In „Grenzenlos – die erstaunlichen Wanderungen der Tiere“ schreibt die Biologin und Wissenschaftsjournalistin Francesca Buoninconti über das Wanderverhalten und die Routen von Tieren. Ausgesprochen sachkundig und detailreich nimmt sie die Lesenden mit auf die Wanderungen von Aalen, Lachsen, Buckelwalen, Grauwalen, Meeresschildkröten, Pinguinen und anderen Vögeln, Gnus, Karibus und Fledermäusen, Fröschen und Kröten sowie einigen Insekten. Für mich waren viele neue Details dabei, ich konnte gleich eine ganze Reihe von Bildungslücken schließen: Etwa, dass Fledermäuse ähnlich wie Zugvögel jahreszeitliche Wanderungsbewegungen unternehmen. Bislang kannte ich nur die Überwinterer.
Und dann die unglaubliche Wanderung des Monarchfalters in Amerika, der nicht zuletzt mit dem Climate Fiction-Bestseller „Flight Behaviour“ (Barbara Kingsolver, 2012) zum Sinnbild eines Klimawandel-Opfers geworden ist: An seiner Wanderung sind jeweils drei bis vier Generationen beteiligt! Buoninconti bezeichnet ihn treffend als einen Stafettenlauf, der von den Kindern, Enkeln und Urenkeln des aufgebrochenen Wander-Falters fortgeführt wird. Das liegt daran, dass die Erwachsenen-Stadien von Insekten nur sehr kurz sind, sie leben nur noch Tage oder Wochen. Das erwachsene Kerbtier soll sich nämlich nur noch fortpflanzen. Nach der Paarung sterben meist bereits die Männchen, die Weibchen dann bald nach der Eiablage. Allerdings brauchen viele Insekten, um von einem winzigen Ei auf ihre spätere Größe anzuwachsen, Monate, manche sogar Jahre. Holometabole Insekten durchlaufen eine vollständige Verwandlung: aus einer ungeflügelten Larve, die nur Fressen als Selbstzweck kennt, wird durch eine Verpuppung ein geflügeltes erwachsenes Tier (Imago) mit Fortpflanzungsorganen, oft ohne Verdauungstrakt. Das bedeutet, dass ein erwachsener Schmetterling für eine lange Wanderung gar nicht lange genug lebt.
Ganz besonders gut gefällt mir, dass sie ihre Beispiele mit den ausgewählten Original-Publikationen belegt, die auf jeder Seite ganz unten den Abschluss als Fußnote bilden. Fußnoten im Anhang mag ich nämlich gar nicht, das ist mir zu unübersichtlich.
Ebenfalls ausgezeichnet finde ich, dass sie einige englische Fachbegriffe im englischen Original zitiert und dann erklärt. Alle Tierarten sind mit ihrem umgangssprachlichen Namen genannt und hinter der ersten Nennung ist jeweils in Klammern der wissenschaftlichen Artname aufgeführt.
So kann man Fachbegriffe und Artnamen sehr einfach nachschlagen und findet dann sofort die internationale, meist englischsprachige Literatur dazu.
Mein neues Lieblingswort ist übrigens „tobogging“ – die Schlittenfahrt der Pinguine:
Wenn Pinguine auf glattem Eis- oder Schnee-Untergrund schneller unterwegs sein wollen, als ihre kurzen Beine sie tragen, legen sie sich auf den Bauch. Mit den sehr kräftigen Füßen stoßen sie sich ab, dabei steuern und bremsen sie mit Füßen und Flippern (ein Toboggan ist ein kufenloser Schlitten der nordamerikanischen Ureinwohner der Subarktis, insbesondere der Cree und Innu in Kanada. Das Wort Toboggan ist aus der Sprache der Mi’kmaq.).
Buoninconti schreibt sehr wissenschaftlich und ist offensichtlich von ihren Themen begeistert. Das ist einerseits sehr ansteckend, mir ist es aber an einigen Stellen zu überschwänglich geworden. Insgesamt gefällt mir die Sprache nicht so gut, an so einigen Stellen wäre eine stärkere Strukturierung besser gewesen, manche Sätze hätten einfach umsortiert werden müssen. An einigen Stellen gibt es Gedankensprünge, die vielleicht nicht immer so einfach für jeden nachvollziehbar sind. Insgesamt wäre eine stärkere inhaltlich und auch optische Strukturierung besser gewesen.
Inhaltlich korrekt geschriebene Sachverhalte sind oft sprachlich sehr kompliziert ausgedrückt. Ob das jetzt an der Autorin legt, oder an der Übersetzung aus dem Italienischen, vermag ich natürlich nicht zu beurteilen. Es hat mich im Lesefluss manchmal etwas gestört, weil ich Sätze mehrfach lesen musste, um den Inhalt nachvollziehen zu können. Da ich mit vielen der Sachverhalte fachlich vertraut bin, ging es dann. Allerdings könnte es für jemanden der nicht so im Fach steckt, manchmal etwas schwierig werden.
Ganz besonders aufgefallen ist mir das insbesondere in dem Kapitel über die Wal-Wanderungen. Es mag sein, dass es daran liegt, dass ich mich bei Walen selbst sehr gut auskenne und über sie auch häufig schreibe. Darum habe ich für viele Übersetzungen aus dem Englischen mittlerweile schon selbst ganz gute Formulierungen im sprachlichen Werkzeugkoffer. Dadurch fallen mir nicht so gute Beschreibungen oder Übersetzungen auf.
Die Beschreibung der Lachs- und Aal-Wanderungen sind im Gegensatz dazu beide sehr gelungen. Diese komplizierten Fisch-Migrationen und -Metamorphosen sind sachlich absolut korrekt, kurz und präzise erklärt (Die hätte ich so gern im „Evangelium der Aale gehabt“ gehabt!).
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