südlichen Meerotter fressen normalerweise keine Fische und schon gar keinen Hai!
Allerdings soll der Meeressäuger den kleinen Hai dann nicht gefressen haben. Ob er das Haichen selbst gefangen oder einen Kadaver gefunden hatte, ist ebenfalls nicht bekannt.
Stierkopfhaie sind kleine Grundbewohner, und nach menschlicher Auffassung harmlos. Auch wenn die Muscheln und Krabben im Meer anderer Meinung sein dürften.

Die Beobachtung “Otter knabbert an Hai” hatte dann der italienische Palaeo-Art-Künstler Hodari Nundu umgesetzt, allerdings mit einem wesentlich größeren Otter: Dem fossil auf Sardinien gefundenen Megalenhydris. Das Pleistozän hatte eine Fülle faszinierender Megafauna (wie kürzlich am Pleistocene Park-Projekt diskutiert) dies trifft auch auf die Insel Sardinien zu.
Er präsentiert seine Werke auf DeviantArt, hier ist der Riesenotter Megalenhydris beim Snacken eines Hammerhais.

Megalenhydris barbaricina (Willemsen & Malatesta (1987)) ist unvollständig fossil überliefert, vor allem Teile des massiv gebauten Schädels, der kräftigen Zähne aber auch einige Teile der Extremitäten sind erhalten. Daraus lässt sich durch Vergleiche mit heute lebenden Ottern wie dem Brasilianischen Riesenotter Pteronura (heute bis 1,60 Meter lang, einst bis zu 2,40 Metern (Carter & Rosas 1997)) abschätzen, dass der pleistozäne Otter noch größer gewesen sein muss. Mehr Information über den Sardinien-Riesenotter bietet der ausgezeichnete ScienceBlog Tetrapod Zoology.

Die Größe des pleistozänen Meeresjägers hat der Palaeo-Art-Künstler mit dem Verspeisen eines Hammerhais gleichgesetzt.
Ottern können also auch anders! Jedenfalls im Pleistozän.
Fehlt bloß noch, dass jetzt irgendwo noch ein pleistozäner Säbelzahn-Otter auftaucht.

Otter haben wilden Sex
Otter gehören zu den wenigen Säugetieren, die sich im Wasser paaren, da smachen nicht mal die besser angepaßten Robben. Zwergotter im örtlichen Zoo haben uns da mal eine atemberaubende Sondervorstellung geboten. So eine zielgenaue Angelegenheit wie eine innere Befruchtung ist freischwimmend im Wasser nicht ganz einfach hinzubekommen. Darum beißen Ottermännchen ihre Auserwählten durchaus auch in die Nase, um sie festzuhalten. Je nach Rabiatheit und Geschicktheit des aquatischen Romeos sieht so eine Otterdame nach der Begattung recht lädiert aussehen.
Ottermännchen haben übrigens, wie auch Robben und alle anderen Mitglieder der Carnivora-Verwandtschaft, ein ausgeprägtes Bakulum (Baculum, Penisknochen). Dazu gibt es morgen einen weiteren Artikel – am Beispiel des Walrosses.

 

 

Kommentare (6)

  1. #1 RPGNo1
    17. Dezember 2020

    Viele der Bisse sahen so aus, als ob der Hai einfach einmal probieren wollte.

    Das erinnert mich an die Hypothesen, warum es zu Haiattacken auf Schwimmer oder Surfer kommt. Die Haie wollen probieren bzw. verwechseln die Menschen mit Robben und lassen deswegen nach dem Angriff meist wieder ab, wenn sie ihren Irrtum erkennen.

  2. #2 RPGNo1
    17. Dezember 2020

    @Bettina Wurche

    Die Größe des pleistozänen Meeresjägers hat der Palaeo-Art-Künstler mit dem Verspeisen eines Hammerhais gleichgesetzt.

    Ist dieses Bild eventuell im Netz verfügbar? Ich würde es mir zu gerne ansehen.

  3. #3 Bettina Wurche
    17. Dezember 2020

    @RPGNo1: Genau!

  4. #4 Bettina Wurche
    17. Dezember 2020

    @RPGNo1: Ich habe es nur auf Twitter gefunden: https://twitter.com/hodarinundu/status/133213907073081753
    Hodari Nundu lädt seine Werke auf DeviantArt hoch:
    https://www.deviantart.com/hodarinundu
    Dort ist auch die Megalenhydris-Szene zu sehen:
    https://www.deviantart.com/hodarinundu/art/Megalenhydris-862364715
    Ich ergänze das am besten Mal.

  5. #5 RPGNo1
    17. Dezember 2020

    @Bettina Wurche

    Danke für die Links. Ich werde mal reinschauen.

  6. #6 rolak
    17. Dezember 2020

    Meerotter

    Mehr Otter finden einige ziemlich gut!

    ~·~
    Yoi, wat ene Schwellkopp. Erinnert an zig Kinderbuch-Illustrationen… Allerdings gibts die offensichtlich durchaus auch in recht realistisch gestaltet.