In diesem Sommer unternimmt das MBARI (Monterey Bay Aquarium Research Institute) eine Tiefsee-Expedition zum Sur Ridge im Meeresschutzgebiet Monterey Bay. Nur 35 Kilometer vor der nordkalifornischen Küste ragt der Felsrücken Sur Ridge 500 Meter hoch über den Meresboden auf. Auf ihm erstreckt sich eine Unterwasseroase von der Fläche Manhattans mit surrealistisch anmutenden Gärten aus Tiefseekorallen- und Schwamm-Beständen.
In den letzten zehn Jahren haben MBARI und MBNMS (Monterey Bay National Marine Sanctuary) gemeinsam diese Tiefsee-Oase in 800 Metern Tiefe erforscht. Eine wichtige Forschungsfrage ist dabei, wie sich der Klimawandel mit der stetigen Erwärmung und Versauerung der Meere sowie den großen Veränderungen in den Nahrungsgefügen auf diese Korallen- und Schwammgärten auswirken wird.
In der dunklen, lichtarmen Tiefe wachsen auf dem 25 Kilometer langen Felsrücken über 260 Arten seltsam geformte Tiere in psychedelischen Farben und Formen. Zwischen Schwämmen, Tiefwasserkorallen sowie Seesternen und Seegurken staksen mit klickender Panzerung Krebse umher und machen Stielaugen. Die dünnen Zweige der hellrosa Kaugummi-Korallen (Bubblegum Coral) wachsen bis zu 2 Meter hoch, andere Korallen sind kleiner und zeigen andere Farben. Schwämme drehen in dieser Tiefe ohne lästige Konkurrenten richtig auf: der gelb fluoreszierende Picasso-Schwamm ist ein bis zu 50 cm breiter Trichter, er erinnert an einen Pfifferling. Grazil wirkt daneben der Harfenschwamm, dabei verbirgt das fragile Äußere einen Carnivoren (mehr über den fleischfressenden Harfenschwamm hatte ich hier berichtet).
Das Expeditionsschiff R/V Western Flyer hat für diese Tiefsee-Expedition reichlich technisches Equipment an Bord: Kameras, hochauflösende Kartierungstools und den ferngesteuerten Tauchroboter (ROV) Doc Ricketts*.
Auf der Karte ist deutlich erkennbar, wie der Meeresboden dicht vor der Küste schnell tiefer wird und dass er von Unterwasser-Canyons und Bergen durchzogen ist. Sauerstoffreiches Tiefenwasser und der kühle Kalifornien-Strom sorgen für viel Sauerstoff im Meer, von der Küste werden Nährstoffe hineingespült. Dadurch sind diese Gewässer extrem nahrungsreich und selbst große Meeresbewohner leben nahe der Küste. Mehr dazu steht im letzten Absatz.
An dieser Stelle stehen das berühmte Monterey Bay-Aquarium, das ein Schaufenster dieses wimmelnden Lebens ist. Der Besuch lohnt sich unbedingt. Neben dem Aquarium ist dort auch das MBARI, das mit High Tech-Equipment und eigenen Schiffen hervorragende Meeresforschung betreibt. (An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Pressestelle des MBARI für die Erlaubnis zur Nutzung der Photos.)
Am 30. Juni 2021 um 11:00 Uhr PT (bei uns zur besten Sendezeit um 20:00 Uhr MESZ) lädt die Sur Ridge-Expedition die Öffentlichkeit ein zum Deep Virtual Event.
Auf dem Programm stehen:
- ein Blick hinter die Kulissen der MBARI-Expedition nach Sur Ridge
- Live-Aufnahmen vom Meeresboden
- außerdem beantworten WissenschaftlerInnen, IngenieurInnen und AquarianerInnen von MBARI, MBNMS und dem Monterey Bay Aquarium Fragen. Auch zu einer Karriere in der Tiefsee und den anderen Disziplinen darf alles gefragt werden.
Hier geht es direkt zum Videokanal: “Join us live from the deep as we explore the coral and sponge gardens of Sur Ridge”.
Live from the deep soll auch für Nicht-Englischsprachige sowie gehörlose und schwerhörige ZuhörerInnen durch amerikanische Gebärdensprache und Untertitel u. a. in Englisch und Deutsch zugänglich sein.
Hier gibt es mehr technische Informationen über das Forschungsschiff R/V Western Flyer und über das ROV Doc Rickets.
John Steinbeck, Doc Ricketts und der Western Flyer
Hinter diesen Namen stehen großartige Geschichten. Der Schriftsteller John Steinbeck war nämlich mit dem Meeresbiologen Doc Ed Ricketts befreundet. 1940 mieteten die beiden das Fischerboot Western Flyer samt Crew und erkundeten in einer sechswöchigen Expedition die Sea of Cortez, besser bekannt als Golf von Kalifornien. John Steinbeck dürfte jede(r) kennen, Ed Ricketts hingegen ist bei uns weniger bekannt. Die beiden veröffentlichten nach ihrer Expedition das Sachbuch Sea of Cortez: A Leisurely Journal of Travel and Research, Steinbeck schrieb später noch The Log from the Sea of Cortez. Steinbeck hat seinen Freund Doc übrigens auch in Die Straße der Ölsardinen und in anderen Romanen ein Denkmal gesetzt. Wenn man Monterey und das berühmte Aquarium besucht, begegnet man überall historischen Wegmarken, die an die große Zeit der Sardinenfischerei, Steinbecks Werk und Doc Ricketts erinnern.
Edward Flanders Robb Ricketts (1897-1948) betrieb ab 1923 in der Cannery Row, der Straße der Ölsardinen, ein marodes Meeresbiologie-Labor. Er belieferte Schulen, Universitäten und andere Einrichtungen mit biologischen Präparaten. 1930 machte er die Bekanntschaft des damals noch unbekannten Steinbeck. Steinbeck interessierte sich für “Doc”s Arbeit und verewigte ihn als Charakter in seinen Büchern. Docs schäbiges Labor mit seiner kleinen Wohnung darüber war nicht nur mit allen möglichen lebenden und präparierten Meerestieren gefüllt, sondern diente in den 1930-ern und 19340-ern auch als Epizentrum des wissenschaftlichen, philosophischen und kreativen Denkens in Monterey. Er kannte nicht nur andere Wissenschaftler, sondern auch Schriftsteller, Künstler, Fischer und Prostituierte, alle liebten Doc. Durch einen Brand verlor er viele seiner wissenschaftlichen, größtenteils noch unveröffentlichten Manuskripte mit den Ergebnissen der Sea of Cortez-Expedition. Leider starb Ricketts schon 1948, als ein Zug sein Auto erfaßte.
Sein Fachbuch Between Pacific Tides, dessen Manuskript er glücklicherweise vor dem Brand an seinen Verleger geschickt hatte, ist bis heute ein Standard-Lehrbuch. Seine umfassende Erkundung und Beschreibung des Golfs von Kalifornien, seiner Bewohner und ihres ökologischen Gefüges war bahnbrechend. Seine Arbeit beeinflußt bis heute Biologen und Umweltschützer von Kalifornien bis nach Alaska.
Eric Enno Tamm schrieb im San Francisco Chronicle über Ricketts: “He is probably the only scientist in history to have 15 animal species and a nightclub named after him. He was larger-than-life and died tragically, as legends usually do.”
Spätestens beim Blick ins Hafenbecken und einem Strandspaziergang wird klar, warum Ricketts genau hier gearbeitet hat, warum das Monterey Bay-dieses Aquarium hier steht und warum hier heute so exzellente Meeresbiologie-Institute sind: Auch wenn die großen Sardinenschwärme der Vergangenheit angehören mögen, wimmelt das tiefe Meer mit seiner kühlen Strömung vor Leben. Am Strand fand ich einen jungen Mondfisch und im Hafenbecken tummelten sich Meerotter, Seelöwen und Seehunde. Auch große Meereswesen wie Weiße Haie gibt es hier reichlich, dazu Delphine, Orcas, Cuvier-, Baird- und andere Schnabelwale sowie durchreisende Grau-, Buckel- und Blauwale. Darum schreibe ich so häufig über Forschungsergebnisse aus dieser Gegend (die Meertext-Artikel sind verlinkt).
Die Monterey Bay und große Teile der kalifornischen Küste sind absolut überwältigend!
Zum Weiterlesen über Steinbeck, Doc Ricketts und den Western Flyer:
The Western Flyer: Steinbeck’s Boat, the Sea of Cortez, and the Saga of the Pacific Fisheries
Lost and found: John Steinbecks Western Flyer
Salvaging Steinbeck’s Vessel From a Little-Known Berth
Der Regisseur P.J. Palmer plant die 12-teilige Dokumentation “For Ed Ricketts”, die den Mentor, Muse und einflußreichen Wissenschaftsphilosophen vorstellen soll. Hoffentlich klappt es, ich würde die Filme zu gern sehen! Mehr über den Film und Palmers Fundraising ist hier.
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