Seepferdchen

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Das Oktopusse sehr intelligent sind, ist nichts Neues. Weniger bekannt ist, dass sie gemeinsam mit Fischen kollaborative Jagdgemeinschaften bilden. Die intelligenten Kraken versetzen ihren Fischpartnern dabei allerdings regelmäßig Boxhiebe – aus Bosheit oder als disziplinarische Maßnahme?

Der portugiesische Biologe Eduardo Sampaio (Universität von Lissabon) hat mit seiner Arbeitsgruppe im Roten Meer solche submarinen Jagdgesellschaften beobachtet, die Ergebnisse sind gerade in der Zeitschrift Ecology erschienen.

In den Korallengärten des angenehm temperierten Roten Meeres jagen oft Fische verschiedener Arten gemeinsam, manchmal sind auch Oktopusse mit von der Partie. Die gemeinsame, artübergreifende Hatz kann ein größeres Areal mit verschiedenen ökologischen Nischen abdecken.

Zackenbarsche und Muränen sind ein richtiges Erfolgsduo: der große Zackenbarsch deckt dabei das Freiwasser ab und die aalförmige Muräne schlängelt bis in kleinste Felsspalten hinein. So haben sie gemeinsam einen insgesamt größeren Jagderfolg – Mutualismus nennen Verhaltensbiologen diesen gegenseitigen Nutzen.
So eine Interspezies-Kooperation bedingt, dass beides Arten eine gemeinsame „Sprache“, finden, sie müssen ihre Absicht über die Artgrenzen hinweg kommunizieren.

Solche kollaborativen Jagdgruppen gibt es sogar zwischen so verschiedenen Tiergruppen wie Fischen und Tintenfischen. Dass Oktopusse gemeinsam mit Zackenbarschen und verschiedenen anderen Riff-Fischen Jagdgemeinschaft bilden, ist schon seit den 80er und 90er Jahren bekannt, Sampaio et al zitieren gleich eine ganze Reihe von verhaltensbiologischen Arbeiten.
Eine solche Jagd kann über eine Stunde dauern. Der Oktopus übernimmt dabei den Job, mit seinen beweglichen Armen der Beute bis in kleinste Spalten hinein zu folgen (wie die Muräne auch), während einige Fischarten den Meeresboden auf einem größeren Areal absuchen und andere in der Wassersäule Nahrung aufspüren.
Der Krake spielt dabei offenbar eine zentrale Rolle. Einige der Fisch-Partner sind offenbar eher Profiteure und begnügen sich mit den Resten. Andere Fische wie Zackenbarsche verwenden spezielle Gesten (Referenz-Gesten), um dem Kraken zu signalisieren, in welchen Felsspalten sich Beute versteckt. Zackenbarsche zeigen die gleichen Gesten auch gegenüber Muränen, die wie Oktopusse bis tief in Felsspalten hineinkommen. Referenz-Gesten dienen dazu, ein anderes Individuum auf etwas aufmerksam zu machen, sie gelten als die Basis der Sprachbildung. Zunächst nur Primaten, später auch Vögeln zugeschrieben, sind sie mittlerweile auch bei Fischen nachgewiesen.

Aufgrund der unterschiedlichen Aufgabenverteilung (asymmetrische Aufgabenverteilung) kommt es bei heterogenen Gruppen aus mehreren Arten zu Konflikten zur gerechten Verteilung der Beute. In so komplexen sozialen Netzwerken wird die Kooperation über Partner-Kontrollmechanismen sichergestellt, die die Ausbeutung einzelner verhindern sollen. Genau solche Kontrollmechanismen haben Sampaio und sein Team offenbar mehrfach beobachtet: verschiedene Kraken zeigt immer wieder die gleiche Verhaltensweise gegenüber verschiedenen Fischen – ein harter Boxhieb auf die Kiemen.

Ganz offensichtlich geben bei so einer Multispezies-Jagdgemeinschaft die Kraken den Ton an und disziplinieren ihre Fisch-Partner. Dabei schlagen die Kopffüßer mit einem Arm auf den Fisch ein, um ihn zu positionieren, am Fressen der Beute zu hindern oder ihn vollständig von der Suche abzuhalten. Die Biologen beschreiben die Bewegung als „schnelle, explosive Bewegung mit einem Arm“ – der englische Begriff Punching kann mit „Boxhieb“ übersetzt werden.

Im Video ist zu sehen, wie ein Tintenfisch einen Fisch direkt auf die Kiemen schlägt:

Dies ist nicht das Original-Video, sondern zeigt einen an der Studie nicht beteiligten Oktopus, der das gleiche Benehmen vorführt.

Hier sind die Original-Videos aus der Publikation:

– Video S1
– Video S2
Video S3

(Danke an Eduardo Sampaio!).

Verschiedene Kraken haben an verschiedenen Orten gegenüber verschiedenen Fischen dieses Verhalten gezeigt – kraftvolle Boxhiebe, die die Fische regelrecht umwerfen. Gerade auf dem Kiemendeckel dürfte das weh getan haben.

In manchen Fällen gehörte der Krake offenbar nicht zur Jagdgruppe, sondern boxte einfach seine Nahrungskonkurrenten um den gleichen angepeilten Leckerbissen weg. In anderen Situationen, wo der Oktopus mit den Fischen zusammenarbeitete, schlug er offenbar seine Fisch-Partner, um selbst Zugang zur Beute zu bekommen. Die Fische dürften sich dieses Verhalten gemerkt und die Kooperation mit diesem Kraken sicherlich nicht fortgesetzt haben, meinen die Biologen.

In einigen anderen Fällen boxte der Krake seine Fisch-Partner, ohne ihnen direkt die Beute wegzuschnappen. Aber: Wenn er keinen direkten Vorteil davon hatte, was könnte dann der Grund für den Hieb gewesen sein?
Für dieses Verhalten sehen die Verhaltensbiologen zwei mögliche Erklärungsansätze:

  • Der Krake könnte den Fisch einfach aus reiner Bosheit geboxt haben.
  • Der Krake plante mit seiner Aggression einen verzögertem Nutzen: Etwa als Bestrafung für schlechtes Benehmen bei der Jagd. Dabei hätte die Bestrafung des Fisches dann den Jagderfolg der Gruppe insgesamt gefördert.

Zumindest bei Säugetieren führt bei freiwilligen Kooperationen eine Bestrafung eher nicht zum gewünschte Verhalten, sondern meist zum Abbruch der Kooperation. Ob bei Fischen das Bestrafen schlechten Verhaltens für den letztendlich größerem Jagderfolg zu einer positiven Verhaltensänderung führen kann? Anhaltspunkte dafür gibt es. Allerdings würden die Wissenschaftler das gerne in weiteren Beobachtungen und Studien untersuchen. Für den endgültigen Nachweis wären noch detailliertere Analysen der längerfristigen Wechselwirkungen bei kooperativen Verhaltensweisen individueller Kraken und Fische nötig.

Wie auch immer das ausgeht: Fisch sollte sich nicht mit Oktopussen ums Essen balgen. Der intelligente Kopffüßer ist einfach zu schlagkräftig.

Quelle:
Eduardo SampaioMartim Costa SecoRui RosaSimon Gingins: “Octopuses punch fishes during collaborative interspecific hunting events” (Ecology; 2020 Dec 18; e03266. DOI: 10.1002/ecy.3266 )

Kommentare (8)

  1. #1 rolak
    22. Dezember 2020

    aalförmig

    Eindeutig (ordnungshalber), und auch in Größe/Gewicht zumeist den hiesigen Aalen (~1m, ~4kg) entsprechend. Was mir allerdings erst sehr spät klar wurde (erfreulicherweise aus irgendner Doku und nicht in einer direkten Begnung) sind die Ausmaße der größeren Arten der Familie, zB die Grüne mit bis zu gut 2m und lässigen 30kg… Wer bereits mal mit einem mittelgroßen Erftaal gerungen hat, wird da sehr rechtzeitig das Weite suchen.

    kann mit „Boxhieb“ übersetzt werden

    Auf jeden Fall! Eine klassische rechte bzw oberste-rechte Gerade, Oktopus-angemessen in abgerollt ausgeführt. Besonders auffällig ist mir allerdings die Kombi nach vorne jagen und nach hinten, jedenfalls deutlich außerhalb des vermuteten Beobachtungskegels, aufzupassen. Allerdings schafft, der standbildnahen Zeitlupe nach, das Opfer es in einer mindestens so geschickten AusweichWende, daß ihm der Hieb am -äh- an der Heckflosse vorbeigeht.

    ~·~
    Die Einstellung zu Glitzer entwickelte sich über die Jahre mehr oder weniger stetig Richtung Positiv – wenn auch bisher nie auch nur in die Nähe von ‘enthusiastisch’ kommend.
    Schön schräg, bei sich eine Änderung zu beobachten, zu der man eigentlich nichts beigetragen hat und zu der auch sonst keine rationale Erklärung auf der Hand naheliegt.

    Aber was ich eigentlich fragen wollte: Ist das im Bild nur BlitzReflektion oder funkelt das Pferdchen auch beim Schwanken in der Dünung, nee, im KerzenAufwind oä?

  2. #2 Bettina Wurche
    22. Dezember 2020

    @rolak: Muränen können richtig groß werden. Der kleine Kopf täuscht gewaltig, dem folgt manchmal überraschen viel Rest-Muräne.
    Das Seepferdchen hat keinen Glitzer am Schwanz, das ist ein Ausleuchtungs-Artefakt.
    Bei was für einer Gelegenheit hast Du denn mit einem Aal gerungen?

  3. #3 rolak
    22. Dezember 2020

    Gelegenheit?

    Ach, so vor ziemlich genau nem halben Jhdt hat mich mal wer zum Aalfangen mit an die Erft genommen, Technik ähnlich dem da. Nur ‘ähnlich’ schon deswegen, weil das dortige ‘zielgenau’ in unserem Falle nicht zu-, statt dessen ein nicht ganz so verbissenes Exemplar mich traf. Auch sonst ziemlich unappetitlich und deswegen exakt keinmal wiederholt.

    Ausleuchtungs-Artefakt

    Find ich jetzt fast schon schade ;•)

  4. #4 Omnivor
    Am 'Nordpol' von NRW
    22. Dezember 2020

    Der Barsche sind hoffentlich auf Zack, sonst kommen sie noch auf den Hund.

  5. #5 RPGNo1
    23. Dezember 2020

    Dieser Tweet passt zum Thema:

    https://twitter.com/EvoSarah/status/1341126706082553860

    Genial 🙂

  6. #6 Bettina Wurche
    23. Dezember 2020

    @RPGNo1: DAS ist ja ein tolle Account! Wow! Nächstes Jahr will ich das Projekt Künstlerbücher angehen, habe in diesem Sommer schon Algen u. a. dafür gesammelt. Das Kopffüßer und Haeckel-Thema ist natürlich schon eine ganz andere Gewichtsklasse!

  7. #7 Axel Steinbacher
    23. Dezember 2020

    Passend zur Vorweihnachtszeit möchte ich einfach Ihnen, Frau Wucher, ganz herzlichen Dank für Ihre sehr informativen und humorvollen Beiträge danken. Bitte weitermachen!

  8. #8 Bettina Wurche
    24. Dezember 2020

    @Axel Steinbacher: Danke, das freut mich sehr! Ja, ich wollte in dieser Zeit, in der bei so vielen Menschne mittlerweile die Nerven etwas blank liegen, einfach mal eine positive Abwechslung zu bieten. Da bot sich dieser Adventskalender an. Außerdem wollte ich bei dieser Gelegenheit mal mit meiner Weihnachtsschmuck-Sammlung angeben : ) Außerdem haben mir die Plaudereien mit den KommentatorInnen hier auch wirklich gut getan, schließlich vermisse auch ich meine sozialen Kontakte.