Die weite Wanderung der Aale in die Sargasso-See
Aber wie ging es mit den ausgewachsenen Fischen weiter, die ins Meer hinausgezogen – wo und wann vermehren sie sich und wo starben sie?
1904 beschloß der junge dänische Biologe Johannes Schmidt, dieser Frage nachzugehen. 1904 fing er eine kleine Weidenblatt-Larve westlich der Färöer-Inseln – die erste Aal-Larve  außerhalb des Mittelmeeres! Da das transparente Fischlein mit siebeneinhalb Zentimetern bereits relativ groß war, ging Schmidt davon aus, dass sie irgendwo im offenen Meer geschlüpft sein müsse. Er fischte also um die Färöer-Inseln und vor Dänemark nach den Entwicklungsstadien der Aale. Überall fand er die weidenblattförmigen Fisch-Larven, genauso groß wie die erste. Aber keine kleineren Stadien. Erst bei einer systematischen Suche von den Färöern bis zu den Azoren, dann nach Neufundland, und von dort aus südwärts zu den Westindischen Inseln, wurde er fündig:  Die Anzahl des Anguilaa-Nachwuchses stieg, je weiter er nach Westen vordrang, außerdem wurden sie dabei zunehmend kleiner.
Dabei entdeckte er, dass die Larven zu unterschiedlichen Arten gehören: dem Europäischen und dem Amerikanischen Aal (Anguilla rostrata). Außerdem schien ihre Verbreitung im Zusammenhang mit den großen Meeresströmungen zu stehen. 1923 konnte er schließlich einen ausführlichen Bericht in den Philosophical Transactions of the Royal Society of London schreiben: Das Fortpflanzungsgebiet der Aale war die Sargassosee.

Der deutsche Fischereibiologe Friedrich-Wilhelm Tesch hatte in den 1970-er Jahren das Standardwerk „Der Aal“ publiziert, der Forscher der Biologischen Anstalt Helgoland (BAH) hatte sein Forscherleben dem schlängelnden Geheimnisträger gewidmet. Tesch hat u. a. den hervorragenden Geruchssinn des Aals erforscht – ein Tropfen Rosenextrakt im Bodensee würde der Fisch noch wahrnehmen. Vermutlich orientieren sich die Meereswesen auf ihrem langen Weg in die Sargassosee also an Gerüchen, außerdem an Temperatur und Salzgehalt sowie dem Erdmagnetfeld.
Tesch leitete 1979 mit den beiden BAH-Forschungsschiffen  „Anton Dohrn“ und „Friedrich Heincke“ eine große Expedition in die Sargasso-See, die der Größe des Aal-Mysteriums und seiner wirtschaftlichen und volkskundlichen Bedeutung gerecht wurde. Das gesamte Frühjahr über fuhren die beiden Schiffe systematisch Transekte über den mutmaßlichen Laichort der Aale. Dabei setzten die Fischereibiologen ein ganzes Arsenal verschiedener Netze aus, um große, kleine und kleinste Fische sowie Eier zu fangen. So gelang den Forschern der Fang einer Menge von Weidenblatt-Larven, allerdings fischten sie weder einen erwachsenen Aal noch Eier aus dem Meer. Also wieder eine präzise Ortsbestimmung und Indizien, aber wieder kein direkter Nachweis für verliebte Fische oder ihren Laich (The Sargasso Sea Eel Expedition 1979 F.-W. Tesch, HELGOLÄNDER MEERESUNTERSUCHUNGEN Helgoländer Meeresunters. 35, 263-277 (1982)).

Der US-amerikanische Aal-Experte James McCleave hatte 1974 erstmals die Sargasso-See erforscht, an der Seite des erfahrenen Friedrich-Wilhelm Tesch.
Bei seiner ersten eigenen Expedition nutzte der Amerikaner zum Fische-Aufspüren die modernen Akustik-Methoden. Mit dem Fisch-Echolot ortete er die im Meer ziehenden Aale (McCleave, J., Harden-Jones, F.:“Eels: new interest in an old problem“. Nature 278, 782–783 (1979). Jedes Mal probierte er Methoden auf dem neuesten technischen Stand aus, u. a. das Fisch-Echolot, das Fischschwärme tief unten im Ozean sichtbar macht. McCleave hatte die jüngsten Aal-Larven an den Grenzschichten von Wassermassen unterschiedlicher Temperaturen gefunden und suchte darum dort nach dem Laichplatz. Diese Grenzbereiche zwischen verschiedenen Wasserkörpern sind besonders hoch produktive Areale im Meer, darum sind sie nicht nur bei Fischen sondern auch bei Fischern beliebt. Das Fisch-Echolot ortete auch tatsächlich Fischschwärme, die höchstwahrscheinlich Aale waren, allerdings konnten die Biologen wieder keinen ausgewachsenen Aal erwischen. Während einer späteren Expedition versuchte McCleave mit seiner Kollegin Gail Wippelhauser noch den Pheromon-Trick zum Anlocken von Männchen. Diese chemische Masche mit weiblichen Sexuallockstoffen ist in der Biologie sehr verbreitet und funktioniert normalerweise zuverlässig. McCleave und Wippelhauser hatten also 100 ausgewachsene amerikanische Aal-Weibchen vor ihrer heimischen Küste gefangen und ihnen Hormone gespritzt, so sollten sie künstlich geschlechtsreif werden. Aber auch das ging schief, die meisten Tiere starben, bevor sie am Einsatzort ankamen und auch die restlichen verschwanden ergebnislos.

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Kommentare (7)

  1. #1 Roman Handl
    St. Gallen
    11. März 2021

    Passend zu Ihrer sehr lesenswerten Zusammenfassung und Rezension eines Buches, das ich auch nur empfehlen kann.
    https://mission-blue.org/2021/03/saving-the-sargasso-sea-the-golden-floating-rainforest-of-the-atlantic/

  2. #2 Bettina Wurche
    11. März 2021

    @RomanHandl: danke für den Tipp – da muss ich unbedingt mal stöbern

  3. #3 Alisier
    13. März 2021

    Abgesehen davon, dass ich Deine Blogpots immer noch ausgesprochen gerne und mit viel Gewinn lese, auch wenn ich normalerweise nicht kommentiere:
    Dieses Thema ist mir ein Herzensanliegen.
    Nachdem ich gestern Deinen ungewöhnlich dichten, informativen und so überaus kompetenten Artikel über Seegras bei Spektrum gelesen habe habe ich mir vorgenommen, hier mal wieder was zu sagen.
    Und den Pilzwald sowie den Teich habe ich nicht vergessen.
    Nach dem heutigen Angeln hätte ich noch ein paar aktuelle Fragen zur Entwicklung der Aalbestände, die Du vielleicht zu beantworten helfen kannst. Die Daten erscheinen mir nämlich inzwischen etwas widersprüchlich.

  4. #4 Bettina Wurche
    14. März 2021

    @Alisier: Danke, das freut mich! Mein Grauwal-Artikl müsste auch bald `rauskommen : )
    Was ist denn widersprüchlich?

    Der IUCN-Status ist: Critically endangered.
    Diese Bachelor-Arbeit (2019) fasst zusammen: “Der Aal gehört zu den gefährdetsten Fischarten in ganz Europa.”
    https://digibib.hs-nb.de/file/dbhsnb_thesis_0000001924/dbhsnb_derivate_0000002673/Bachelorarbeit-Meyer-2019.pdf
    Die aktuelle Einschätzung des Thünen-Instituts für Ostsee-Fischerei kommt zum gleichen Ergebnis:
    https://www.fischbestaende-online.de/fischarten/aal-europaeischer

    Einige Fischereiverbände klingen anders – das bezieht sich aber erstmal nur darauf, dass jetzt weniger Glasaale für den Export nach Asien massenhaft weggefangen werden dürfen. Wer als wichtigsten Grund für den Rückgang der Aale die Kormoran als Hauptschuldigen nennt, ist eher nicht so richtig faktenbasiert unterwegs:
    https://lfv-brandenburg.de/europas-aalbestand-steigt/
    Das ist halt Lobbyarbeit.

  5. #5 Alisier
    14. März 2021

    @ Bettina Wurche
    Da sind wir uns einig.
    Mir geht es um die (sehr erfreuliche) und bemerkenswerte Zunahme der hochziehenden Glasaale 2020, und da diese Zunahme bestätigt wurde, stellen sich für mich zwei Fragen:
    Hatte das eventuell was mit Corona zu tun? Und ist das jetzt der Hoffnungsschimmer in diesen dunklen Aalzeiten oder doch nicht?

  6. #6 Alisier
    14. März 2021

    Noch was: in den letzten zwei Jahren konnte ich ungewöhnlich viele Aale in unterschiedlichen Gewässer fangen, ohne gezielt darauf geangelt zu haben(was ich seit langem nicht mehr tue), und kein einziges (!) Exemplar hatte Schwimmblasenwürmer, und das wurde mir auch von ökologisch interessierten Mitanglern bestätigt.
    Das ist natürlich erstmal anekdotisch, aber nachdem vor ein paar Jahren fast jeder gefangene Aal voll mit diesen Parasiten war, fand ich das bemerkenswert, und diese Beobachtung hat sich meines Wissens noch nicht in der wissenschaftlichen Literatur niedergeschlagen.
    Eventuell war es ja auch Zufall, was ich aber bezweifle.

  7. #7 Bettina Wurche
    15. März 2021

    @Alisier: Die größere Menge an Glasarten dürfte in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Fischereiverbot für diese Jungfische für den unersättlichen asiatischen Markt stehen. Weniger Schwimmblasenwürmer wären eine wirklich gute Nachricht, das hatte mir nämlich besonders große Sorgen gemacht. Offenbar hast du schon nach neuen Forschungsergebnissen geschaut? Mehr könnte ich ja auch nicht machen. Beim Thünen-Institut hatte ich tatsächlich noch keine positiven Bestandsmeldungen gefunden.

    Ob Corona sich da positiv ausgewirkt haben könnte, ist fraglich. Auch wenn Restaurants und Tapas-Bars geschlossen hatten, haben die Leute ja weiterhin gegessen. In einign Regionen, z. B. in Afrika, hat die Wilderei wegen Corona extrem zugenommen – viele junge Männer haben ihre Jobs verloren und sind in ihre Familien auf den Dörfern zurückgekehrt. Dadurch hat die Wilderei etwa in der Serengeti gerade extrem zugenommen.
    https://www.wwf.de/themen-projekte/weitere-artenschutzthemen/wilderei/wahlloser-tod-immer-mehr-schlingfallen-in-afrika