Eigentlich hätte die ISA ihr Regelwerk 2020 abliefern sollen. Mit Verweis auf Corona hat sie um Aufschub gebeten und bis jetzt nicht geliefert. Darum kommt jetzt die Forderung nach dem Moratorium, bevor ISA das Regelwerk liefert und der Abbau dadurch – nach derzeitiger Gesetzeslage legitim – beginnen könnte. Tiefseeexperten sind sich nämlich einig, dass das Thema viel zu komplex ist und viel zu weitreichende mögliche Folgen zu berücksichtigen sind, so dass man unbedingt mehr Zeit dafür braucht. Sie befürchten, dass die ISA Naurus Antrag genehmigen könnte und der Tiefseebergbau beginnen wird, bevor dessen potentielle Schäden für die Biodiversität und die Ökosysteme vollständig verstanden ist.
Ist Tiefseebergbau Neokolonialismus?
Wem gehören die Rohstoffe des Meeresbodens in internationalen Gewässern? Jedem, der sie fördert? Den Anrainer-Staaten?
Bis zur Gründung der ISA waren diese abgelegenen Meeresböden unzugängliches Niemandsland, für das sich niemand interessierte. Das hat sich seit der Entdeckung der Manganknollen und anderen Rohstoffe in den 1970-er und 1980-er Jahren grundlegend geändert. Jetzt gilt der Meeresboden als gemeinsames Erbe der Menschheit, die ISA soll darüber wachen. Die Präambel ist unmissverständlich: „Die aus 167 Mitgliedstaaten und der Europäischen Union bestehende Internationale Meeresbodenbehörde ist gemäß der UN-Seerechtskonvention beauftragt, alle mineralstoffbezogenen Aktivitäten im internationalen Meeresbodenbereich zum Wohle der Menschheit zu organisieren, zu regulieren und zu kontrollieren ein ganzes. Dabei hat die ISA die Pflicht, einen wirksamen Schutz der Meeresumwelt vor schädlichen Auswirkungen zu gewährleisten, die durch Aktivitäten im Zusammenhang mit der Tiefsee entstehen können.“
Gerade auf kleinen Inseln in den Weiten der Südsee leben viele Menschen von und mit dem Meer, der Ozean ist ihre Lebensgrundlage. Die kleinen Inselstaaten im Südpazifik sind wenig industrialisiert, sie könnten weder die Exploration noch die ökologischen Gutachten oder gar die Förderung und Weiterverarbeitung aus eigener Kraft durchführen. Trotzdem möchten manche von ihnen als nächste Anrainer an dem Reichtum vor ihrer Tür partizipieren.
So hat Nauru hat ein lukratives Abkommen mit DeepGreen Metals geschlossen. Allerdings nicht ganz Nauru, sondern ein eher kleiner Kreis, zu dem u. a. einige Politiker gehören. Andere InsulanerInnen dagegen protestieren gegen den Deal. Mittlerweile formiert sich ein zunehmend breiterer Widerstand der indigenen Südsee-Bevölkerung und anderer Gruppen gegen diese neue Form der Rohstoff-Ausbeutung. Sie befürchten, dass die Schäden den Benefit bei Weitem übersteigt. Der kleine Inselstaat hat einschlägige Erfahrungen mit dem Bergbau: Phosphatvorkommen der Insel wurden Jahrzehnte im Tagebau ausgebeutet. Seit 1900 wurden sie zunächst von Deutschen, dann vor allem von Australiern ausgebeutet, seit Naurus Unabhängigkeit 1968 dann in einer staatlichen Gesellschaft Naurus. Dadurch stiegen die Insulaner zunächst zum zweitreichsten Staat der Welt auf. Mismanagement ließ die Gewinne dann zu Beginn der 2000-er Jahre versiegen und einen Teil der Insel durch den Tagebau verwüstet zurück.
Viele der kleinen Anrainerstaaten erinnern jetzt an die Zeit der europäischen Kolonialherrschaft. Auch damals sind ihre Rohstoffe und nachwachsenden Ressourcen von den wirtschaftlich und industriell fortschrittlichen Nationen Europas ausgeplündert worden. Soll sich das Gleiche jetzt beim Tiefseebergbau wiederholen? Mit gutem Grund stehen also beim terrestrischen und submarinen Bergbau Vorwürfe des Neokolonialismus im Raum.
Seit Hinterbliebene rund 270 in einer giftigen Schlammlawine im brasilianischen Brumadinho verstorbenen Menschen vor dem Münchner Landgericht Schadenersatz vom Münchner Prüfkonzern TÜV Süd fordern und diesem eine Mitschuld zuweisen, wird klar, dass in einer global verknüpften Welt Konzerne möglicherweise auch für ihre Mitschuld zur Verantwortung gerufen werden können. Ein weiteres Beispiel dafür sind die sogenannten Klimaklagen – dabei haben Gerichte bereits festgestellt, dass Konzerne für Folgen der von ihnen mit verursachten Erderwärmung haftbar gemacht werden kann.
Eine ähnliche juristische Bewertung ist auch für ökologische und andere Folgen des Tiefseebergbaus denkbar.
Das Meer als Teil indigener Kulturen und Identität
“When they start mining the seabed, they’ll start mining part of me.” soll ein Clan-Chef der Inseln Neuirland und Neubrittanien im Bismarck-Archipel Papua New Guineas gesagt haben, als 30 km vor der Küste der erste kommerzielle Tiefseebergbau begann. Die kanadische Firma Nautilus Minerals schürfte dort nach Massiv-Sulfiden. Wenig erfolgreich, Nautlius ist insolvent und die Mine “Solwara 1” liegt still.
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