Wissenschaftler der Universität Istanbul wie der Biologie-Professor Muharrem Balci dokumentieren seit 40 Jahren die immer stärkere Belastung des Binnenmeeres durch nährstoffreiche Abwässer aus Städten und Landwirtschaft. Wenn dann im Sommer die Meerestemperatur steigt, vermehren sich die Algen extrem schnell und stark und überziehen die Oberfläche des Meeres vor allem in Küstennähe wie eine Zeltleinwand. An manchen Stellen reicht der tödliche Algenteppich sogar bis in 30 Meter Tiefe. Wenn die Algen die Nährstoffe aufgezehrt haben, sterben sie ab und sinken auf den Meeresboden. Dabei bedecken und ersticken sie dann Meeresbewohner wie Muscheln, Schnecken und Krebse. Die toten Algen werden von Bakterien abgebaut, die dabei den Sauerstoff verbrauchen. Dadurch entstehen im Meer sauerstoffarme Areale, die nach Schwefelwasserstoff stinken.
Örtliche Fischer beklagen, dass der Algenschleim, der auch ihre Boote umhüllt, schon zu einem großflächigen Muschelsterben am Meeresgrund geführt hat.
Kleine Algen mit großer Wirkung: Kieselalgen und Dinoflagellaten
Seit 2007 ist der schleimige Algenfilm im Marmarameer wissenschaftlich beschrieben. Verschiedene einzellige Algen können solche Blüten verursachen, mit ihrem massenhaften Auftreten verfärben sie dann ganze Meeresbereiche. Je nach Algenart erscheint die Algenblüte grün, rot, gelb oder bräunlich-grau, wie jetzt vor der türkischen Küste. In den Planktonproben der Wissenschaftler fanden sich vor allem Kieselalgen (Diatomeen) und Dinoflagellaten. Einige von ihnen verfärben das Wasser „nur“ und sorgen für Sauerstoffzehrung.
Die Umweltschutzorganisation Kuzey Ormanları Savunması hatte auf ihrem Twitter-Account Prof. Melek Işibilir Okyar der Universität Istanbul zitiert, die Wasserproben untersucht hatte: „Gelöster Sauerstoff, der 2-3 Milligramm pro Liter betragen sollte, beträgt auf 35 Metern nur 1 mg/l pro Liter. Der Rückgang auf 0,8 mg/L in 80 Metern Höhe zeigte, dass der Sauerstoff im Meer bald zur Neige ging.“ erklärt die Professorin:
Marmara Denizi’nde oksijen bitmek üzere
Prof. Dr. Melek İşinibilir Okyar, ”Litrede 2-3 miligram olması gereken çözünmüş oksijenin 35 metrede sadece litrede 1 mg/L. 80 metrede ise 0.8 mg/L’ye düşmesi denizde oksijenin bitmek üzere olduğunu gösterdi.” dedi. pic.twitter.com/3dYkf6cvAC
— Kuzey Ormanları Savunması (@kuzeyormanlari) June 7, 2021
Einige Diatomeen und Dinoflagellaten geben zusätzlich auch noch potente Gifte ab (Seyfettin Tas, Halim Aytekin Ergül, Neslihan Balkis-Ozdelice: „Harmful algal blooms (HABs) and mucilage formations in the Sea of Marmara” In book: The Sea of Marmara: Marine Biodiversity, fisheries, conservation and governance (2016)).
Gerade viele Dinoflagellaten produzieren Neurotoxine, Muscheln, Fische oder auch ganze Walschulen töten können, wegen ihrer rötlichen Färbung sind sie als Rote Flut (Red Tide) berüchtigt (mehr dazu hier und hier). Werden solche mit Giften belastete Muscheln oder Fische verzehrt, können auch Menschen daran sterben. Diese sogenannten Harmful Algal Blooms verursachen schon jetzt hohe Schäden in Muschel- und Fischzuchten.
Vor der türkischen Küsten gibt es zwar keine großen Aquakulturen, allerdings macht der Algenschleim die regionale Fischerei unmöglich.
Marmara-Meer: Bald ein Schutzgebiet?
Das Marmara-Meer ist der Übergang zwischen der Ägäis des Mittelmeeres und dem Schwarzen Meer, die Küstenlinie des Marmara-Meeres an Istanbuls Küste ist dicht besiedelt und auch stark industriell genutzt. Zu den Abwässern türkischer Herkunft, so Professor Balci, kommen auch noch die Abwässer Osteuropas hinzu, die über die Donau ins Schwarze Meer gelangen.
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