“Was machen Bärtierchen eigentlich im Winter?” – wurde ich neulich beim Frühstück gefragt. Da ich als Zoologin und Wissenschaftserklärbär immer im Einsatz bin, hatte ich natürlich sofort die Antwort parat: “Sie bekommen acht kalte Füße!”. Das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit.
Bärtierchen (Tardigrada) sind wirbellose Winzlinge, die es gern feucht haben: ob Moos, See oder Ozean. Darum werden sie auch Moosbärchen genannt. Solange es feucht und angenehm temperiert ist und sie genug Nahrung finden, gehen oder schwimmen sie langsam und bedächtlich ihrer kleinen Wege. Acht Beine mit winzigen Krallen, eine Mundöffnung mit Stiletten zum Anstechen von Pflanzenzellen und ein Äußeres, das entfernt an ein Gummibärchen mit einem zusätzlichen Beinpaar erinnert – so überleben Bärtierchen seit dem Erdaltertum, soweit reicht ihr Fossilbefund zurück.
Die unscheinbaren kleinen Tiere haben allerdings Superkräfte und sind echte Überlebenskünstler. Sie können austrocknen, einfrieren, bestrahlt werden und sogar in der Schwerelosigkeit des Weltraum überleben, darum sind sie sehr erfolgreiche (unfreiwillige) Astronauten. Seit 2019 sind sie sogar Lunanauten geworden, ebenfalls unfreiwillig, beim Absturz einer privaten Mondsonde. Ob sie den Absturz überlebt haben, gilt unter Experten als zweifelhaft.
Bärtierchen können in ganz unterschiedliche Resistenzstadien fallen und so auch unter eigentlich lebensfeindlichen Bedingungen überleben, sich danach oft sogar noch fortpflanzen.
Die Anpassung an extreme Kälte heißt Kryobiose. Ein todesnaher Zustand, in dem keine Stoffwechselaktivität mehr nachweisbar ist.
Bei einem langsamen Abfall der Temperatur stellt der Stoffwechsels sich allmählich um, die Enzymaktivität wird zurückgefahren, stattdessen werden tieftemperaturaktive Katalysatoren wirksam. Zu solchen biologischen Frostschutzmitteln zählen etwa Zucker wie Trehalose. Besonders wichtig ist beim Frostschutz der sensiblen Gewebe, dass das darin enthaltene Wasser nicht gefrieren kann. das darum ersetzt wird: “Besonders in der extrazellulären Körperflüssigkeit wird durch bislang unidentifizierte mittelschwere Moleküle, die als Gefrierkeime wirken, ein kontrolliertes Wachstum von Eiskristallen angeregt, die durch Antigefrierproteine bei geringer Größe stabilisiert werden.”
Damit können Bärtierchen auch erhebliche Minusgrade übersteehn und in polaren Regionen leben.
1983 hatten Forscher Moos in der Antarktis gesammelt, in dem u. a. auch zwei antarktische Bärtierchen (Acutuncus antarcticus) und ein Bärtierchen-Ei gereist waren. Das Moos war bei – 20°C aufbewahrt worden. Die japanische Biologin Megumu Tsujimoto hatte dieses Moos 2016 aufgetaut. “Sleeping Beauty” eins und zwei – so die Namen der Biologen für ihre Probanden – erwachten in einer gläsernen Petrischale aus ihrem langen Winterschlaf. Regten sie zunächst ein einzelnens Stummelbeinchen, liefen sie nach einer Woche schon wieder munter umher und begannen, Algen zu futtern. “Sleeping Beauty” zwei verstarb leider, ohne sich fortzupflanzen. “Sleeping Beauty” eins hingegen legte nach drei Wochen drei unbefruchtete Eier und danach noch mehr. Aus den meisten der insgesamt 19 Eier schlüpfte ebenfalls Nachwuchs. Auch aus dem gefrorenen Ei aus dem antarktischen Moos schlüpfte ein achtbeiniges Geschöpf und vermehrte sich ebenfalls.
Ob die Bärtierchen im Winter wirklich kalte Füße haben, ist bislang nicht sicher nachgewiesen. Es scheint sie zumindest nicht sehr zu stören, denn sowohl im antarktischen Moss als auch im antarktischen Ozean scheinen sie sich wohlzufühlen und gut zu vermehren.
Ihre extreme Robustheit und die Eigenschaften, etwa im gefrorenen Zustand ihre Zellen und Organe gegen das Gefrieren zu schützen macht sie jedenfalls zu begehrten Labortieren. Solche Eigenschaften sind extrem wichtig in der Medizin, etwa für Organspenden.
Sind Bärtierchen Aliens?
Aufgrund ihrer extremen Robustheit und der fast überirdischen Überlebensfähigkeiten kommen immer mal wieder Vermutungen auf, dass die kleinen Moosbärchen außerirdische Lebensformen sein könnten.
Dieses Gerücht erhielt 2015 mal wieder Aufwind: „Das Genom der Tardigraden ist sequenziert worden – es hat den höchsten Anteil an fremder DNA, der je bei einem Tier gefunden wurde“ lautete eine Schlagzeile. Sowie das Wort “Alien” irgendwo erscheint, werde ich immer extrem skeptisch, schließlich generiert man damit extrem zuverlässig Aufmerksamkeit und Seitenaufrufe. Eine Forschergruppe hatte extrem viel fremde DNA in einem allbekannten Labororganismus, dem Tardigraden Hypsibius dujardini gefunden.
in diesem Fall war mit “Alien” einfach nur Fremd-DNA gemeint, die durch einen horizontalen Gentransfer aus einem anderen Organismus in das Bärtierchen-Genom gekommen sein soll.
“Alien” bedeutet wortgemäß nur “fremdartig”. Allerdings hat sich dieser Begriff auch für außerirdisches Leben etabliert, so dass diese außerirdische Assoziation oft zumindest mitschwingt.
Letztendlich kam in diesem Fall heraus, dass es keinen so umfassenden horizontalen Gentransfer gegeben hatte, sondern das untersuchte genetische Material wahrscheinlich im Labor verunreinigt worden war. Wer mehr darüber lesen möchte, wird hier fündig: “Tardigrada Mythbusters: Haben Bärtierchen extrem viel fremde DNA? Oder war es Labor-Schlamperei?”
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