Eine Theorie für Haibisse gerade an der Meeresoberfläche ist, dass Haie Surfer mit Robben verwechseln. Die fetten Meeressäuger sind für Haie eine nahrhafte und sehr attraktive Beute. Die in wärmeren Gewässern lebenden Seelöwen haben gestreckte schlanke Körper und vier große schwarze Flossen – dadurch erinnert ihr Umriss definitiv an Surfer in schwarzen Neoprenanzügen, die auf ihrem Surfbrett paddeln oder auch an Schwimmer.
Angriffe von Haien auf Menschen sind selten, bekommen allerdings überproportional viel Aufmerksamkeit. Spätestens seit dem Kino-Erfolg von Spielbergs „Der Weiße Hai“ werden diese großen Knorpelfische mit dem markanten Umriß viel zu oft als „mindless Killer“ dargestellt. Die Neurobiologin Laura Ryan der australischen Macquarie University möchte das durch ein besseres Verständnis für die Situation des Hais ändern. Darum hat sie die Theorie der Verwechslung von Menschen und Robben noch einmal auf überprüft und dazu im Experiment erstmals die Perspektive des Hai-Blicks von unten eingenommen. Die vom britischen Wissenschaftsmagazin „Journal of the Royal Society Interface“ publizierte Studie “A shark’s eye view: testing the ‘mistaken identity theory’ behind shark bites on humans” konzentrierte sich auf den Weißen Hai (Carcharodon carcharias), einen der besonders gefürchteten Haie. Diese Art ist neben Tigerhaien (Galeocerdo cuvier) und Bullenhaien (Carcharhinus leucas) für die meisten Angriffe auf Menschen verantwortlich. Dabei haben die Wissenschaftler Videos analysiert, um herauszufinden, wie die Netzhaut eines Haies die visuelle Bewegung und Formhinweise erkennen würde.
Das Fazit der Biologen: Umriß und Bewegungsweise von schwimmenden Menschen, auf Surfbrettern paddelnden Menschen und schwimmenden Robben unterscheiden sich nicht signifikant. Dabei war der Unterschied zwischen Seelöwen und Seebären mit angelegten oder abgespreizten Flossen größer als der zwischen Robben mit abgespreizten Flossen und schwimmenden oder auf Surfbrettern paddelnden Menschen. Bei Angriffen von Haien auf Menschen handelt es sich also in der Regel um eine Verwechslung mit einer Robbe.
Aus der Hai-Perspektive
Weiße Haie können Gerüche über große Distanzen wahrnehmen. Mit ihren Lorenzinischen Ampullen haben diese Knorpelfische dann auch Elektrorezeptoren als weiteres Sinnesorgan, damit können die sie elektrische Felder wahrnehmen und sich bei langen Wanderungen im Erdmagnetfeld orientieren.
Das Sehvermögen ist hingegen nur schwach ausgebildet. Weiße Haie können, so die Studie, Farben und Formen nur schwach unterscheiden, ihr Sehvermögen ist sechs Mal schlechter als das des Menschen.
Die WissenschaftlerInnen haben für ihre Untersuchung also Videoaufnahmen von Meeressäugern mit schwimmenden und surfenden Menschen aus der Perspektive des Hais verglichen – von unten. Sie haben Videoclips von zwei australischen Seelöwen (Neophoca cinerea; Masse = 48 kg und 180 kg) und einer neuseeländischen Pelzrobbe (Arctocephalus forsteri; Masse = 48 kg) aufgezeichnet sowie von Menschen mit verschiedenen Schwimmstilen, darunter das „Hundepaddeln“. Außerdem haben sie die Menschen noch auf verschieden geformten Surfboards paddeln lassen.
Als nächstes haben die Biologen die Bewegungen und Umrisse aller „Versuchsobjekte“ analysiert, bei der Datenauswertung kam unter anderem das Computerprogramm MatLab zum Einsatz.
SurferInnen sehen Seelöwen am ähnlichsten
Die Paddel- und Ruderbewegungen von SurferInnen und SchwimmerInnen ähneln denen von Robben. Die Video-Auswertung hat klar gezeigt das Verwechslungsrisiko von SurferInnen mit einer schmackhaften Robbe besonders hoch. Die im Experiment zum Vergleich eingesetzten Seelöwen und Seebären haben als Ohrenrobben stark vom Körper abgesetzte Vorder- und Hinterbeine, die zu flächigen flachen Flossen umgebildet sind. Sie sind damit wie Menschen auf den ersten Blick deutlich als Vierfüßer erkennbar.
Die Hundsrobben, wie etwa die auch in Deutschland vorkommenden Seehunde und Kegelrobben haben kegelförmig zulaufende Körper mit kurzen Extremitäten, deren Umrisse Menschen und Seelöwen und Seebären weniger stark ähneln, sie wurden in dieser Studie nicht berücksichtigt. In den wärmeren Gewässern, in denen Weiße Haie meist leben, schwimmen vor allem Ohrenrobben wie Seelöwen und Seebären.
Kommentare (8)