Gerade schickt die NASA per SpaceX Dragon-Cargo Flug eine ganz besondere Fracht zur ISS: 5000 Tardigraden, Baumwollpflanzen, Gewebeproben und 128 frisch geschlüpfte Tintenfische (hier ist ein NASA-Video zum Start).
Tardigraden und Tintenfische samt Symbionten werden in Experimenten zum Verhalten von lebenden Organismen unter Raumfahrt-Bedingungen, wie etwa fehlende Gravitation oder Mikrogravitation, eingesetzt. Forscher Innen verschiedener Universitäten geben die „Zutaten“ für ihre Experimente dann in die Hände der ISS-Crew, die die Versuche durchführt.

Bobtail Squid mit Leuchtorgan – eine schillernde Symbiose

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These immature bobtail squid (Euprymna scolopes) are part of UMAMI, an investigation that examines whether space alters the symbiotic relationship between the squid and the bacterium Vibrio fischeri. (Credits: Jamie S. Foster, University of Florida)

Die 3 mm kleinen Tintenfischlein sind noch larvenhaft transparent, tragen aber schon die zwischen gold-braun-schwarz changierenden Pigmente. Mit ihren großen Augen und, dem großen Kopf und den kurzen Tentakeln entsprechen sie noch dem Kindchenschema, aber ihre zukünftige Figur ist schon erkennbar. Auch als Erwachsene werden den rundlichen kleinen Körper mit sehr kurzen Tentakeln beibehalten. Es sind Bobtail Squids, die im Deutschen den deutlich langweiligen Namen Zwergtintenfisch tragen. Wie alle Kalmare haben sie acht mit Saugnäpfen besetzte kurze Arme und zwei etwas längere Fangtentakel, sie bilden keinen Kalkschulp aus. Das Außergewöhnliche an den Zwergtintenfischen ist ihre Symbiose mit bioluminiszenten Bakterien leben, darunter auch Vibrio fischeri. Diese Bakterien leben in einem Leuchtorgan im Mantel und werden von ihrem Kopffüßer mit nahrhafter Zucker-Aminosäure-Lösung bewirtet. Die Bakterien leuchten dann zufrieden vor sich hin, sodass der ganze Tintenfisch zu schillern scheint. Über diese ungewöhnliche leuchtende Symbiose hatte ich hier schon etwas mehr geschrieben (Ob künftige Astronauten dann selbst derartige Leuchtbakterien implantiert bekommen sollen, um die ISS besser beleuchten zu können, war den vorliegenden Dokumenten leider nicht zu entnehmen).

Die Tintenfische werden die Stars in einem Experiment namens UMAMI – Understanding Microgravity on Animal Microbe Interactions.
Das Immunsystem der 3 mm winzigen Weichtiere ähnelt dem der Menschen. So möchte die Forschergruppe um Jamie Foster von der Universität Florida untersuchen, wie gesunde Mikroben mit tierischem Gewebe im Weltraum kommunizieren.
Die Zwergtintenfische schlüpfen ohne ihre bakteriellen Symbionten aus dem Ei und müssen sich damit erst „infizieren“, also aus der Umgebung aufnehmen. Jamie Foster möchte ganz genau untersucht haben, was im Körper und im Immunsystem innerhalb der ersten Stunden nach der Symbionten-Infektion passiert (Quelle: NASA – SpaceX’s 22nd Commercial Resupply Mission to Space Station Launches Water Bears, Squids, Solar Panels).
Das menschliche (und anderer Viecher) Immunsystem basiert auf dem körpereigenen Mikrobenzoo vor allem im Darm – dem sogenannten Mikrobiom. So kann die Kommunikation zwischen Bakterien und Körpergeweben vielzelliger Lebewesen auch wertvolle Resultate für unser eigenes Immunsystem erbringen. Da bei Astronauten unter Schwerelosigkeit das Immunsystem unterdrückt wird und sie daher durch Infektionen oder verzögerte Wundheilung bedroht sind, ist das eine wirklich wichtige Frage. Diese Immunsystem-Weltraumforschung hat natürlich auch auf der Erde eine hohe Relevanz, schließlich leiden viele Menschen unter einem geschwächten oder zu starken Immunsystem (z. B. Rheuma oder Multiple Sklerose).

Umami ist übrigens auch das japanische Wort für köstlich, die 5. Geschmacksrichtung. Soweit ich sehen konnte, ist zurzeit aber wohl nicht geplant, die kleinen Tintenfische nach ihrem erfolgreichen Experiment aufzuessen.

Super-Astronauten mit 8 Beinen

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Cell Science-04 flies tardigrades, or water bears, to the space station for a study seeking to identify the genes involved in its adaptation and survival in high stress environments. (Credits: Thomas Boothby, University of Wyoming)

Die achtbeinigen Tardigraden sind ja bewährte Raumfahrer mit vielen Extra Skills: Ihre extreme Toleranz gegenüber Austrocknung, Kälte, Hitze und Sauerstoffmangel sowie Strahlung ist legendär und macht sie zu perfekten Versuchstieren auch im Weltraum (darum sind sie auch regelmäßig zu Gast auf Meertext: hier, hier und hier). Als Navigator in Star Trek Discovery sind sie sogar in der Populärkultur angekommen.

Mit dem Experiment Cell Science-04 will der Molekularbiologe Thomas Boothby der Universität Wyoming analysieren, wie sich die Bärtierchen an das Leben im niedrigen Erdorbit anpassen. Damit kann man Rückschlüsse auf die Stressfaktoren ziehen, denen Menschen im Weltall ausgesetzt sind. Dabei sollen die Tardigraden sich vermehren, die Beobachtungen sollen über mehrere Generationen hinweg laufen. In der Analyse des Genoms wird dann sichtbar, welche Teile der DNA für solche Anpassungen und das Überleben in einer hochgradig stressigen Umgebung wie dem Weltraum verantwortlich sind.

Außerdem möchte Boothby herausfinden, welche Antioxidantien die Bärtierchen produzieren, um erhöhte Strahlung auszuhalten. Mit diesen Erkenntnissen könnte man die Diät der Astronauten um  Antioxidantien-reiche Elemente anreichern und sie so noch besser vor der erhöhten Strahlung im Weltall schützen.
Um den Stress für die Tardigraden selbst erst einmal während des Anflugs zu reduzieren, fliegen sie gefroren auf die ISS. Erst vor Ort werden sie dann in einem speziellen Biokultursystem revitalisiert (Quelle: NASA – SpaceX’s 22nd Commercial Resupply Mission to Space Station Launches Water Bears, Squids, Solar Panels).

Kryoschlaf wäre sicherlich auch für AstronautInnen auf längeren Strecken eine interessante Option. Wenn es über den Erdorbit und den Mond hinausgeht, können Raumflüge ziemlich lang werden. In vielen Science Fiction-Szenarien kommt ein solcher Kryoschlaf vor, der in der Regel mißglückt. Wie etwa in der SF-Romanze Passengers von 2016.

Baumwolle macht TIC TOC

Die Baumwoll-Pflanzen sind für ein Experiment namens Targeting Improved Cotton Through On-orbit Cultivation (TICTOC) bestimmt. Baumwollekleidet als textile Faser nicht nur einen erheblichen Teil der Weltbevölkerung ein, sondern wird auch für unzählige andere Anwendungen eingesetzt. Allerdings bekommt die Klimaveränderung der Baumwolle schlecht, zu hohe Temperaturen und Wassermangel setzen den global so wichtigen Pflanzen hart zu. In diesem Experiment geht es um neue Baumwollzüchtungen, die weniger Wasser brauchen und viel trocken- und hitzeresistenter sind (Quelle: NASA – SpaceX’s 22nd Commercial Resupply Mission to Space Station Launches Water Bears, Squids, Solar Panels).

Akronyme

Bei solchen Akronymen wie UMAMI und TIC TOC frage ich mich schon, ob dafür mittlerweile eigene Kreativ-Wettbewerbe ausgeschrieben werden. Möglicherweise reichen dazu aber auch überarbeitete Forscherhirne unter Schlafentzug, dabei kommen schon manchmal sehr seltsame Gedanke zustande. Das wäre mal ein eigenes interessantes Forschungsprojekt: Wie wirken sich mehrwöchiger Schlafmangel oder -entzug auf die kreativen Hirnareale aus? Und: Bis wann gelten solche neuronalen Blitze dann noch als geniale Gedanken und ab wann werden sie offiziell zu Halluzinationen?
Aber dieser Versuch steht zurzeit nirgendwo auf dem Programm.

 

 

Kommentare (17)

  1. #1 rolak
    28. Mai 2021

    wann offiziell Halluzinationen?

    Nie, da diese schrägen Akronyme in der Realität manifest sind. Von denen, von denen aus­schließ­lich dem nächtlichen Besuch von Kraxzturi-7 vorgeschwärmt wurde, hört man ja nix.
    Bei mir löst Schlafentzug hauptsächlich eine höhere Fehlerquote aus, was selbst bei inten­si­vem flow und schon vor Jahrzehnten nach spätestens circa 50h einsetzt(e). Kreatives, ob erfolgreich oder Querschläger, gibts typischerweise bei passender Ablenkung (intern oder extern) – bin wohl geeignet für die Pan´sche Flugschule..

    ‘128 squeaky squids’ könnte glatt der Anfang einer Hymne aus dem IT-Bereich sein, neugieriger bin ich aber trotzdem auf die Ergebnisse der Tardigraxperimente.
    Schönen Dank fürs Informieren!

  2. #2 RPGNo1
    28. Mai 2021

    @Bettina Wurche

    Ein spannendes Thema.

    Kleiner Hinweis: Bei den Bärtierchen (darum sind sie auch regelmäßig zu Gast auf Meertext: hier, hier und hier) sind dir die Links flöten gegangen.

  3. #3 Bettina Wurche
    28. Mai 2021

    @RPGNo1: Danke! Jetzt sollte es klappen

  4. #4 Bettina Wurche
    28. Mai 2021

    @rolak: Das hört sich nach einer angemessen verwirrenden Erklärung an : )

  5. #5 stone1
    28. Mai 2021

    Endlich fällt mal wieder ein Endlich-ist-Freitag bei mir mit einem Cephalopod-Friday zusammen, und ich kann in Ruhe einen Artikel hier genießen. Ist ja nach wie vor so, dass ich selten dazu komme, die Meertext-Blogs zu lesen.

    Danke @Bettina Wurche für den Bericht über eine sehr interessante Mission, an dieser Stelle;

    wie sich die Bärtierchen im niedrigen Erdorbit an das Leben im niedrigen Erdorbit anpassen

    hätte ein ‘dort’ statt der Wiederholung auch gereicht. Sowas passiert mir selber auch immer mal wieder, soll keine Kritik sein, nur ein Hinweis, sollte der Text nochmal überarbeitet werden.

  6. #6 Bettina Wurche
    28. Mai 2021

    @stone1: Vielen Dank! Ja, eigene Texte Korrektur zu lesen, finde ich schon schwierig. Bei anderen Leuten fällt mir so etwas immer schnell auf.
    Das freut mich : )

  7. #7 Uli Schoppe
    28. Mai 2021

    Hi,

    reine Salzwasserviecher oder habe ich das falsch gefunden?

  8. #8 Bettina Wurche
    28. Mai 2021

    @Uli Schoppe: Tintenfisch ja, wie alle Kopffüßer. Tardigraden nicht, da gibt es viele in Süßgewässern oder Moos lebende Arten.

  9. #9 Joseph Kuhn
    28. Mai 2021

    Wie immer sehr interessant.

    “Damit kann man Rückschlüsse auf die Stressfaktoren ziehen, denen Menschen im Weltall ausgesetzt sind.”

    Gab es dazu nähere Infos? Stressreaktionen bei Menschen laufen ja anders ab als bei Bärtierchen.

  10. #10 Bettina Wurche
    29. Mai 2021

    @Joseph Kuhn: damit ist physiologischer Stress gemeint, wie etwa die Mikrogravitation. Physiologisch sollen die Gewebe von mehrzelligen Organismen nicht so unterschiedlich reagieren.

  11. #11 Trottelreiner
    30. Mai 2021

    Ich würde ja “Sheena” als Missionsnamen für die Cephalopoden vorschlagen, am Backronym schrauben wir noch etwas. Aber da das entsprechende Projekt zumindest in der alternativen Realität zu “Manifold: Time” miese Folgen hatte…
    https://web.archive.org/web/20120112163520/http://www.vondanmcintyre.com/squids/Baxter-Sheena5.html

  12. #12 rolak
    23. April 2022

    die Diät der Astronauten

    ..wird wohl eher internalisiert werden: just eben wurde in ner neuen Doku (Herzog-Produktion^^) so um 48′ herum jene Forschung vorgestellt.

    Man beachte übrigens in letzterem Artikel die krass fehlgeschlagenen url-Einbindungen 😉

  13. #13 Bettina Wurche
    23. April 2022

    @rolak: Ich kann gerade gar nicht glauben, was ich da lesen- Transfer von Tardigraden-DNA in menschliche DNA??? Das hat der Typ doch aus Star Trek Discovery geklaut. Was für ein völliger Blödsinn.
    Aber der Blog ist interessant. danke!

  14. #14 rolak
    24. April 2022

    aus Star Trek Discovery geklaut

    Könnte sein, zumindest fand sich bisher nichts Konkretes zu diesem Mason-Projekt von vor 24.9.2017, der Erstaustrahlung. Könnte aber auch von jenem Hashimoto(et al)-paper inspiriert sein, womit dann auch das mit dem ‘Blödsinn’ wegbröseln würde.

    Lange vor Discovery hab ich mal irgendwo im Urlaub irgendeinen dicken SciFi gelesen, Größen-&Themenordnung Heinleins Lazarus Long, in dem die menschliche DNA bei Besiedelung neuer Planeten gegenüber lokalen Herausforderungen ‘gehärtet’ wurde. Das war auch gestern meine erste Assoziation, erst die GlücksWasserbärchis brachten mich hierhin.


    Angenehmen Sonntag noch!

  15. #15 Bettina Wurche
    25. April 2022

    @rolak: “Mason has previously experimented with modifying human DNA in preparation for future space missions. Mason used DNA from the nearly unkillable tardigrade to develop a hybrid superhuman cell during his studies.” Also, ich empfinde das schon als etwas spooky. Kann ja sein, dass er da nett vor sich hin experimentiert. Aber die Umsetzung in die Tat, also die angewandte Veränderung menschlicher DNA, wäre so derartig gegen alle existierenden ethischen Vorgaben, dass seine Experimente doch wohl eher hypothetischer NAtur sein dürften.
    Mason has previously experimented with modifying human DNA in preparation for future space missions.
    https://www.tardigrade.us/tardigrades/tardigrade-genes-in-human-cells/

    Dazu kommt, dass es fraglich ist, ob diese Anwendung funktionieren könnte. Ich hatte mal von jemandem erklärt bekommen, dass die “Unkaputtbarkeit” der Tardigraden bis jetzt nicht wirklich geklärt sei. Gerade die Haut ist immer noch rätselhaft. Einige Wissenschaftler meinen, dass diese extremen Eigenschaften vielleicht durch die Miniaturisierung der Tardigraden entstanden sein könnten. Das könnte eine weitere erhebliche Hürde für die Übertragbarkeit ihrer extremophilen Eigenschaften auf andere Organismen sein.
    Ich halte diese Forschung wirklich für Zukunftsmusik der ferneren Zukunft. Das steht auch so im verlinkten Artikel, dass Mason eher für die nächsten 50 Jahre plant.

  16. #16 rolak
    25. April 2022

    seine Experimente doch wohl eher hypothetischer NAtur

    Die Experimente, Hybridzellen Mensch+Dsup (sorry, oben den Hashimoto-link verschlunzt) mit höherer Strahlungsfestigkeit sind durchaus real, die Umsetzung zum homo astronauticus selbstverständlich nicht nur wg ethischer Einwände hypothetisch.

    Von aktuell aus hypothetisch sind allerdings auch die Projekte, in denen dergleichen zur Anwendung käme – und sei es nur die Energieproblematik beim Antrieb für die großen Eimer, die bei ExtraSolarsystem-Fahrten wg Generationenschiff etc benötigt werden. Klar, prinzipiell funktionieren Antimaterie-Konzepte, doch wer stellt den Treibstoff her? Die Antiprotonen-Produktion des CERN zB hätte, seit Anbeginn des Universums konstant durchlaufend, bis jetzt bloß ein paar Nanogramm abgeliefert – wenn das Produkt denn nur so lange speicherbar wäre.

    Wenn mich nicht alles täuscht, ging es bei dem HybridAnsatz ausschließlich um die Strahlungsfestigkeit – und faszinierend ist die erfolgreiche Umsetzung allemal…

  17. #17 Bettina Wurche
    25. April 2022

    @rolak: Absolut d`accord. Ja, hypothetisch ist es natürlich faszinierend : )