Plankton ist eine transparente wimmelnde Masse von Lebewesen, die die vielschichtige und vielbeinige Basis des Meeres-Nahrungsnetzes bildet. Dazu gehören Copepoden (Ruderfußkrebse), die in den oberen Meeresschichten fast 90 % des gesamten Zooplanktons ausmachen.
Gerade war das GEOMAR-Forschungsschiff RV Alkor in der zentralen Ostsee unterwegs, im Bornholm-Becken. Mit dabei: Die Isotopen-Ökologin Dr. Elvita Eglite (Was eine Isotopen-Ökologin macht? Dazu später mehr). Über Twitter stieß ich auf den Beitrag „Power of Plankton“ in den GEOMAR-Oceanblogs, in dem Elvita Eglite vollkommen begeistert über ihre Ostsee-Planktonprobe erzählt. Daraufhin habe ich sie interviewt, weil ich mehr über ihre Forschung und den Kontext wissen wollte.
Schillernd. Und fettig.
Die Planktonprobe war an der Oberfläche von einem schlierigen Fettfilm überzogen, den Elvita nicht einordnen konnte. Zunächst hatte sie Sorge, es könnte eine Ölverschmutzung sein. Aber das Öl stammte von den Copepoden (Ruderfußkrebsen) selbst!
„Copepoden enthalten nämlich eine ganze Reihe verschiedener Pigmente – einen Regenbogen an Farben! Viele Krebstiere können das rote Carotinoid Astaxanthin aus gelben und orangen Vorstufen, die sie mit der Nahrung aufnehmen, synthetisieren, und erscheinen darum unter dem Mikroskop rötlich. Immer wieder erstaunlich, wie solche winzigen Copepods (Pseudo-/Paracalanus spp). Lipide in ihrem sogenannten “Ölsack” tragen. Aufgrund des Drucks in den Planktonnetzen platzten einige dieser Copepoden und gaben ihr Öl ab, dadurch war die gesamte Probe mit einer gut sichtbaren öligen Mikroschicht bedeckt“. so schreibt sie.
Da ich während des Studiums lange Zeit Plankton sortiert habe, sowohl exotische Faunen aus dem Roten Meer als auch die Nordsee-Community, habe ich immer noch diese gläserne, gelatinöse Welt vor Augen. Plankton heißt “das Schwebende” und beschreibt viele große und kleine Arten, die im Ozean in der Wassersäule schweben. Elvita nennt eine wesentlich genauere Definition: “the diverse collection of organisms in the water column that are unable to propel themselves against a current” – die Organismen-Vielfalt der Wassersäule, die nicht aus eigener Kraft gegen den Strom schwimmen können.
Meistens sortiert man totes, schon konserviertes Plankton. In „Sortierlösung“ mit nur noch einem geringen Formaldehyd-Anteil liegen die kleinen Tiere mit den vielen Beinen tot und still in der Zählschale, ihre Farben sind meist verblasst, statt transparent sind sie weißlich. Nur in einigen sind noch goldene Fetttropfen sowie grünliche oder rötliche Magen- und Darminhalte zu sehen.
Lebendes Plankton hingegen ist bunter, aber bewegt sich so schnell, dass es schwierig zu zählen und zu identifizieren ist, schließlich muss man bei so manchen Krebschen die Borsten an den Antennen zählen, um sie zuzuordnen. Die großen, elegant gebogenen Antennen mit vielen winzigen Bürstchen und Borstchen kennzeichnen viele Ruderfußkrebse, andere haben kürzere Antennen. Die Weibchen mancher Arten tragen manchmal noch einen oder zwei Eisäckchen am Hinterteil.
Was uns winzige Meereswesen über die Nahrungsnetze der Ostsee erzählen
Die Planktonproben im Bornholm-Becken gehören zu einem regelmäßigen fischereibiologischen Survey, der seit 1986 stattfindet. Dabei geht es um die Überprüfung der Ostsee-Nutzfisch-Bestände wie Kabeljau (Gadus morhua), Hering (Harengus harengus) und Sprotte (Sprattus sprattus) sowie der Plattfische wie Scholle (Pleuronectes platessa). In der Ostsee heißt der Kabeljau übrigens Dorsch, es handelt sich aber um die gleiche Art wie in Nordsee und Nordatlantik. Allerdings um andere Bestände, im salzigeren Teil der Ostsee gibt es einen westlichen und einen östlichen Dorschbestand.
Diese Fische sind für die Ostsee extrem wichtig und ernähren seit Jahrtausenden auch die Menschen an den Küsten. Heute hängt an dieser Fischerei viel Geld, der Fang wird in der EU über zugeteilte Quoten geregelt und stetig überwacht. Darum ist die Befindlichkeit dieses Fischbestands ökologisch und ökonomisch wichtig.
Im Frühling/Sommer ziehen die Kabeljaue ins Bornholm-Becken und laichen dort in 20 – 40 Metern Tiefe im kühleren, salzhaltigeren Wasser ab. Auch wenn der Ostsee-Dorsch den geringeren Salzgehalt der östlicheren Ostsee toleriert, braucht sein Nachwuchs unbedingt salzigeres Wasser – nur dann sind die ins freie Wasser abgelegten Eier schwebfähig. Wenn dann die kleinen Dorschlarven schlüpfen, brauchen sie sofort nahrhafte Babynahrung in der richtigen Größe: Zooplankton.
Auf diesem Survey sollte also der Status des Dorsch-Nachwuchses überprüft werden:
– Sind Larven da?
– Wenn ja: Wie viele?
– Gibt es noch Larven anderer Arten?
– Wie sieht es mit ihrer Nahrung, dem Zooplankton aus?
Es geht also um recht kleine Lebewesen, darum kommen hier auch kleine Netze mit feinen Maschenweiten zum Einsatz. Je nach Netztyp, Maschenweite und wie ein Netz gezogen wird, fällt der Fang unterschiedlich aus, weil in unterschiedlichen Wasserschichten und -tiefen unterschiedliche Arten und Generationen von Meereswesen stehen.
Einen solchen Plankton-Hol (Hawl – ein Netzzug) beschrieb Elvita in ihrem Blogeintrag. Auf dem Bild ist sie zu sehen, wie sie neben dem MOCNESS steht. So ein „Multiple opening and closing net environmental sensing system“ ist ein Kasten mit gleich einer ganzen Reihe von Netzten, die bei einem einzigen Hol in unterschiedlichen Tiefen ausgelöst Proben nehmen. Dadurch kann man dann genau sehen, welche Arten in welcher Menge in welchen Teilen der Wassersäule stehen. Zusätzlich hat diese Netz Sensoren, die Druck, Temperatur, Leitfähigkeit (Salinität!), Geschwindigkeit und andere Daten messen. Ein MOCNESS erbringt also eine gute Momentaufnahme eines Meeresbereichs. (Hier ist ein Video (nicht von GEOMAR!), wie ein MOCNESS gefahren wird – ganz schön aufwändig!)
Copepoden und andere kleine Krebse wie z. B. Amphipoden (Flohkrebse) fressen Phytoplankton, also winzige Algen. Den Nährstoffüberschuß verstauen sie dann als Lipide in einem kleinen Säckchen im Körper, als sogenannten Wachsester, also Ester von langkettigen Alkoholen mit langkettigen Fettsäuren. Diese Ölsäckchen sind vor allem typisch für die kleinen Bewohner der hohen Breiten, wie etwa die Ostsee. Je nach Ernährungsstatus wird der Fettvorrat größer oder kleiner, etwa in der Reproduktionszeit zehren sie davon. Gerade Copepoden-Arten, die sich im Winter oder frühen Frühjahr fortpflanzen, brauchen das Fettpölsterchen: Die Reproduktion kostet sie viel Energie zu einem Zeitpunkt des Jahres, in dem noch nicht viel Nahrung vorhanden ist. Schließlich beginnt die Phytoplanktonblüte ja erst im Frühjahr, mit zunehmender Tageslänge und Temperatur.
Copepoden und andere planktische Krebse wie Flohkrebse und Krebslarven wandeln die Algen in hochwertige tierische Fette um, aufgrund ihrer großen Individuenzahl in großem Maßstab. Darum sind sie eine so essenziell wichtige Nahrungsressource für Fischlarven und andere größere Tiere des Planktons, ja, des gesamten Meeresnetzwerks. Und darum ist der Plankton-Status wichtig für die kommerzielle Fischerei. Auch im hoch industrialisierten Deutschland und auch in der kleinen Ostsee ist Fischerei immer noch ein erheblicher Wirtschaftsfaktor, der viele Menschen ernährt und viele Teller mit Fisch füllt.
Ostsee – ein Binnenmeer zwischen Salz- und Süßwasser
Elvita Eglite hat in Lettland studiert und für ihren Master im Golf von Riga geforscht. Auch ihre weitere Forschung fand in der Ostsee statt, sie ist also wirklich eine Expertin dieses kleinen nordischen Meeres. „Dynamisch“, nennt sie die Ostsee, man könnte sie auch „wankelmütig“ nennen.
Verschiedene Institute und Arbeitsgruppen aller Ostseeanrainer analysieren diese Bestandsveränderungen, um solche Bestandsentwicklungen frühzeitig zu entdecken. Letztendlich geht es darum, auf der Basis vieler biologischer und abiotischer Parameter Modelle der künftigen Bestandsentwicklung zu erstellen. Dieser Survey ist im Forschungsbereich 3: „Marine Ökologie“ des GEOMAR in Kiel angesiedelt, wo WissenschaftlerInnen sich intensiv mit der Zukunft der Ostsee beschäftigen. Auch wenn selbst ausgefeilte Modelle nur einen kurzen Ausblick geben können, sind sie wichtige Management-Methoden. So können WissenschaftlerInnen oft Empfehlungen aussprechen, welche Handlungen oder Unterlassungen ungefähr welche Auswirkungen haben werden. Dass ihre Empfehlungen regelmäßig kleinere Quoten enthalten, als Fischerei und Politik eigentlich fangen möchte und ihr Rat zum nachhaltigen Bestands-Management oft überhört wird, ist für die befischten Bestände und Ökosysteme nicht gut.
Isotopenökologie
Elvita ist eigentlich Chemikerin. Sie ist spezialisiert auf Isotopenanalysen und hat in Isotopenökologie promoviert. Mit Isotopenanalysen kann sie in komplexen ökologischen Geflechten, wie dem Ostsee-Nahrungsnetz sichtbar machen, wer wen gefressen hat. Damit kann sie ermitteln, welche Position einzelne Arten in der Nahrungspyramide einnehmen und dieses verwirrende Geflecht etwas entwirren. Mit modernsten Methoden wie der Compound specific Isotope analysis (CSIA) kann sie den Weg einzelner Aminosäuren und Fettsäuren durch die Nahrungskette verfolgen. Damit lassen sich die Räuber-Beute-Beziehungen in den komplexen Nahrungsnetzen der Meere rekonstruieren. Mit Isotopenanalysen können auch Tierwanderungen sichtbar gemacht werden.
Mehr zur Nutzung stabiler Isotopen in ökologischen Beziehungen aquatischer Lebensräume ist hier:
„Eine neue Methodik erlaubt nun, den Ressourcenkonsum von Organismen über längere Zeit zu mitteln und ihre Position im Nahrungsnetz zu bestimmen. Sie beruht darauf, dass für den Stoffwechsel der Organismen wichtige Elemente, zum Beispiel Kohlenstoff und Stickstoff, in der Natur in winzigen Mengen als ungewöhnliche, stabile Isotope vorliegen, d. h. mit einem vom normalen etwas abweichenden Atomgewicht. So kommt der Kohlenstoff, der normalerweise das Atomgewicht 12 hat (12C) auch mit dem Atomgewicht 13 (13C) vor, der Stickstoff liegt in Spuren als 15N statt des normalen 14N vor. In einem Massenspektrometer kann man das Verhältnis der Isotope eines Elements messen. In den biochemischen Prozessen im Stoffwechsel der Organismen werden nun die Isotope eines Elements nicht genau gleich verarbeitet.“
Welche Tiere waren in der Planktonprobe?
In ihrer Planktonprobe fanden sich die im Bornholm-Becken häufigsten Ruderfußkrebse Centropages sp., Acartia tonsa, Temora longicronis und Pseudo-/Paracalanus spp) – genau die Community, die an der Stelle zu erwarten war.
Acartia mit den elegant geschwungenen Antennen ist ihr Liebling unter den Copepoda. Kann ich gut verstehen, mir ging das auch so.
Die Planktonproben zeigten ein gutes Nahrungsangebot für die Dorsch-Larven, der Ölreichtum macht die kleinen Ruderfußkrebse zum Fischlarven-Superfood.
Daneben waren natürlich auch andere Tiere des Planktons wie Cladocera (Wasserflöhe), die bunten und vielgestaltigen Polychaeta (Borstenwürmer) und offenbar sehr viele Appendicularien-Larven. (Manteltiere).
Eine Dorsch-Larve fand sich auch, daneben noch Larven anderer Fische – die werden in einem anderen Blog-Beitrag dieser Alkor-Fahrt vorgestellt:
“Now in April, in Bornholm Basin in the central Baltic Sea, the most likely larvae to catch are those of flatfish and sprat, but there are also other fishes like shorthorn sculpin or longspined bullhead. If we are lucky we can even catch a few very early cod larvae which normally occur in the summer months. These can be recognized immediately by two black stripes on the body.”
Der Dorsch war also eine vorwitzige früh geschlüpfte Larve und somit ein Einzelkind, seine Geschwister lassen sich noch etwas Zeit. Im Sommer sollte dort dann ein Dorsch-Kindergarten anzutreffen sein.
Flatfish ist natürlich Plattfisch wie Scholle und Flunder und sprat ist Sprotte. Sprotten sind Heringsverwandte, bei uns vor allem als kleine geräucherte „Kieler Sprotten“ bekannt. Diese silbrigen kleinen Fischarten – Hering, Sprotte und Sardine – werden umgangssprachlich auch Blankfisch genannt, wegen ihres silbrig-glitzernden Schuppenkleids. Der longspined bullhead (Taurulus bubalis) ist ein Seabull oder Langstacheliger Seeskorpion.
All diese Fischgruppen haben jeweils spezifische Larvenformen, die man gut auseinanderhalten kann. Die transparente Larve baut dann allmählich ihren Körper um, bekommt ihre spätere Form und immer mehr Pigmente. In dem Beitrag sind auch Fisch-Babyphotos. „ Fischbabies“ gehen uns mit ihrem Wirbeltier-Kindchenschema eben doch etwas näher als Krebs-„Babies“. Die Komplexaugen und vielen Beinchen sind einfach zu fremdartig.
Diese Fahrt fand im Projekt Integrative Baltic Time Series Analysis with RV ALKOR statt: „Von Kiel aus werden seit 1986 Langzeitdatenreihen und Beprobungen in der offenen Ostsee durchgeführt. Die dabei entstandene Datenreihe gehört zu den besten verfügbaren integrativen Datenreihen zu den pelagischen Systemen dieses Randmeeres. Zu den multidisziplinären Arbeiten die regelmäßig insbesondere im Bereich des Bornholmbeckens, aber auch des Arkona- und Gotlandbeckens und des Danziger Tiefs stattfinden, gehören Hydrographie, Plankton/Nekton Probennahmen, Hydroakustik und pelagische Schleppnetzfischerei einschließlich intensiver Fischprobennahmen. In diesem Blog berichten beteiligte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber auch Studierende, über ihre Arbeit während der Ausfahrten mit RV Alkor und andere Tätigkeiten, die damit im Zusammenhang stehen.“
Eine solche lange Zeitreihe ist ein sehr kostbarer Datensatz, da sie langfristige Veränderungen wie die Erwärmung im Zuge des Klimawandels und das Einwandern invasiver Arten abbildet. Beides ist in der Ostsee deutlich zu verfolgen.
PS:
Einer der weltweit bekanntesten Copepoden ist Sheldon J. Plankton aus der Cartoon-Serie “Sponge-Bob”. Sheldon J. Plankton ist nach meiner Kenntnis der einzige Plankton-Organismus, der mit einem wasserfesten Super-Computer – Karen – liiert ist.
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